Eine der letzten intensiven menschlichen Begegnungen findet im Schwarzwald mit Martin Heidegger statt. Der Germanist und Celan-Freund Gerhart Baumann hat sie in einem eindringlichen Buch beschrieben. Trotz Heideggers Mitgliedschaft in der NSDAP und seiner anfänglichen Begeisterung für das Dritte Reich versucht Celan, seine Bedenken zu überwinden und geht auf den Philosophen zu, der seinerseits die Arbeiten des Dichters bewundert.
Zu Beginn muß es ein Hin und Her gegeben haben, zwiespältige Gefühle bei Celan, die sich in brüsker Ablehnung äußern, mit Heidegger gemeinsam fotografiert zu werden, wofür er sich dann aber später entschuldigt. Erst bei langen Wanderungen durch die Wälder und Hochmoore des Schwarzwaldes kommen sich die beiden näher und suchen schließlich auch Heideggers Holzhütte in Todtnauberg auf, was Celan später zu einem Gedicht inspiriert:
„Arnika, Augentrost, der
Trunk aus dem Brunnen mit dem
Sternwürfel drauf,
in der Hütte,
die in das Buch
– wessen Namen nahm’s auf
vor dem meinen? –
die in dies Buch geschriebene Zeile von
einer Hoffnung, heute,
auf eines Denkenden
(ungesäumt kommendes)
Wort im Herzen.“
Kryptische, schwer ausdrückbar umkreisende Zeilen: zwiespältige Gefühle, Erinnerungen, Ängste, Hoffnungen, Versöhnungswünsche. „Arnika hilft bei Blutergüssen, Augentrost ist ein Balsam, den Celan aus seiner Jugend kannte“, schreibt dazu sein Biograph John Felstiner: „Während der Dichter als Pilger kommt und aus Versöhnlichkeit trinkt, weckt Heideggers Brunnen eine Erinnerung an die Bukowina, das ‚Brunnenland‘. Der Stern auf dem Brunnen (und die Farbe der Arnika) signalisieren den gelben Judenfleck. Das Gedicht formuliert keine Anklage, sondern hält in seiner mehrdeutigen Form eher Möglichkeiten für zukünftige Gespräche bereit. Vielleicht hätte eine vertiefte Begegnung zwischen diesen beiden Protagonisten des 20. Jahrhunderts zu einer gerade auch für Deutschland heilsamen Wendung beitragen können: eine fast tragisch zu nennende Fügung, daß es dazu nicht mehr kommen sollte. Celan zeigte sich durchaus an weiteren Begegnungen interessiert, erwog sogar, von Paris nach Freiburg zu ziehen, um in einer überschaubareren und naturnahen Umgebung neue Kräfte zu sammeln. Freunde und Kollegen hatten in rinrd dies betreffenden Vorsorge bereits eine Lektorenstelle an der Universität für ihn reserviert. Heidegger bot an, dem verehrten Dichter die „Hölderlin-Landschaft“ zu zeigen, Celan wiederum bekundete sogar Interesse an einem intensiven Studium der lokalen Mundarten, um weitere Anregungen für seine Gedichte zu empfangen. Wären die beiden gemeinsam in den heimatlich-mystischen Abgrund gestiegen, aus dem sich auch Teile der völkischen Ideologie speisten, die in letzter Konsequenz so viel Leid über Celan’s Familie gebracht hatte?