Auch hierzulande, in manchen Gegenden jedenfalls, tragen manche Menschen Armbänder aus Kupfer, sie glauben, das Metall wirke sich günstig auf ihren Kreislauf aus. Und weil sie das Armband nie ablegen, entstehen über die Zeit Acetatverbindungen, die Haut verfärbt sich grünlich, und egal wie grün, tumblieren sie dann auf grün,  grün, das sei doch überhaupt d i e gesunde nicht nur Farbe. Um ferner die schädlichen Auswirkungen vermuteter Wasseradern zu mildern, legen sie silberhaltige Netze unter ihre Betten; und bringt dies keine Linderung, so läßt man einen Pendler das Haus nach Strahlen und/oder Wasseradern absuchen.
Nachgerade peinlich genau achten sie auf ihre Füße. Auf den Wochenmärkten verkaufen Händler Massagerollen, einfache Geräte aus Holz, über die man im Sitzen die Füsse bewegt.

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Man (hier die andern im Wartezimmer) will damit die Säfte bewegen, die sich allzu leicht in den unteren Extremitäten sammeln, wo sie, wie Wasser in abflußlosen Seen, faulig werden und nach und nach den ganzen Körper vergiften.

Manche Kleinbauern verdienen sich ein Zubrot mit podologischen Dienstleistungen. Sie behandeln eingewachsene Nägel, raspeln Hornhautverdickungen, verätzen Warzen mit flüssigem Sauerstoff. Diese Männer stehen in hohem Ansehen – anders als die Parapsychologen, die man in der Regel meidet, außer natürlich, böse Träume suchten einen heim, oder wenn man mit dem Rauchen aufhören will. Man fürchtet ihre Kraft, und deshalbgeht man ihnen aus dem Weg, winkt ihnen in der Kneipe allenfalls zu und setzt sich dann aber allsogleich an einen anderen Tisch. So leben diese Heiler einsam in ihren Apartments, und oft genug sterben sie durch Alkohol oder, seltener, durch ihre eigene Hand.

Fehlende Gliedmassen, übrigens, sind hoch angesehen. Sie zeugen von Einsatz und harter Arbeit. Zudem entheben sie der Eitelkeit, und das flößt Vertrauen ein.
Nein (ja!), wir sollen und wollen nicht spotten! Viele Menschen haben eben ein eigenes Verständnis des Körpers. So, wie sie in ihrer Gegend gefangen sind, so sind sie auch in ihrem Körper eingeschlossen. Deshalb stehen sie immer auf Seiten des siechen Organs, das sie als im Aufstand gegen diese Kerkerhaft verstehen.

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Das Herz wollte nicht mehr, die Lunge – was Wunder – vertrug nicht mehr länger das Passivrauchen, auch hatte die Leber plötzlich vom Risling genug – so umschreiben sie (wir) ihre (unsre) Krankheiten. Ein gesunder Mensch weckt unser Mißtrauen, denn der, der könnte ja fliehen, einfach weggehen. Wir Hinfälligen hingegen benötigen keine Erklärung, weshalb wir noch immer im Wartezimmer sitzen und nicht längst (durch den Tunnel) über alle Berge sind, und so werden uns die Krankheiten gleichzeitig liebgewordener Grund und Ausrede für unser fortwährendes Dasein in den kleingewerblichen Konkurrenzverhältnissen unserer randlosen Gesellschaft. got

Juni 2008 | Heidelberg, Allgemein, Zeitgeschehen | Kommentieren