Götz Werner ist einer der erfolgreichsten Unternehmer im Lande. Die von ihm 1973 gegründete „dm“-Gruppe umfasst heute 1.720 Drogeriefilialen mit 24.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Umsatzrendite von rund einem Prozent sei angemessen und hinreichend, meint Götz Werner und setzt seine finanziellen Freiräume zuweilen für soziale Projekte ein.
Rundschau: Eine Idee geht um in Deutschland, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Lange Zeit in kleinen Zirkeln diskutiert, ist der von Ihnen seit Jahren unterstützte Vorschlag, jedem Bürger ein Mindesteinkommen zu garantieren, zu einem großen Thema geworden. Trauen Sie dem Trend oder sind Sie vorsichtig angesichts der plötzlichen Euphorie?
Götz Werner: Die Zeit muss reifen für neue Entwürfe. Bis vor zwei Jahren gab es kaum gesellschaftliche Aufgeschlossenheit für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das ändert sich jetzt. Wichtig ist, dass die Idee des Grundeinkommens überhaupt erst einmal von möglichst vielen Menschen gedacht wird, dass die Idee epidemisch wird. Am besten wäre es, wenn die Idee pandemisch würde – vor allem in der Zivilgesellschaft, also dort, wo die Debatten unbehelligt von sonstigen Rücksichten stattfinden. Dann können irgendwann eine kritische Masse und damit ein Trend entstehen. Wenn diese Dynamik da ist, dann können wir auch programmatisch werden und diese Idee umsetzen.
Wenn von Ihnen die Rede ist, hört man manchmal: Das ist doch der Kapitalist, der den Sozialismus einführen will. So unsinnig diese plakative Formulierung ist, so sehr stellt man sich doch die Frage: Was treibt diesen erfolgreichen, vermögenden Mann, sich so intensiv für ein bedingungsloses Grundeinkommen zu engagieren?
Ich bin seit 33 Jahren Unternehmer und habe bei Null angefangen. Gegebenes zu hinterfragen, Neues zu denken und die gewonnenen Erkenntnisse dann zu verwirklichen, ist mir also alles andere als fremd. Meine Erfahrung sagt mir: Man muss revolutionär denken und evolutionär handeln. Oft wird nicht revolutionär genug gedacht und zu überstürzt gehandelt. Ich habe das immer wieder erlebt. Mit meinem Unternehmen stehe ich ja mittendrin im gesellschaftlichen Leben und habe permanent mit Kunden, Lieferanten und Behörden zu tun. Natürlich nehme ich auch die Anregungen von anderen auf. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens gibt es schon seit Jahrzehnten.
Wenn Ihre Unternehmerkollegen revolutionär denken, kommen sie zu ganz anderen Schlussfolgerungen. Handeln diejenigen, die immer nur Löhne senken und Sozialleistungen einschränken wollen, verantwortungslos?
Nein, sie sind eingespannt ins Tagesgeschäft und ringen darum, dass es läuft. Sie sehen die Probleme im Lande aus ihrer unternehmerischen Logik – und das müssen sie auch, das ist ihr Job. Das hat nichts mit Verantwortungslosigkeit zu tun. Aber wenn man volkswirtschaftlich und langfristig denken will, muss man natürlich die betriebswirtschaftliche Brille beiseite legen und als Bürger denken. Dass es an den notwendigen Gesellschaftsentwürfen mangelt, ist mehr eine Frage der Kultur und der Wissenschaft, der Medien und der Religionen.
Warum setzt der Bürger Götz Werner auf einen Systemwechsel? Weshalb halten Sie es für zwingend, dass die herkömmliche soziale Sicherung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzt werden sollte?
Wir haben heute sehr staatslastige Systeme. Der Staat ist Schulunternehmer, Universitätsunternehmer, Krankenhausunternehmer, Sozialhilfeunternehmer. All das lähmt die Initiative der Bürger. Um Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme anzuregen und zu stärken, brauchen wir einen Systemwechsel, der aktiviert und nicht passiviert. Dabei sollten wir nicht Gruppen im Auge haben, sondern das Individuum, also das Freiheitsziel im Schillerschen Sinne. Der Souverän in unserer Gesellschaft ist nicht der Staat, sind nicht irgendwelche Gruppen, sondern der einzelne Bürger. Das Individuum wird aber nur dann zum tatsächlichen Souverän, wenn es sich in Freiheit einbringen kann.
Und diese Freiheit gibt es wiederum nur, wenn die Möglichkeit besteht, zu entwürdigenden Bedingungen Nein zu sagen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen kann man Nein sagen.
Thüringens Ministerpräsident Althaus hat jüngst ein sehr konkretes Modell vorgeschlagen, das er solidarisches Bürgergeld nennt. Die finanziellen Leistungen würden in etwa auf Hartz IV-Niveau liegen, entsprechend gäbe es nach wie vor einen faktischen Zwang zur Arbeit. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, entspricht das nicht Ihren Intentionen.
