Seit dem Reichsgründungsjahr 1871 soll im uralten Zusammenspiel von „Thron und Altar“ das deutsche Strafgesetzbuch Gott, den Herrn, schützen. 1969 wurde das berüchtigte Rechtsrelikt, der „Gotteslästerungsparagraph“ 166 StGB, nach manchen ent-, nach anderen verschärft. Und 1986 wollte ihn eine Gesetzesinitiative aus dem stets besonders gottergebenen Bayern gar (noch einmal) verschärfen. Und gerade macht, dies zu tun, die CDU/CSU – Bundestagsfraktion einen neuerlichen Vorstoß:
Dabei wurde die Abschaffung des „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (Tucholsky) schon in der Weimarer Republik angemahnt, jedoch durch das – von den deutschen Bischöfen einst als „einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes“ gefeierte und zwölf Jahre entsprechend geförderte – Hitlerregime sowie sein noch immer gültiges Konkordat erhalten. Und die bundesrepublikanische Justiz hat nach diesem eher grundgesetzwidrigen, die Ruhe der Prälaten jedenfalls höher als das Rechtsgut der Meinungs- und Gewissensfreiheit ansetzenden Paragraphen (und nach dem § 167, Störung des Gottesdienstes) hunderte von Menschen angeklagt und nicht selten verurteilt – unter heftigem Protest auch aus dem Ausland (von Günther Anders über Vladimir Dedijer, Jean Michot, Sir Hermann Bondi bis zu Noam Chomsky, George Wald u. a. ).
Nach diesem Paragraphen aber, der jeden bedroht, der den „Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer“ beschimpft, wären Goethe, Schiller, Heine, Nietzsche oder Freud ebenso vor den Kadi gezerrt worden wie die Heiligen Chrysostomos, Hieronymus, Augustin und hundert andere heilige Gottesmänner, die sogar (andersgläubige) Christen „stinkenden Unrat“ nannten, „wilde Tiere“, „schmutzige Schweine“, „Schlachtvieh für die Hölle“ etc. etc. und, von Luther ganz zu schweigen.
Doch kann ein Allmächtiger, der so ohnmächtig ist, daß ihn ein Paragraph schützen muß, ein nach Inquisition riechender, anachronistischer und eines demokratischen Rechtsstaates unwürdiger Paragraph, juristisch gerettet werden? Und geht es denn um ihn? Es geht um seine Diener doch, die sich heute mit ihrer Glaubensverkündung nicht einmal bei ihren eigenen Gläubigen mehr recht Respekt verschaffen können. Und darum muß sie der Paragraph schützen. Und darum wieder sind Versuche ihn abzuschaffen bei dem florierenden Staats-Kirchen-Filz für die Katz.

Jürgen Gottschling

Feb. 2008 | Allgemein, Feuilleton, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren