„Wie ein Spiegel kommt dieser Film einher, und es ist interessant zu beobachten, wie genau die empörten Äußerungen aus den verschiedenen Lagern jeweils exakt diejenigen porträtieren, die sich zu Wort melden“.
Was es über die RAF zu wissen gibt, hat Stefan Aust auf beeindruckende Art in seiner akribisch recherchierten und dramaturgisch gekonnt aufbereiteten journalistischen Chronik „Der Baader Meinhof Komplex“ zusammengetragen: Ein Buch, das bis heute als Standardwerk zur Geschichte des linksrevolutionären Terrorismus in Deutschland gilt.

Dass sich nun ausgerechnet das Gespann Bernd Eichinger/ Uli Edel daran gemacht hat, dieses komplexe und spannende Kapitel jüngster Deutscher Geschichte zu verfilmen, verwundert nicht: Eichinger/Edel stehen ebenso synonym für plakative (dennoch hätte z. B. nicht sein müssen, dass statt einer Außenaufnahme der Strafanstalt Wittlich der Heidelberger Knast im Bild ist), kraftvoll und publikumswirksam umgesetzte Stoffe, wie Lennon/McCartney synonym für Popmusik stehen. Allerdings musste man befürchten, dass der Stoff zu einer großen Leinwandschmonzette mit Terroristen als coolen Underdogs aufgeblasen wird, die mit flackerndem Che-Guevara-Blick und gereckter Faust gegen das verkrustete System kämpfen: Eine Handvoll Idealisten, die sich nicht unterkriegen lassen und mit brennendem Herzen die Gesellschaft ändern wollen.

Es ist vielleicht das Überraschendste an diesem Film, dass er in genau diese Falle nicht tappt. Was viele Kritiker ihm ankreiden – nämlich seine Kälte – ist seine größte Qualität. Zumal „Der Baader Meinhof Komplex“ vor allem aus der Sicht der RAF erzählt wird und eine solche „Täterperspektive“ fast unweigerlich Identifikation schafft. Bei den Straßenschlachten ist man mittendrin; der Film ist laut, hektisch und blutig, aber seine Moral ist so fein austariert, dass man jede Seite – nein, nicht unbedingt verstehen, aber zumindest nachvollziehen kann.

Diese Sensibilität reicht bis in feinste Verästelungen der Interpretation jedes einzelnen Charakters. Was die erste Garde deutscher Schauspieler hier abliefert, ist absolut großartig. Moritz Bleibtreu zeigt uns Andreas Baader als cholerische Testosteronschleuder zwischen unpolitischem Gepose und pubertärer Kraftmeierei, ein Polit-Clown mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung; ein Pfau und ein Weiberheld, der gern in geklauten Porsches durch die Straßen fährt und auf Verkehrsschilder ballert, und man begreift, dass so ein Typ heute wahrscheinlich Rapper (denen hier so nicht Unrecht geschehen soll) geworden wäre.

Überhaupt begreift man die RAF eher als Phänomen einer Zeit und einer Gesellschaft, nicht als durchgedrehte Spinnerei einer Handvoll Bekloppter (man versteht – z. B.  – weshalb der Schahbesuch mit den aus Teheran eingeflogenen, auf Demonstranten einprügelnden „Jubelpersern“, die von der Berliner Polizei, dies zu tun, nicht abgehalten, sondern unterstützt wurden, aus „braven“, jungen Menschen, Sympatisanten werden konnten), und dass das Augenmerk des Films eher darauf liegt, die Mechanik der Ereignisse nachzuzeichnen, als die Biographie der Protagonisten zu erzählen; das ist da nur konsequent.

Wie Austs Buch ist der Film an keiner Stelle entschuldigend, idealisierend oder romantisierend; Baader (ich hatte das Mißvergnügen, ihn zu kennen, er war in der Tat ein Arschloch) und Ensslin (von Johanna Wokalek hinreißend in der Schwebe gehalten) werden – auch wenn sich das vielleicht anböte – nicht zu cool gestylten Bonnie-und-Clyde-Ikonen der RAF, und Bruno Ganz mit seiner famosen Darstellung des BKA-Präsidenten Horst Herold liefert den letzten Beweis dafür, dass dieser Film nicht polemisiert.

Dass er die Gemüter trotzdem so erhitzt, liegt nicht nur an seinem Thema und einer wie immer ausgekochten PR- und Vermarktungsstrategie, sondern vor allem daran, dass jeder in diesem Film sehen kann, was er sehen will: Er wirkt wie ein Spiegel, und es ist gerade in den letzten Tagen interessant zu beobachten, wie genau die empörten Äußerungen aus den verschiedenen Lagern jeweils exakt diejenigen porträtieren, die sich zu Wort melden.

Uli Edel hat gesagt, er habe diesen Film vor allem für seine Kinder gemacht, denen er zeigen wollte, wie es damals so war in Deutschland. Das hat er geschafft. Der Film weckt die Lust, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen; man kann ihn, wenn man so will, gewissermaßen als Trailer für das Buch begreifen – und cooler als eine Doppelstunde Geschichte ist das allemal.

Dass Kino (als Kino)  eigentlich mehr kann, weiß ein Jeder, der  etwa „Bonnie & Clyde“, „Butch Cassidy & Sundance Kid“ oder epische Piratenfilme gesehen hat. Den Bader Meinhof Komplex freilich in eine solche Kiste zu packen, täte diesem Film Unrecht.  Aber auch dies täte das:

Alle Wahrnehmung an dem zu messen, was ihr nützlich ist. Ein gegengeschnittener Blick nämlich war in diesem sich links verstehenden Milieu eher unüblich: Was bewirken wir? Wem nützen wir? Was würde sich ändern, würden wir nicht existieren? Sind die anderen ernsthaft nur Schweine, Büttel des Systems, Charaktermasken? Auszulöschende?

In dieser Welt des dauerhaften Kriegführens werden uns Menschen, quasi vom Horizont der (die wir sind) kino- und geschichtenbesuchenden Verbraucher aus gezeigt, die (die die sind) ihnen fremde Menschen mit desperadohaftem Kalkül exekutierten. Soweit so kalt, so böse und so gut  …

Jürgen Gottschling

Der Baader Meinhof Komplex D 2008. R: Uli Edel. B: Bernd Eichinger. K: Rainer Klausmann. S: Alexander Berner. M: Peter Hinderthür, Florian Tessloff. P: Constantin Film Produktion. D: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Jan Josef Liefers, Alexandra Maria Lara, Heino Ferch, Nadja Uhl, Hannah Herzsprung, Niels-Bruno Schmidt, Stipe Erceg u.a.
150 Min. Constantin ab 25.9.08

Okt. 2008 | Allgemein, Feuilleton, Zeitgeschehen | Kommentieren