Muss man wirklich alles wissen über linksdrehende Joghurts und rechtsdrehende Schriftsteller? Plädoyer für ein gesundes Desinteresse an der Jugend und den Neuigkeiten der Welt.
Diese Erschütterung, man könnte sie elementare Entrüstung nennen, der man begegnet,wenn man nicht jederzeit aktuell und umfassend informiert ist! Putsch in Nicaragua, was ist heute in Bagdad explodiert, welcher Tsunami rast durch welche Ortschaft. Muss man alles wissen. Umfassend informiert sein, um die Welt zu verstehen, um mitzureden.
Ist Bush gut oder böse – der kleinste gemeinsame Nenner wird dann zum Stammtischthema, und wehe, man äußert zu solch brennenden Fragen ein gelangweiltes: Ist das nicht alles ziemlich egal?
Wissen, sagt man, hilft die Welt ein wenig zu verstehen, die Welt, die so unglaublich komplex ist und überhaupt nicht banal. Deshalb ist es wichtig, gut informiert zu sein: über linksdrehende Joghurts und rechtsdrehende Schriftsteller, über den Tibeter und seine deutsche Kanzlerin, den Sauerländer und seine Frau und die Ethik und den Respekt und morgen schon wieder weg und dann aber die nächste Sau durchs Dorf. Der Hunger in Afrika und der deutsche Semmelsänger, der den Hunger wegsingt, und sind wir nicht Helden, aber hallo, und kuckmal den Blutandrang in Bayern,wie der platzt nach dem Spiel, dem wichtigen Spiel, und die Neue von dem andern ist erst zwanzig oder acht, hast du Töne, das war ja immer ein übler Finger, und Keira Knightley ist aber ganz süüß und überhaupt nicht, wie du sagst, die ist gar nicht oberflächlich und geht auch nicht gern auf Partys, und die Menschenrechte, o ja, unbedingt die Menschenrechte, ganz schlimm.
Doch wem hilft es beispielsweise zu wissen, dass wir dünn und jung sein müssen, wie wir es gerade überall sehen und lesen können? Ein warmer Tag, und die Freibäder gefüllt mit altem Fleisch, Damen um die siebzig mit Hirschgeweihen über dem Steiß, mit tätowierten Ketten um den Arm und Löchern diverser Piercings. Die Männer, im Rollstuhl dann, immer noch die Aktentasche auf den Knien, und Trainingjäckchen, wie lange halten die sich noch?
Verständlich, bei diesen Aussichten, dass keiner mehr alt werden will. Sein schon gar nicht. Keiner macht uns mehr vor, wie das auf angenehme Art funktionieren kann.
Es muss doch irgendwann einmal anders gewesen sein. Zeiten, in denen Leutchen die Klappe hielten, wenn sie noch zu jung und zu dumm waren, um eine Meinung zu allem zu haben. Zeiten, in denen erwachsene Menschen in schöne Tuche gekleidet in den beginnenden Sommer zur Mandelblüte auf Malle fliegen, und mit Karacho die Früchte jemandes Arbeit genießen. Ist nicht mehr? Ist doch!
Heute wollen alle eine Meinung haben und sich Gehör damit verschaffen, sie wollen ums Verrecken nicht älter werden, weil man ja viel länger alt ist als jung. Weil eigentlich jeder Körper ab dem zehnten Jahr das Deformieren beginnt, weil Menschen nun einmal keine niedlichen Geschöpfe sind, darum quälen sie sich alle und machen sich mit kleinen Tretrollern zu Deppen. Das Altern liefert dem Menschen den perfekten Grund, seinen Hass auf sich mit voller Wucht auszuleben. Vergangene Zeiten waren in fast jeder Hinsicht schlechter als die unsere, bis auf den kleinen Umstand des angenehmen Alterns. Damen mit Hütchen, Herren mit Gehröcken flanierten unter Lindenbäumen, redeten mit ihresgleichen und blickten mit leisem Mitleid auf die Jugend. Keinem wäre damals in den Sinn gekommen, noch einmal jung sein zu wollen, zurück in das Alter der hilflosen Ahnungslosigkeit, des unerfüllten Sehnens und des Glaubens, das eigene Leben würde sich unbedingt und auffallend von dem der Älteren unterscheiden. Schön war das damals, mit Würde und gut gekleidet zu sterben, und nicht mit einem tätowierten Arschgeweih in die Grube zu fahren.
Hoppla, jetzt habe ich mich in Rage geredet. Also, die Informationen:
Wie vortrefflich es sich ohne aktuellen Zeitbezug und ohne Hass auf den eigenen Leib leben lässt, merkt man im – nennen wir das mal – Urlaub. Irgendwo, recht weit weg, ein etwas kleineres Dorf als Heidelberg, eine ihrer in dieser Zeit ihrer Mandelblüte wegen bekannte Insel. Und schon nach einer Woche weiß man nicht mehr, wer Hartz IV ist, und Riester, und Mager- Models, und was sie mit dem eigenen Leben zu tun haben sollen, das mag einem gerade so wenig mehr einfallen, wie, weshalb wir uns unwohl fühlen sollen mit XXL. Nach einer weiteren Woche beginnt man ein Leben zu führen, wie es vielleicht allen Menschen zustünde, wenn die Welt ein freundlicher Ort wäre, ein Ort für alle, die guten Willens sind.
Man lebt mit der Sonne, die auf- und untergeht, man beginnt (Foto: Dieter Blum) zu lächeln und sich stundenlang in der Betrachtung kleiner Insekten zu verlieren. Dizep kocht, kauft ein, schleppt das Zeug in die Finca (nächstes mal denkt er halblaut dennoch, nur wieder mit Ulla) wäscht sich unter einer „Freidusche“, friert am Abend und wir werden mit Veterano, mit einem wunderschönen Sonnenuntergang und mit der Dunkelheit müde und eine merkwürdig große Ruhe überkommt einen.
Aber leider wird man all das gesunde Desinteresse an fremder Leuts Leben, an Neuigkeiten und Schlagzeilen wieder vergessen. Zurück zu Hause. Mit der Morgenzeitung, den Mails, den Nachrichten, den Info-Tickern, dem Radio, den Events, den Haufen, all diesen Haufen, die wir in unser Hirn packen – und wozu, das wüssten wir, wären wir ehrlich, nicht zu sagen. Und schon schmeißen sie wieder den ersten Stein auf jenen Morgenstern, den spielsüchtigen. gott