In der Zielsetzung sollte ein Grundeinkommen ein Kulturminimum sein. Davon leben können und auch noch die Möglichkeit haben, sich weiter zu entwickeln – darum geht es. Das Kulturminimum kann um so höher liegen, je mehr wir wieder in eine Prosperität hineinkommen. Bevor detailversessen über konkrete Modelle gesprochen wird, sollte das Grundeinkommen zunächst auf der Ideenebene gehalten werden, damit es nicht unreflektiert von Leuten aufgegriffen wird, die sich nur profilieren wollen. Sobald man ein Programm daraus macht, schafft man sich auch Gegner.
Konkrete Modelle sind aber immer auch ein Moment der Entfaltung von Diskussionen.
Ja, das ist die Skylla und Charybdis, durch die man hindurch muss. Ich will deshalb Herrn Althaus nicht kritisieren, aber ihn auch nicht gerade unterstützen. Versuchen wir doch erst einmal uns vorzustellen, worum es eigentlich geht. Sie können einfach kein neues Haus bauen, wenn Sie es vorher nicht träumen können.
Bitte schön, Traum frei. Was passiert, wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen haben?
Jeder kann das an seiner eigenen Biographie durchträumen. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich ein Grundeinkommen von Geburt an gehabt hätte? Wie wäre es für meine Eltern gewesen – für meine Berufswahl, für meine Familiengründung, für meine Karriere? Wenn das Grundeinkommen eine adäquate Höhe hat, in dem von mir genannten Sinne eines Kulturminimums, dann wird eigentlich jeder ein freiberuflich tätiger Bürger. Wir hätten dann zum ersten Mal einen wirklichen Arbeitsmarkt, in dem man Nein sagen kann, in dem man Verzicht üben kann, in dem man Wahlfreiheit hat. Auch deswegen begeistere ich mich so für den Vorschlag, weil er den Einzelnen in die Lage versetzt, jederzeit Verzicht zu üben, wenn er das will. Das würde alles verändern, wenn jeder sagen könnte: Ich arbeite, wenn ich will, und nicht, wenn ich soll oder muss. Eine dramatische wirtschaftliche Klimaveränderung.
Insgesamt aber muss von hinreichend vielen Menschen tatsächlich gearbeitet werden, sonst geht die volkswirtschaftliche Rechnung nicht auf. Sind Sie sicher, dass die Zahl der Aussteiger nicht zu groß wird?
Nichts spricht dafür, dass die Menschen mit einem Minimum zufrieden sind. Sie streben nach Entfaltung, auch nach höher, weiter, schneller. Wir alle können uns nur in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen definieren. Wenn Sie wollen, dass in der Fremdversorgungsgesellschaft, in der wir nun einmal leben, Arbeit geleistet wird, dann haben Sie immer nur drei Möglichkeiten. Entweder Sie machen die Arbeit so attraktiv, dass sie andere machen, oder Sie lassen sie durch Maschinen machen, oder Sie machen sie selbst. Es gibt immer nur diese drei Möglichkeiten. Wir werden dann genau das haben, was wir leisten. Insofern gibt es keinen Unterschied zu heute. Der Unterschied besteht in der Freiwilligkeit. Wir werden arbeiten, weil wir einen Sinn darin sehen, und nicht, weil wir dazu gezwungen sind.
Es geht um Sinnmaximierung und nicht mehr um Einkommensmaximierung. Ich bin sicher, dass dadurch die Effizienz erheblich steigen wird. Entsprechend werden die Voraussetzungen für ein Grundeinkommen besser. Wir sind ja heute schon so produktiv, dass wir gar nicht soviel verbrauchen können, wie wir produzieren.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen hätte drei weitere Konsequenzen. Zwei gute, eine schlechte. Erstens käme es zu erheblichen Lohnsteigerungen bei unattraktiven, bisher schlecht bezahlten Jobs, weil niemand mehr gezwungen wäre, sie anzunehmen. Zweitens würde Teilzeitarbeit zu einem Renner. Drittens aber, das ist die schlechte Nachricht, würde Staatsgeld mit Rechtsanspruch alimentierte Ghettos entstehen lassen.
Wenn existenzieller Zwang nicht mehr besteht, müssen die Unternehmen attraktive Arbeitsplätze bieten. Insoweit gebe ich Ihnen Recht. Ein Teil der unattraktiven Jobs kann aber auch durch Maschinenarbeit ersetzt werden. Die entsprechenden Arbeitsplatzverluste wären kein Thema mehr, weil es ja ein Grundeinkommen gäbe. Ihr drittes Argument teile ich nicht. Im Gegenteil, man öffnet die heutige Situation der Segmentierung. Ich muss den Mitbürgern schon zubilligen, dass sie wissen, was sie wollen. Heute wird ja schon unglaublich viel Sinnvolles getan, in der Freizeit, in ehrenamtlichen Tätigkeiten, in Sportvereinen, in der Kultur. Viel mehr Menschen würden auch sagen, ich mache jetzt etwas ganz anderes.
