Die Rede im Wortlaut:
Vor wenigen Tagen sah ich auf dem Universitätsplatz in Heidelberg einen Mann mittleren Alters, der vor einem Papierkorb stehen blieb und darin wühlte. Es war kein Obdachloser. Der Mann war ordentlich gekleidet, er hatte keinen schwankenden Gang und machte auch sonst einen durchaus normalen Eindruck. Ich sprach ihn an. Nein, er lebe nicht auf der Straße. Er sei nur arbeitslos, seit Längerem schon. Er ernähre sich von der Stütze und er suche in den Papierkörben nach Pfandflaschen, die er dann im Supermarkt zu Geld machen könne. Gerade wollte ich mich von ihm verabschieden, da sagte er. „Na ja, und manchmal finde ich auch etwas zu essen.“ Dies ist kein Einzelfall. Auch über die Heidelberger Bahnhofsmission ist mir bekannt, dass Menschen – wie zuvor geschildert – um eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot bitten. Menschen, die offenbar zu arm sind um sich regelmäßig eine Mahlzeit leisten zu können.
Wann gilt jemand als „arm“? Allgemein bezeichnet Armut eine Situation wirtschaftlichen Mangels, die verhindert, ein angemessenes Leben zu führen. Diese zunächst sehr theoretische Definition soll im Folgenden konkret auf die Situation in Deutschland bezogen werden. Dabei spricht man nicht von Armut, sondern von „Armutsgefährdung“.
Wer ist in Deutschland armutsgefährdet? Die Armutsgefährdungsquote – das
ist nach EU-Definition der Anteil der Personen, die mit weniger als 60% des mittleren
Einkommens auskommen müssen. In Zahlen: Eine allein lebende Person ist demnach in Deutschland von Armut bedroht, wenn sie weniger als 856 € im Monat zur
Verfügung hat. Eine Familie mit zwei Kindern ist unterhalb eines verfügbaren
monatlichen Einkommens von 1.798 € von Armut bedroht, eine Alleinerziehende mit
zwei Kindern unter 1.370 €.
II.
Arbeiterwohlfahrt und Caritas stellten aufgrund von Recherchen in ihren Einrichtungen in Heidelberg fest, dass die Verarmung bestimmter Kreise unserer Bevölkerung immer deutlicher zutage tritt. Dies zeige sich besonders deutlich daran, dass
• Kinder, die die Kinder- und Jugendeinrichtungen besuchen, zu Hause eine
ungesunde oder unzureichende Ernährung erhalten oder ganz ohne Frühstück kommen.
• Freizeitunternehmungen von Kindern nicht mehr besucht werden können,
weil die Kosten für Eintrittspreise das Familienbudget übersteigen. Dadurch
werden die Kinder ausgegrenzt und zunehmend isoliert.
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• Betreuungsbeiträge in Kindertagesstätten immer häufiger von den Kommunen übernommen werden müssen.
• Schuldnerberatung zunehmend nachgefragt wird.
• Familien immer weniger bezahlbare Wohnungen finden.
• Ältere Menschen unterer sozialer Schichten doppelt so viele chronische
Erkrankungen haben wie Menschen aus den mittleren und oberen Schichten.
Aufgrund dieser Feststellungen schrieben der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt
Heidelberg, Dieter Bächstädt, und ich einen Brief an Frau Oberbürgermeisterin
Beate Weber und baten um die Erstellung eines Armut-/Reichtumsberichts für
Heidelberg. Daraus entstand in Folge der „Bericht zur Sozialen Lage in Heidelberg“.
III.
Aufgrund eigener Untersuchungen und dem „Bericht zur Sozialen Lage in Heidelberg“ komme ich zu folgenden Schlussfolgerungen:
• Im Vergleich zu anderen Großstädten bewegt sich Armut in Heidelberg auf einem relativ niedrigen Niveau.
• Aber auch in unserer Stadt mit dem Image der Wohlhabenden und
Akademiker driften die Einkommen immer weiter auseinander, gibt es strukturelle Arbeitslosigkeit, steigt der Niedriglohnsektor an, leben ca. 11.600 arme Menschen (8%), darunter etwa 2.600 Kinder unter 16 Jahren (15%), die teilweise dauerhaft von sozialer Fürsorge abhängig sind.
• Armutsrisiken sind vor allem Arbeitslosigkeit, fehlende Bildungsabschlüsse
sowie das Leben in einem Haushalt ohne weitere Erwachsene (Alleinerziehende, Einpersonenhaushalte). Über 40% der Arbeitslosen und jeweils knapp ein Drittel der Alleinerziehenden sowie der Personen ohne abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung sind armutsgefährdet.
• Menschen mit Armutsgefährdung müssen im Alltag auf viele grundlegende Dinge verzichten. Sie leben häufiger in Wohnungen mit baulichen Mängeln und Lärmbelästigung. Über die Hälfte der Armutsgefährdeten kann es sich nicht leisten, eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen oder unerwartete Ausgaben zu bewältigen (zum Beispiel eine defekte Waschmaschine zu ersetzen).
• Armut behindert auch den Zugang zur Gesundheitsversorgung:
Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen halten mehr als ein Fünftel der Armutsgefährdeten (und immerhin 7% der nicht Armutsgefährdeten) davon ab, sich einer notwendigen ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung zu unterziehen. Zugleich schätzen Armutsgefährdete ihren eigenen Gesundheitszustand wesentlich schlechter ein und geben häufiger an, chronisch krank zu sein.
• Auch in Heidelberg zeigt sich die in allen Großstädten Deutschlands zu beachtende Tendenz, dass die „Armut im Wohlstand“ zunimmt und je nach städtebaulicher Situation, ein mehr oder weniger enges Nebeneinander von Inseln des Wohlstands und Inseln der Armut bildet. Öffentlich kaum wahrgenommen haben sich aber auch hier „pockets of poverty“ gebildet,
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Fazit: Es ist notwendig, dass die Stadtverwaltung die Konsequenzen aus dem
„Bericht zur Sozialen Lage“ zieht und alsbald ein Handlungskonzept mit konkreten
Maßnahmen erarbeitet und dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorlegt. Ich
habe jedoch den Eindruck, dass wegen der Vielzahl der andiskutierten Großprojekte
(„Stadt an den Fluss“ / Theatersanierung / Konferenzzentrum / „Bahnstadt“) die
Interessen der unterprivilegierten Bevölkerungskreise zu kurz kommen. Der Verkauf
der GGH-Wohnungen im Stadtteil Emmertsgrund verdeutlicht dies am besten.
IV.
Dem Stadtblatt (Nr. 6, S. 1) vom 6. Februar 2008 ist zu entnehmen, dass die
städtische Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz mbH (GGH) 610 Wohnungen
in der Emmertsgrundpassage an die Dresdner Grund- und Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG (DREGES) verkaufen darf.
Als ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der GGH erwarten Sie von mir zu Recht
eine Aussage zu diesem Vorgang:
Der Wohnungsbestand der GGH beinhaltet überdurchschnittlich viele Wohnungen
aus den 1920er und 1950er Jahren, über 80% sind älter als 20 Jahre. Entsprechend
groß ist der Instandhaltungs- und Anpassungsbedarf der Gebäude in struktureller
Hinsicht. Die von der Neuen Heimat übernommenen und aus den 1970er Jahren
stammenden Gebäude in der Emmertsgrundpassage erfordern erhebliche
Finanzmittel um sie zu unterhalten. Dieses Geld hat die GGH nicht. Ich verstehe
deshalb, dass sich die Geschäftsleitung der GGH, von diesem Wohnungsbestand
trennen will. Aufgabe ihrer Gesellschafterin – der Stadt Heidelberg – wäre es jedoch,
die städtische Wohnungsbaugesellschaft in die Lage zu versetzen ihrem Auftrag
„vorrangig eine sozial verantwortbare Wohnungsversorgung für breite
Schichten der Bevölkerung sicherzustellen“ nachzukommen. Ich finde es deshalb
richtig, dass die SPD-Fraktion dem Verkauf der Wohnungen nicht zugestimmt hat.
