Wir leben in einer Zeit der Ungleichzeitigkeit: Während wir technologisch im 21. Jahrhundert stehen, sind unsere Weltbilder mehrheitlich noch von Jahrtausende alten Mythen geprägt. Diese Kombination von höchstem technischen Know-how und naivstem Kinderglauben könnte auf Dauer fatale Konsequenzen haben.Der Gefahren wegen, die aus der Renaissance unaufgeklärten Denkens in einem technologisch hoch entwickelten Zeitalter erwachsen, entwerfen wir mit einem Manifest des Evolutionären Humanismus eine säkulare Gegenposition, die im Einklang mit den häufig desillusionierenden Ergebnissen der (natur-) wissenschaftlichen Forschung steht. Das Manifest liefert auf diese Weise nicht nur eine kompakte Zusammenfassung der Grundpositionen einer „zeitgemäßen Aufklärung“, es will auch als ein entschiedenes Plädoyer für eine „alternative politische Leitkultur“ verstanden wissen, die auf die besten Traditionen von Wissenschaft, Philosophie und Kunst zurückgreift, um das unvollendete Projekt der aufgeklärten Gesellschaft gegen seine Feinde zu verteidigen.

Keine Einschränkung der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit aus Rücksicht auf religiöse
Borniertheit! Für ein klares Bekenntnis zu den Werten von Humanismus und Aufklärung!

Als Reaktion auf ständige Interventionen islamistischer Verbände und auf das Einlenken westlicher  Regierungen, die sich zu guter Letzt als nichts anderes darstellen, denn als die Liquidierung  der letzten Überreste der französischen Revolution versucht nun die Arabische Liga, auch im Westen wieder altbekannte Zustände einzuführen: die Zeit der Ketzerprozesse und Scheiterhaufen, das klassische Mittelalter, in der die Religion das Sagen hat und auf Vernunftgebrauch die Todesstrafe steht. Der Zeitgeist weht gut für offene Zensurwünsche der Arabischen Liga, die sich immer mal wieder damit an die Vereinten Nationen wendet. Das UN-Parlament solle einen Beschluss fassen, der „beleidigende Angriffe gegen religiöse Überzeugungen“verbiete.

Auch wenn die meisten westlichen Politiker in ihren Stellungnahmen das hohe
Gut der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit würdigten, bemühten sie sich doch, im
gleichen Atemzug ihr tiefes Verständnis für die „verletzten religiösen Gefühle“ und
ihre Abscheu gegenüber den vermeintlichen und – oder vorgeblichen“geschmacklosen“ Äußerungen aufgeklärter Köpfe (die in Wirklichkeit weit harmloser waren als beispielsweise Monty Pythons „Das Leben des Brian“!) zu demonstrieren. Auch auf diese subtile Weise sollen fundamentale Freiheitsrechte auf dem Altar der Diplomatie geopfert werden.

Der gegenwärtige Skandal kommt einigen zensurwilligen Politikern in Deutschland (aber
auch in anderen westlichen Ländern) sehr gelegen. Seit vielen Jahren schon versuchen
Teile der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Rückenwind der Kirchen, den sog. „Gotteslästerungsparagraphen“ 166 des Strafgesetzbuches zu verschärfen. Zwar scheiterten bislang noch sämtliche christlichen Versuche, die „freche Kritik an der Religion“ gänzlich zu verbieten, aber dank der tätigen Unterstützung islamischer Fundamentalisten könnte dieser Anschlagauf die bürgerlichen Freiheiten in absehbarer Zeit nun doch gelingen. (Hieran erkennt man übrigens, dass die entscheidenden Fronten im „Kampf der Kulturen“ nicht zwischen islamischer und christlicher Welt verlaufen, sondern zwischen den „Vertretern von
Humanismus und Aufklärung“ einerseits und den diversen „Feinden der offenen Gesellschaft“ andererseits!)

Was heute Not tut, ist ein klares Bekenntnis zu den Werten von Humanismus und Aufklärung.

Es sollte einsichtig sein, dass wir unter den Bedingungen einer hoch technisierten
Welt auf das „aufklärerische Ärgernis der Kritik“ angewiesen sind. Deshalb ist Vorsicht
geboten, wenn allzu große Rücksicht auf „religiöse Gefühle“ verlangt wird. Der Verweis
auf „verletzte religiöse Gefühle“ dient den religiösen Kräften nämlich in erster Linie
dazu, die eigene weltanschauliche Engstirnigkeit unter „Denkmalschutz“ zu stellen!
Die Konsequenzen solcher Kritikimmunität sind katastrophal: Wer sich mit „heiliger
Empörung“ gegen jede Kritik sperren kann, wird kaum die Fähigkeit entwickeln, falsche
Ideen sterben zu lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen.

