Eine gewisse Pariser Intelligentia, die vermeintlich auch über Geschmack und geistige Eleganz entscheidet, ist auf den ersten Blick durch eine ganz bestimmte Marotte erkennbar.
Wenn man sich als Heidegger-, Carl Schmitt- oder Ernst Jünger-Leser präsentiert ist man automatisch „salonfähig“, ein Gran Pétainismus noch dazu, eine prononcierte Vorliebe für gewisse Schriftsteller wie Céline oder Paul Morand, die ja zur Zeit der Okkupation tatsächlich nichts Böses getan haben, vielleicht nicht einmal wirklich kollaboriert haben, aber von denen doch jeder wusste, dass die SS für sie der Begriff des Schönen darstellte; oder wenn man Jacques Chardonne rühmt, einen rechts orientierten Schriftsteller, den François Mitterrand schätzte, dann steht man unfehlbar auf der richtigen Seite und kann sich sehen lassen. Der Snobismus und das faule Nachplappern von solchen anscheinend schicken Denktipps werden aber dann alles andere als unschuldig und belanglos, wenn Inkompetenz oder Zynismus so weit reichen, dass plötzlich einer der problematischsten Schriftsteller der Nazizeit in den französischen Buchhandlungen auf dem Ehrenplatz steht.
Ernst Jünger ist gerade eine ganz besondere Ehre erwiesen worden, seine Tagebücher I bis III („Journaux de guerre“) erscheinen nun in der Prestigereihe „Bibliothèque de la Pléiade“ bei Gallimard,
in der nur die wirklich garantiert ganz Großen in Dünndruck und edlem Ledereinband vertreten sind: Victor Hugo, Goethe, Balzac, Tschechow, Dickens, Shakespeare und viele andere; nur einem einzigen wurde bisher die Ehre eines solchen Monuments zu Lebzeiten gegönnt: Julien Grace.
In der Pléiade gedruckt zu werden, ist ehrenhafter als der Académie Française anzugehören. Die Sammlung garantiert nicht nur Qualität, sondern auch unantastbare Autorität für die kommenden Jahrhunderte (sollte es noch welche geben). Nun wird also Ernst Jünger, dieser doch ein wenig faschistoide, großtuerische Mystagoge, unter den schönen Geistern des französischen Literaturhimmels platziert.
Die vielen jungen Leute auf der Suche nach den „wahren Werten“ werden nun an ihm ihr Futter finden, ohne merken zu können, wie sie dabei an der Nase herumgeführt werden; erstens weil die französische Fassung nichts von der Mischung aus Brutalität und verlogener Betulichkeit der Sprache Jüngers sehen lassen wird, weil hier der Sprachfilter eben nichts vom geharnischten Kitsch des Stils dieses Schreibers durchlässt, zweitens weil ihnen der eiskalte Hintergrund, die fast mörderische Indifferenz des eigentlich Gemeinten verborgen bleibt.
Das Obszöne dabei ist, dass gerade die Kriegsschriften Jüngers an der Reihe sind, die eine Form der vermeintlichen Objektivität rühmen, eine erbarmungslose Vision des mechanischen Tötens verbreiten, die ja der französischen Darstellung des Weltkrieges als Untergang der Menschheit, wie bei Henri Barbusse oder Roland Dorgelès oder Cendrars, vollkommen entgegengesetzt ist, als ob es darum ginge, die Denunziation der Schrecken des Weltkrieges, wie sie auf deutscher Seite Erich Maria Remarque beschrieb, zu untergraben, als ginge es um eine Remilitarisierung des Geistes. Es gilt, die jungen Seelen wieder zum Kampf gegen die „Mächte des Bösen“ mobil zu machen, wie zur Zeit Pétains, als eine ähnliche Intelligentia in den Genüssen der Kollaboration mit dem deutschen Faschismus schwelgte.
Schlimmer noch: Es geht, wenn auch unbewusst, um eine regelrechte Rehabilitierung der deutschen Okkupation Frankreichs. Eine deutlichere Eloge der Kollaboration ist kaum vorstellbar: Jünger ergötzte sich 1942 an der Farbenpracht des Mont Valérien, einer Festung vor den Toren von Paris, wo kurz zuvor Hunderte von jungen Leuten von den Deutschen erschossen worden waren; oder er genießt seinen Tee, Rue Lauriston, in einem Hotel, wo gerade die französische Nazimiliz foltert und tötet. Am Tag der großen Judenrazzia des Vel d’Hiv in Paris im Juli 1942 besucht er eine Rosenausstellung, so sein Tagebuch. Und nun wird ihm auch noch eine diese Luxusedition zuteil, als stehe er Modell für politisch-literarische Ehrbarkeit.
Nicht dass Jünger direkt Parteimitglied war, das war er eben nicht, obgleich er unter dem persönlichen Schutz Hitlers stand, durch ihn wird aber der Nationalsozialismus auf elegante Weise naturalisiert und normalisiert – verschwiegen oder ignoriert wird dabei, dass Jünger gegen die Assimilation der deutschen Juden schrieb und das einzige theoretisch brauchbare Grundbuch für die Nazis verfasste, den „Arbeiter“. Das gerät dabei in Vergessenheit, oder besser, es wird in das angeblich so tiefgründige Ensemble seiner Weltanschauungen integriert.
Durch eine solche Publikation wird fast absichtlich die deutsche Emigration, der deutsche Widerstand gegen die Hitlerbarbarei, in den Hintergrund verschoben. Das wahre Deutschland sind daher weder Döblin noch Thomas Mann und Walter Benjamin, alles Emigranten, wenn nicht Nestbeschmutzer. So haben sie nicht die leiseste Chance, in die „Pléiade“ aufgenommen zu werden, stehen sie doch auf der falschen Seite, auf der des Widerstands, auf der auch de Gaulle stand.
Ohne dass man es wahrhaben will, vollzieht sich hier eine gewisse Rechtfertigung der Kollaboration und eines Europas ohne Juden und ohne Kommunisten. Ein Europa der Reinheit und der Energie schwebt manchen Snobs immer noch vor, die von einer bestimmten Sicht Deutschlands nicht loskommen. Sie brauchen diese Idee in blanken Stiefeln, muskulös, herrisch, der sie sich anbieten können, zu jeglicher Untertänigkeit bereit. Schließlich hätte der Nationalsozialismus auch seine positiven Seiten gehabt, nicht wahr! Es ist eine Rückkehr nach Vichy, durch Jünger kann man die Shoa endlich im Besenschrank abstellen und sich wieder den fröhlichen Sicherheiten der Unterwerfung ergeben: Max Aue, von Ernst Jünger korrigiert, als Idealfigur einer pervertierten Intelligenz.
Georges-Arthur Goldschmidt, geb. 1928 in Reinbek, überlebte die Nazizeit in einem kath. Internat in den französischen Alpen. Zuletzt veröffentlichte er den Roman „Die Befreiung“ und den Essayband „Die Faust im Mund“.