wein.jpgJesus war ein Bauernsohn. So ungefähr sagt das der heilige Augustinus in seiner Predigt über das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg aus dem zwanzigsten Kapitel des Evangeliums nach Matthäus. In der Lesart des Augustinus sagt der Herr im Evangelium: „Pater meus est agricola“, mein Vater ist ein, oder, besser gesagt, der Bauer, der Weinbauer, der den Weinstock gepflanzt hat, der Jesus Christus ist. „Ihr seid die Reben“, ihr, die Leser des Evangeliums, die Hörer der Predigt, alle Menschen. Aus dem Bild vom lebendigen Weinstock, dessen Triebe wiederum lebendige Wesen sind, leitet Augustinus ab, wie merkwürdig der Gedanke einer christlichen Kultur ist.

„Colit nos deus“, Gott pflegt uns, wie der Winzer sich um seine Stämme und Trauben kümmert – das sei ein seltsamer Gedanke, denn selbstverständlich sei uns das Gegenteil: „Nos colimus deus“, wir pflegen, wir kümmern uns um Gott. Schließlich führt jeder Mensch Gott im Munde. Eine Zeit, der die empirische Basis für die augustinische Kritik der geläufigen Gottesrede weggebrochen ist, hält den Zusammenhang von Christentum und Kultivierung weithin immer noch für unproblematisch. Wer am Dogma zweifelt, will auf die christliche Kultur doch nicht verzichten. Schiebt man das Bild vom lebendigen Rebstock und das Gleichnis von den Arbeitern übereinander, erhält man den Keim der Vorstellung, die etwa im Ideal des Oscar Wilde Sittengeschichte geschrieben hat, nämlich die christliche Ethik lehre die Selbstkultivierung: Die Reben seien die Arbeiter, christliches Leben sei Seelenarbeit. Wer sich aber auf die von ihm geforderte Arbeit an der eigenen Vollkommenheit etwas einbildet, hat die Rechnung ohne den Wirt respektive des Weinbauern gemacht. Am Zahltag, das ist die Pointe des Gleichnisses, tritt durch die Gleichbehandlung aller Arbeiter hervor, daß niemand seinen verdienten Lohn erhält: Das Heil wird „ohn alles Verdienst“ erlangt. Die himmlische Gerechtigkeit suspendiert das irdische Recht, das im Stundenlohn sein Palladium hat. Wie süß die Trauben auch immer sein mögen, die in mühevollster Handarbeit gelesen wurden – alle Kulturtechniken, die sich im Laufe der Zeit unendlich verfeinern lassen, hat der Herr gestiftet wie der Weinbergbesitzer die Werkzeuge. Augustinus gewinnt der Sozialgeschichte des Urchristentums ihren heilsgeschichtlichen Sinn ab. Eine „kunstreiche Gnade“ war es, daß Jesus als erste Jünger nicht Senatoren berufen hat, sondern Fischer. „Er wußte nämlich, daß, wenn er einen Senator ausgewählt hätte, dieser sagen würde: Mein Rang ist auserwählt worden.“ Und so würde ein Reicher auf seinen Wohlstand verweisen, ein Kaiser auf seine Macht, ein Redner auf seine Eloquenz und ein Philosoph auf seine Weisheit – und, naja, ich auf mich. Wenn die Kardinäle einen Papst bestimmen, fällt ihre Wahl traditionsgemäß auf einen aus ihrem Kreise, einen Senator der römischen Kirche. Diesmal hat sie einen Sohn einfacher Leute getroffen, der nach Auskunft des Erdkreises redegewandt und weise ist. Was aber soll aus uns werden? Was haben wir davon, daß wir alles aufgegeben haben? Als Antwort auf diese Frage des Petrus erzählt Jesus das Gleichnis von den Arbeitern. Der zweihundertvierundsechzigste Nachfolger des Petrus hat sich in seinen ersten Worten als letzter bei diesen Erntehelfern eingereiht. Nach menschlichen Begriffen ist es anmaßend, die Arbeit des großen Papstes Johannes Paul fortsetzen zu wollen. Das kann nur durch die Gnade dessen geschehen, vor dem alle feinen Unterschiede nichts gelten. „Folge mir, du armer Idiot“, so paraphrasiert Augustinus die Berufung des ersten Papstes, „an dir ist nichts, was Respekt gebietet, aber viel, das gefüllt werden kann. Denn zu einer so reichen Quelle muß man ein leeres Gefäß bringen.“ Bringt also Benedikt viele leere Gefäße – und es wird (vielleicht) gut (gewesen) sein.

gott

Feb 2008 | Allgemein, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | Kommentieren