Das Schweigen hat zumeist eine gute Presse. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Die Vögelein schweigen im Walde. The rest is silence. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. –

agamben.jpg Sentenzen wie diese adeln den, der sie beredt zitiert. Wer gegen das Geschwätz und für das Schweigen optiert, zeigt, dass er des Tiefsinns fähig ist. Das gegenläufige Motiv hat es hingegen schwerer, Gehör und Zustimmung zu finden, obwohl es von Köpfen wie Goethe nobilitiert wurde: «Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, wie [bzw. was] ich leide», heisst es im «Tasso» bzw. in der Marienbader Elegie.
Inbegriff des Schweigens ist der Tod. Wo er waltet, herrscht Totenstille. «Kommt reden wir zusammen, / Wer redet, ist nicht tot», heisst es deshalb effektvoll zu Beginn eines Gottfried-Benn-Gedichtes. Giorgio Agamben zitiert in seiner eigentümlichen Studie «Die Sprache und der Tod» all diese naheliegenden Worte nicht ausdrücklich, aber er lässt sie anklingen. Eigentümlich darf die Publikation des 1942 geborenen Denkers, der in jungen Jahren an Heideggers Seminaren in Frankreich teilgenommen hatte und der inzwischen bei einigen Zeitgenossen kultische Verehrung geniesst, schon deswegen genannt werden, weil es sich um die späte Übersetzung halbprotokollarischer Notizen zu einem «Seminar über den Ort der Negativität» handelt, das vor bald dreissig Jahren stattfand und einem Satz Heideggers galt.

Tiere

Acht Tage dauerte das Seminar; nächtliche Exkurse zwischen den Tagen lassen nichts oder gerade eben das Wesentliche ungesagt. Das Wesentliche aber, das Tiefsinnigste, das Eigentliche, was über das Sprechen ausgesprochen und über das Sagen gesagt werden kann, hat, so Agamben, Heidegger geschrieben, als er im Vortrag «Das Wesen der Sprache» formulierte: «Die Sterblichen sind jene, die den Tod als Tod erfahren können. Das Tier vermag dies nicht. Das Tier kann aber auch nicht sprechen. Das Wesensverhältnis zwischen Tod und Sprache blitzt auf, ist aber noch ungedacht.»

Es gehört nun zu den faszinierenden ebenso wie zu den irritierenden bis enttäuschenden Momenten von Agambens Studie, dass sie immer erneut dieses ungedachte Wesensverhältnis zwischen Tod und Sprache denken will, dabei ab und an zu erhellenden Formulierungen gelangt, dann aber wieder sich in Exkursen verirrt, die sich ausnehmen, als wolle da einer dem Tod davonlaufen. Dutzende von Seiten gelten etwa der Lyrik der Troubadoure oder einigen Zeilen von Giacomo Leopardi.

Das Sein negiert das Seiende

In psychoanalytischem Jargon gesprochen, handelt es sich um eine glatte Verdrängung, wenn nicht Verwerfung dessen, was Agamben zuvor, Heideggers und Hegels Tiefsinn kommentierend, fast erschlossen hatte. Agamben weigert sich beharrlich (und selbstredend kann man das auch positiv als Ausdruck einer heiligen Scheu verbuchen), dem Satz Heideggers so ins Auge zu schauen wie Ödipus der Sphinx.

Dennoch kristallisiert sich ein Motiv, das der Lektüre und Vertiefung wert ist. Heidegger und Hegel haben, so Agamben, «das Problem des ontologischen Ursprungs der Negativität» gesehen. Das klingt abstrakt und bleibt auch weitgehend abstrakt, meint aber eine Konstellation von äusserster Konkretion. Dass Sein zeitlich verfasst ist und deshalb alles Seiende, menschliches Dasein ausdrücklich eingeschlossen, negiert, vulgo: dass alles endet und sterbliche Menschen, die wissen, dass sie einst gelebt haben werden, eben dies erfahren, ist die Möglichkeitsbedingung von Sprache und Sinn. Agamben paraphrasiert Heideggers Satz, wenn er die «wesentliche Zusammengehörigkeit des Nichts und der Negativität mit der Sprache und der Zeitlichkeit» herausstellt. Aber er rekonstruiert ihn nicht, er lässt ihn nicht argumentativ zugänglicher werden. Dennoch zeugen Agambens frühe Studie und mehr noch seine spätere, thematisch daran anknüpfende Lektüre des Römerbriefs («Die Zeit, die bleibt», dt. 2006) von einer ungewöhnlichen, manchmal gar mitreissenden Leidenschaft des Denkens.

Giorgio Agamben: Die Sprache und der Tod – Ein Seminar über den Ort der Negativität. Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 179 S., € 18.–.

 

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Juni 2008 | Allgemein | Kommentieren