Zumal die GGH „breite Schichten der Bevölkerung“ schon lange nicht mehr mit
Wohnraum versorgt, sondern nur noch Haushalte, die Zugangsschwierigkeiten zum
allgemeinen Wohnungsmarkt haben.
Nach meiner Meinung muss der Gemeinderat seine Wohnungsbaugesellschaft
finanziell so ausstatten, dass sie nicht gezwungen ist, Teile ihres Wohnungsbestandes zu veräußern. Gemessen an den Kosten für die Großprojekte ist dies ein vergleichsweise bescheidener Betrag.
V.
Trotz aller Abwendung von der Politik – die niedrigen Wahlbeteiligungen bei Bundes- , Landes- und Bürgermeisterwahlen weisen darauf hin – ist das Interesse der Bürgerschaft an mehr Beteiligung bei kommunalen Entscheidungsprozessen gewachsen.
Bürgerbefragungen und Bürgerentscheide sind ein deutliches Zeichen dafür, dass
Menschen mitreden und mitentscheiden wollen. Dies trifft zu Recht auch auf das
„Bürgerbegehren für den Erhalt städtischer Wohnungen“ zu. Oberbürgermeister Dr.
Eckart Würzner und der Gemeinderat haben es meiner Ansicht nach bislang nicht
nur versäumt, Prioritäten bei der Vielzahl von Großprojekten zu setzen und der
städtischen Wohnungsbaugesellschaft einen entsprechenden Stellenwert einzuräumen, sondern vernachlässigen mit dem Fokus auf diese Großprojekte die Interessen der ärmeren Bevölkerungsschichten.
VI.
An den Schluss meiner Ausführungen möchte ich folgendes Gleichnis des chinesischen Philosophen Dschuang Dsi [lebte im 4. Jh. v. Chr. in Mong / Südwestchantung] stellen:
„Der Herr der gelben Erde fragte den Pferdejungen: ‚Die Regierung der Welt ist
allerdings nicht dein Geschäft, mein Sohn, und dennoch möchte ich dich fragen, wie
man die Welt regiert.’ Der kleine Knabe lehnte die Antwort ab. Als der Herr der
gelben Erde abermals fragte, da sprach der kleine Knabe. ‚Die Regierung der Welt
unterscheidet sich in nichts vom Pferdehüten. Man muss einfach fernhalten, was den
Pferden schaden kann. Nichts weiter.’ Da verneigte sich der Herr der Gelben Erde
zweimal bis zum Boden, nannte ihn seinen himmlischen Meister und zog sich zurück.“
Meine Forderung an die Verantwortlichen in Bund und Land und unserer Stadt lautet:
Haltet von Heidelberg und seinen Bewohnern fern, was ihnen schaden kann!
20.Feb.2008, 12:56
„Meine Forderung an die Verantwortlichen in Bund und Land und unserer Stadt lautet:
Haltet von Heidelberg und seinen Bewohnern fern, was ihnen schaden kann!“ so ‚da oben‘ zu lesen.
nun, was wäre das? mal ironisch:
– neue firmen (die durchweg schädlich zu sein scheinen) werden erfolgreich von heidelberg ferngehalten, dank stadtrat und neinsagerlobby.
– soziale verbesserungen wie in mannheim (wo OB Kurz eine menge meiner wahlkampfforderungen aufgenommen hat!) könnten heidelbrgs satte etablierte auch schaden! also weiterhin trallala politik gepaart mit ringel-reihetanz und im-kreise-drehn (siehe emmertsgrund hin und her).
– kritik scheint auch extrem schädlich zu sein, denn liest man mal im rnz-blog, was mit kritikern wie mir angetan wird, dann lässt sichd as damit erklären,d ass heidelberg stolz darauf ist, die zu hofieren, die tausende arme & armutsbedrohte zu verantworten haben, aber soziale besserungen bekämpfen!