Wir müssen es daher allen Gläubigen – nicht nur den Muslimen! – abverlangen, dass
sie sich mit der Kritik an ihrem Glauben auseinandersetzen. Dem frischen Wind der
Kritik darf sich niemand entziehen, auch dann nicht, wenn die Kritik die Absurdität
und Lächerlichkeit der eigenen Überzeugungen zu Tage fördert. Zugegeben: Man hört
es nicht gerne und es ist auch im höchsten Maße „political incorrect“, aber bei Licht
betrachtet, lässt sich kaum von der Hand weisen, dass ein Großteil dessen, was Menschen
glauben, im höchsten Maße lächerlich ist. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich,
dass die Kritik an der Religion häufig im Gewand der Satire auftritt. Anders würde
sie ihrem Gegenstand kaum gerecht werden. Man mag dies begrüßen oder bedauern, fest
steht aber: Ohne die Kraft des aufklärerischen Spottes hätte auch das europäische
Christentum nicht gezähmt werden können. Erst als die Menschen begannen, über die
halsbrecherischen intellektuellen Verrenkungen des Christentums und die menschlich
allzumenschlichen Schwächen ihrer religiösen Führer zu lachen, konnten sie die über
Jahrhunderte antrainierten Ängste vor Hölle und Teufel überwinden und dem religiösen
Missionseifer eine deutliche Absage erteilen.

Fazit: Hätten die Aufklärer der Vergangenheit nicht den Mut aufgebracht, religiöse
Gefühle zu verletzen, würden in Europa die Scheiterhaufen wohl heute noch brennen.
Angesichts der sehr realen Gefahr, dass wir möglicherweise auf ein Zeitalter der Religionskriege zusteuern, brauchen wir deshalb in der gegenwärtigen Situation nicht weniger, sondern weit mehr religionskritische Stimmen in der öffentlichen Debatte. Die Zeiten, in denen weltanschauliche Offenheit religiösem Offenbarungswahn geopfert wurde, müssen endgültig vorbei sein!

Dies zu erreichen, muß erlaubt sein, folgende Forderungen  an die Politik zu stellen:

Alle Versuche, die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit einzuschränken, müssen sofort
eingestellt werden! Konkret: §166 StGB darf nicht verschärft, sondern sollte ersatzlos
gestrichen werden! Die Religionen dürfen vom Gesetzgeber keineswegs den Freibrief
erhalten, sich gegen Kritik zu immunisieren. Wer Zensur erlaubt, will Denken verbieten!

Auf internationaler Ebene muss entschieden dafür gekämpft werden, dass die gängige
Praxis, Religionskritiker zu inhaftieren, zu foltern, zu ermorden, in aller schärfster
Form geächtet wird und empfindliche Sanktionen nach sich zieht. Die Durchsetzung der
Menschenrechte hat oberste Priorität. Sowohl religiöse Traditionen als auch ökonomische
Interessen müssen sich dem unterordnen.

Die Verantwortlichen in Medien und Politik müssen endlich vernünftige Bedingungen
für eine offene Debatte über Religionen schaffen. Die Angst vor der „Verletzung religiöser
Gefühle“ hat bei vielen Medienvertretern „Scheren im Kopf“ erzeugt. Konsequente Religionskritiker kommen nicht nur in islamischen Ländern, sondern auch in Westeuropa kaum zu Wort, viele religionskritische Stellungnahmen werden vorauseilender Resignation
bzw. Selbstzensur wegen gar nicht erst veröffentlicht.

Wer (wie weiland etwa „Jyllands Posten“) fremde Religionen kritisiert, sollte dringend auch vor der eigenen Tür kehren! Wer von einer aufklärerischen Position heraus den Islam kritisiert, sollte in seiner Kritik die anderen Weltreligionen (insbesondere die artverwandten
abrahamitischen Religionen Christentum und Judentum) nicht aussparen. Die autoritätsfixierten, apokalyptischen Wahnvorstellungen, die den gegenwärtigen islamischen Fundamentalismus bestimmen, findet man in ähnlicher Ausprägung auch bei strenggläubigen, wir nennen sie fundamentalistischen  Christen und Juden. Es erzeugt ein falsches Bild, wenn man das Übel allein bei den Muslimen sucht.

Der weltweit boomende Fundamentalismus ist nicht zuletzt Ausdruck gravierender politischer, ökonomischer und sozialer Missstände in der Welt. Die westliche Politik sollte sich bemühen, diese Missstände zu beheben, statt die Prinzipien der Aufklärung auf dem
Altar einer kurzsichtigen Diplomatie zu opfern. Letzteres wäre schon allein deshalb
verfehlt, da Fundamentalisten dazu neigen, jedes Zugeständnis ihrer weltanschaulichen
Gegner als Zeichen der Überlegenheit ihres eigenen Glaubenssystems zu interpretieren.

All jene, die sich den Werten von Humanismus und Aufklärung verpflichtet fühlen,
sollten den Mut aufbringen, öffentlich Farbe zu bekennen. Es ist an der Zeit, Klartext
zu sprechen, gerade auch in Bezug auf Religion. Wir dürfen uns nicht länger davor
drücken, in aller Deutlichkeit zu formulieren, wofür wir eintreten und wogegen wir
uns wenden. Die Fortführung des Projekts der Aufklärung verlangt nicht nur kluge Köpfe,
sondern auch die Fähigkeit zum aufrechten Gang. got

Jan 2008 | Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | 1 Kommentar