Angesichts der sich ständig verschärfenden (wiewohl die Opelrettung der Kanzlerin Mut und Zuversicht schöpfen lassen) Finanzkrise gibt uns die tägliche Fünfminutensendung „Börse im Ersten“ festen Halt. Denn, in sonorem Grundton vorgetragen mitsamt gelegentlichen launigen Anmerkungen zu Bankern, Aktionären und anderen Leichtgläubigen verströmen die Moderatoren Anja Kohl und Michael Best Beruhigung.
Wo noch so viel ironische Distanz möglich ist, kann der Börsenkrach nicht das Ende der Welt einläuten. Oder? Das glaubten wir zumindest. Bis, als uns kürzlich plötzlich die Worte Anja Kohl wie die Glocken der Apokalypse im Ohr dröhnten. Papst Benedikt, so hörten wir, habe erklärt, die akute Finanzkrise beweise: „Geld ist nichts.“ Da scheint dem ranhöchsten katholischen Kirchenmann aber so einiges im Geiste abhanden gekommen zu sein.

das kann man doch nicht verkaufen müssen

das kann man doch nicht alles verkaufen müssen …

Wir, wir denken da mal ganz spontan an die römische „Banco dello spirito di sancto“, die durchaus sehr direkt mit dem Vatikan verwoben ist, und daran, was (und das gefällt uns gut – „ecclesia semper reformanda“) der katholische Theologe Eugen Drewermann gerade gefordert hat, nämlich die Abschaffung der Kirchensteuer: Die Kirche würde vom dann zu erwartenden Zusammenbruch ihrer Finanzgrundlage zu einer Reform gezwungen, zu der sie aus eigener Kraft nicht mehr fähig sei. Bischof Karl Lehmann wies – was Wunder – die Kritik zurück. Drewermann sagte wörtlich, „eine Änderung der Steuerpraxis würde bewirken, dass wir sofort eine andere Kirche hätten“. Die Kirche in Deutschland lebe im Schatten einer Sicherheit, die sie faul gemacht habe. Für drei Viertel ihrer Mitglieder rede sie von Amts wegen nur noch über DInge (mittlerweile immer öfter nur noch in Latein und von der Gemeinde abgewandt), „die die Leute nicht mehr hören wollen, weil sie ihnen langweilig sind, nichtssagend oder blödsinnig“.

Die Börse, dieser Inbegriff des Weltlichen, hört auf das Oberhaupt der katholischen Christenheit? Sie, die Prophetin aller Finanzen, schwört dem Grundsatz „Geld regiert die Welt“ ab? Was Anja Kohl uns eigentlich sagen wollte, lautet vor diesem Hintergrund wohl: „Da hilft nur noch beten.“ Derart um letzte Zuversichten gebracht, fallen uns anderntags die sonderbar vielen Lieferwagen von Aktenvernichtungsfirmen ins Auge, die in Frankfurts Bankenviertel kreisen. Zufall? Überreaktion unsererseits? Oder doch Indiz, dass das bisherige Bankenschwanken nur Vorbeben eines kompletten Zusammenbruchs ist?

Versteh noch einer die Welt: Während die Börse das Beten lernt, lehrt die Kirche krisenfeste Geldanlagen. Als es in gerade bei Frank Plasbergs „hart aber fair“ hieß „Börsencrash und Bankenpleite – wie sicher ist unser Geld noch?“, wiesen Experten auf Kardinal Lehmann hin, dessen Stiftung „Hoher Dom Mainz“ im Oktober 2007 via Landesbank Rheinland-Pfalz „Dom-Anleihen“ ausgegeben hat. Kurzfristiger Dom-Gewinn infolge von je einem Prozent Spende der jeweiligen Anlagesumme aller Anleger: 56.000 Euro. Perspektive: die Rendite hängt vom Dax und Div-Dax ab, im besten Fall erhalten die Investoren einen Aufschlag von fünfzig Prozent, im schlechtesten nach fünf Jahren ihre Investitionssumme.

Genau solche Konditionen aber bot die kollabierte Investmentbank Lehman Brothers auch ihren Kunden. Deren Chef Richard Fuld widersprach vor zwei Tagen bei einer Anhörung im Kongress in Washington heftig, als man ihm vorwarf, er habe seinerzeit 500 Millionen Dollar an Gehalt und Prämien eingenommen, weigere sich nun aber, Verantwortung zu übernehmen. Es seien, so Fuld, seit dem Jahr 2000 lediglich 310 Millionen gewesen. Der Mann hat offenkundig weder dem Papst zugehört noch „Börse im Ersten“ geschaut.

Jürgen Gottschling

Nov. 2008 | Allgemein, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude, Wirtschaft | Kommentieren