Schriften zu Zeitschriften: Die „kritischen berichte“ lesen die Schriftzüge im urbanen Raum. Graffiti gab’s schon immer …
Als das neue Mitglied der „Volksfront von Judäa“ bei Nacht seine Parole an den Palast des römischen Statthalters schreiben musste, mochte der lachende Kinobesucher darin vor allem die höchst komische Verlagerung eines zeitgenössischen Phänomens in die ferne Vergangenheit sehen: In Monty Python’s „Life of Brian“ korrespondierte das „Romani ite domum“ mit dem modernen „Ami go home“. Richtiges Latein musste ein entgeisterter römischer Soldat dem ertappten subversiven Kämpfer auch noch beibringen, der fälschlich „Romanes eunt domus“ geschrieben hatte. Er ließ ihn die korrekte Version hundertmal an die Mauer pinseln.
Diese inszenierte Urszene rebellischer Untergrundpropaganda war jedoch keine bloß ironisch gebrochene Rückprojizierung. Erik Wegerhoff erinnert in der aktuellen Ausgabe der kritischen berichte daran, dass es im alten Rom durchaus subversive politische Inschriften an Gebäuden gab. Als nach blutigen Standeskämpfen 121 v. Chr. der Konsul L. Opimius plötzlich den der Eintracht gewidmeten Concordia-Tempel auf dem Forum wiederherstellen ließ, kommentierten das die Römer mit einer Inschrift auf dem Tempel: „Wahnsinnige Zwietracht baut der Eintracht einen Tempel“.

Umkämpft war der öffentliche Raum, wie Auslöschungen von Namenszügen getöteter Regenten auf Triumphbögen belegen. Texte waren die mediale Ergänzung der Körperpolitik bei Senatorenreden und in Versammlungen. Und die Liebe offenbarte sich ebenfalls öffentlich, so wie heute Herz-Pfeil-Malereien mit „Doreen, ich liebe Dich, Dein Kevin!“-Schriftzug: Ovid lässt in seinen „Amores“ die Liebesdichtung über sich berichten, wie sie im Falle der Zurückweisung „eingeritzt in Wachs, an gefühllosen Türen“ hing und sich nicht schämte, „mich vom vorübergehenden Volk lesen zu lassen!“.

Ina Deter war schon 1982 politisch-emotional aktiv geworden: „Ich sprüh’s auf jede Wand: Neue Männer braucht das Land“. Diese Ausgabe unter dem Titelthema „ArchiTexture“ widmet sich den Buchstaben im öffentlichen Raum zwischen Rebellion und marktkonformem „urban branding“. Verbiestert klingt es, wenn Joseph Imorde im Editorial in heutigen Graffiti ein „Geltungsverlangen an Hauswänden und S-Bahn-Scheiben“ entdeckt, das selten „idealistischen Programmen“ folgt, sondern als „Breitensport der deregulierten Ökonomie der Aufmerksamkeit“ betrieben wird. Wir haben verstanden: Ein knackiges „Macht kaputt, was euch kaputtmacht!“ an jeder Häuserwand sähe offenbar idealistischer aus.
Erzieherisch wirken wollte man auch im 18. Jahrhundert. Stefan Schweizer analysiert die Normierungen durch Inschriften in Gärten und Parks. „Waehle Wandrer deinen Weg mit Vernunft“, konnte man im Wörlitzer Gartenreich lesen, was den jungen Philosophen Schelling störte: „Mich dünkt, man ließe den Wandrer selbst wählen, ohne ihn mit beständigen Ermahnungen zu beglücken.“ Der deutsche Idealismus scheute später auch Abwege nicht: Weil die Aufklärung immer so mit dem Zeigefinger nervte, latschte man gerne mal subversiv über den Rasen.
Andere Aufsätze beschäftigen sich mit den urbanen Ballungsräumen London, Las Vegas, New York und Tokio. Überall Worte auf Werbetafeln und Leuchtinschriften: Die Buchstaben sind heute nicht weniger präsent als Bilder. Die Rückkehr von Schriftornamenten in der Architektur diagnostiziert Uta Caspary: „Die Fassade wird zum Screen.“ Sie zitiert den Architekten Jacques Herzog (Herzog & de Meuron), für den die gebaute Welt „das interessanteste Buch“ ist.  jg
kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften. 36. Jg., Heft 1/2008: „ArchiTexture“, 10 €, www.ulmer-verein.de/kb

Apr 2008 | Allgemein | Kommentieren