Beachten Sie die enorme Tragik, dass Millionen Menschen heute eigentlich keinen Arbeitsplatz haben, sondern nur einen Einkommensplatz, den sie längst verlassen hätten, wenn sie sich davon lösen könnten. Und wie viele bleiben in partnerschaftlichen Beziehungen, die zur Qual werden, weil sie sich eine Trennung nicht leisten können.
Sie sagen viel zur Welt der Arbeit, wenig zur Welt des Kapitals. Sind absurd hohe Renditevorstellungen von Konzernen und Praktiken von „Heuschrecken“ kein Feld für radikale Reformen?
Die Veränderungen für das Kapital ergeben sich zwangsläufig als indirekter Effekt. Wir haben heute wegen der Unsicherheit über die Zukunft ein geradezu manisches Sparverhalten. Alles, was wir sparen ist aber, salopp gesagt, Heuschreckennahrung. Die Heuschrecken investieren ja nicht ihr eigenes Geld, sondern unsere Spargelder. Weil wir sparen und meinen, auch noch hohe Zinsen bekommen zu müssen, haben wir diese Phänomene. Die Sparneigung würde sich enorm reduzieren, wenn wir von der Wiege bis zur Bahre gesichert wären. Wenn wir nicht mehr das Trauma hätten, dass wir für uns, für unser Alter und für unsere Kinder sorgen müssten und auch noch ein möglichst großes Erbe zu hinterlassen haben. Wenn diese Angst weg wäre, würden die Kapitalmärkte wieder auf ihre eigentliche Funktion beschränkt werden, auf die Finanzierung der Produktionsmittel.
Sie betonen immer wieder, ein bedingungsloses Grundeinkommen müsse mit einem anderen Steuersystem verknüpft sein. Warum sollte es nach Ihrer Vorstellung nur noch Konsumsteuern geben?
Schon heute steckt das ganze Steueraufkommen in den Produktpreisen. Sämtliche Steuern und Abgaben, die, unter welchem Titel auch immer, an den Staat fließen, müssen zunächst von den Unternehmen am Markt verdient werden. So gesehen, haben wir schon heute eine einzige große Konsumsteuer.
Wichtiger aber ist eine andere Überlegung. Wenn wir in Deutschland nur noch den Konsum besteuern und alle sonstigen Steuern und Abgaben streichen, dann haben wir das für die Globalisierung passende System. Heute belasten wir die menschliche Arbeit, nicht die Maschinenarbeit. Weil aber nur die Arbeit belastet wird, geht sie weg und wandert aus. Mit einer Konsumbesteuerung werden Menschen- und Maschinenarbeit gleich besteuert, weil nur das Ergebnis der Wertschöpfung belastet wird. Und zusätzlich würden wir Arbeit subventionieren durch das Grundeinkommen.
Ein solches Steuersystem wäre in der Tat extrem einfach und effizient. Bei den Einkommen würde immer brutto gleich netto gelten. Es gäbe keinerlei Anreiz für Steuerflucht und Schwarzarbeit. Der gravierende Nachteil ist nur, dass sich die Umverteilung von oben nach unten, die es aufgrund von Steuerfreibeträgen und Steuerprogression noch gibt, ins Gegenteil verkehrt. Einkommensschwache Haushalte, die nicht sparen und alles für den Konsum ausgeben, hätten dann einen prozentual höheren Steueranteil als Millionäre.
Zu glauben, dass heute Verteilungsgerechtigkeit über das Steuersystem organisiert wird, ist ein Irrtum. Und selbst wenn es so wäre, so ist doch das bedingungslose Grundeinkommen mehr als ein adäquater Ersatz, weil es nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Freiheit ermöglicht. Außerdem könnte man die Konsumsteuer staffeln. Die Mieten sind schon heute steuerfrei, Brot hat den halben Mehrwertsteuersatz, andere Güter den vollen. In anderen Ländern gibt es darüber hinaus sogar noch höhere Steuersätze auf Luxusgüter. Auch das könnte man bei Bedarf machen.
Wie würde das Ausland reagieren, käme in Deutschland der von Ihnen beschriebene Systemwechsel zustande?
Es wäre tendenziell gezwungen, dasselbe zu tun, um attraktiv zu bleiben. Denn mit einem Systemwechsel würde Deutschland zu einem Investitionsparadies. Kein Unternehmen, das heute die Arbeitsplätze ins Ausland verlegt, würde das noch machen, weil man nirgends so produktiv arbeiten kann wie in Deutschland, mit den Menschen, mit dem Know How, mit der Infrastruktur.