Wenn wir nur wollen, ist unser Gehirn zu erstaunlichen Gedächtnisleistungen fähig
Das menschliche Erinnerungsvermögen hat ein Problem: Es hat ein mieses Image. Andere und man selbst könnten es manipulieren und verfälschen, und auf seine Einträge sei schon lange kein Verlass: Sprich, Gedächtnis, lüge!. Ihm etwas bestimmtes einzupeitschen, sei ein schmerzhafter und zeitraubender Prozess – das wird jeder bestätigen, der schon eine Schule von innen gesehen hat.

Mit diesem Vorwissen stelle man sich folgenden Versuch vor: Fünfeinhalb Stunden lang werden den Probanden 2500 verschiedene Bildchen vorgeführt, jedes bleibt für drei Sekunden sichtbar. Wenn den Testpersonen anschließend je zwei Bilder mit Inhalten aus unterschiedlichen Kategorien vorgelegt werden, mit welcher Sicherheit entscheiden sie dann, welches der beiden in der Vorführung enthalten war? Tatsächlich entschieden sich die Probanden in mehr als neun von zehn Fällen richtig – mit genau 92-prozentiger Sicherheit nämlich.

Auch in zwei anderen Tests, die vier Forscher des Massachusetts Institute of Technology jetzt in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften  beschreiben, schnitten die Versuchspersonen erstaunlich gut ab. Zum einen legten ihnen ihre Betreuer Testbilder vor, die Motive derselben Kategorie aufwiesen, etwa einen eckigen und einen runden Spiegel. Die Erfolgsrate ging in diesem Fall nur um vier Prozentpunkte zurück. Sie sank selbst dann nur auf 87 Prozent, wenn die beiden Testbilder, zwischen denen sich die Kandidaten entscheiden mussten, lediglich in ihrem Zustand – etwa offener versus geschlossener Schrank – unterschieden.

Gedächtniskapazität umfangreicher, als man bisher ahnte

Offenbar, so die Schlussfolgerung der Forscher, ist unsere Gedächtniskapazität um mehrere Größenordnungen umfangreicher, als man bisher ahnte. In den 1970ern zeigten zwar Forscher schon, dass wir uns viele kleine Bildchen merken können. Man vermutete allerdings, dass dabei nur abstrakte Beschreibungen abgespeichert würden – und nicht, wie in diesem Fall sehr konkrete Details wie die Tatsache, ob ein Schrank geöffnet oder geschlossen ist.

Typische Testfragen – nur die Hälfte der hier präsentierten Bildchen hatte die Probanden zu sehen bekommen.

Bild: Computational Vision Cognition Laboratory, MIT

Allerdings brauchten die Testpersonen für die verschiedenen Prüfungen unterschiedlich lange. Je schwerer der Test selbst, desto länger sahen sie hin. Die Teilnehmer waren anschließend sogar oft noch in der Lage zu beschreiben, woran sie ein bestimmtes Motiv erkannt hatten. Eine weitere Aufgabe erledigten sie ebenfalls mit Bravour: sich zu beschweren, wenn ein Bild doppelt gezeigt wurde. Befanden sich bis zu 63 andere Bilder dazwischen, lag die Erkennungsrate bei beinahe 100 Prozent, und auch danach ging sie nur langsam nach unten. Selbst nach zwei Stunden Zwischenraum wurden noch vier von fünf Duplikaten erkannt.

Was heißt das? Zum einen muss man sich die Modelle erneut ansehen, mit denen Neurologen die Informations-Weiterleitung ins Gehirn beschreiben. Bisher nahm man an, dass dabei von Ebene zu Ebene Details verloren gehen. Zum anderen lässt sich daraus die Informationskapazität des Gedächtnisses in Form einer unteren Grenze kalkulieren. Basierend auf der Anzahl der gemerkten Bilder und der pro Bild zu merkenden (mindestens) 17,8 Bits ergeben sich rund 228.000 eindeutige Codes, die sich das Gehirn merken können muss.

Auf welcher biologischen Grundlage das passiert, darüber sagt das Experiment natürlich nichts. Zudem, das geben die Forscher zu, wird der Merkprozess durch zwei Tatsachen erleichtert: Erstens müssen die Teilnehmer gut motiviert sein, zweitens profitieren die Testpersonen wohl davon, dass es sich um Bilder ihnen vertrauter Objekte handelt.

Hier (  http://cvcl.mit.edu/MM ) finden Sie eine milde Version dieses Testes, den ich mit zwar mit von mir kaum noch für möglich gehaltener Bravour bestanden habe. Aber, was es gestern zum Abendessen gab, also da musste ich lange nachdenken. Und landete schließlich bei vorgestern … got

Sep. 2008 | Allgemein | Kommentieren