Es ist das Schlechteste nicht, wenn ein Autor eine Heimat hat, wohin er immer wieder zu seinen Stoffen zurückkehrt. Die literarische Hans Christoph Buchs, des Weltreisenden, ist die Karibik. Vorfahren ließen sich einst in Haiti nieder. Eine zweite Heimat ist ihm die Literatur selbst: Bücher von ihm heißen Kritische Wälder (nach Herder) oder (nach Kleist) Die Hochzeit von Port au Prince. Und immer mal wieder hat er darin sein Personal grimassieren lassen auf den Stelzen historischer oder historisierender Stile, so traurig-komisch, als wollte er als Erzähler seine Leser mit den Ungeheuerlichkeiten verschonen, die er ihnen als Reporter zumutet.
Fast zwangsläufig, dass in Buchs Tod in Habana jetzt ein Achenbach auf der Suche nach einem jungen Afro-Kubaner in Kubas Hauptstadt unterwegs ist. Thomas Mann bot in Tod in Venedig seinen Aschenbach als einen – kraft Silberzunge – rundum harmonisierten imperialen Dekadent und Großschriftsteller auf. Ein Groß-Reisender und Flaneur ist Buchs Held, aber einer mit früh gebrochener Biographie. Auf linken Gruppenreisen hat er als junger Mann, mal betört mal verstört, an den Jungendjahren der kubanischen Revolution teil gehabt. Jetzt treibt allein noch das Verlangen nach dem Knaben den Alternden durch die Stadt. Und überall um sich herum nur Armut, Elend, Ausschweifung und politisch verbrämte Hurerei, während der Maximo Leader „bei lebendigem Leib verwest zusammen mit dem von ihm geschaffenen System“.
Alles wäre einfach, wäre es allein Sache Achenbachs, der Romanfigur, dies und Ähnliches zu bemerken und zu notieren. Aber nicht nur ist der Autor seiner Figur einverleibt in all seiner Weltläufigkeit und seinem allwissenden Überdruss; er befindet auch von sich aus, wie es sei, in Kuba. Ist also Castro tatsächlich nur ein Despot und Massenmörder (gewesen), nicht anders als die berüchtigsten Statthalter der USA in Lateinamerika auch?
Was man sich von Buch einmal wünschte, wäre ein Perspektivwechsel; dass auch die Rolle der USA auf seinen „Heimatinseln“ deutlicher zur Sprache käme. Wie auch immer: Tod in Habana ist ein Buch der Widersprüche in hinreißender Bewegung. Achenbach dämmert seiner Obsession nach. Und alles um ihn herum verliert Geltung und Bestand, gemessen am einzigen, sexuellen Gegenstand seines Begehrens. Sogar der Sex, den er doch sucht, vergeht ihm darüber, so krude wie das von ihm verworfene System ihn bereithält: Er erwürgt die Hure. Er schminkt sich als Frau. Er stirbt und aufersteht wieder. Nicht einmal sterben kann er, wo, ob seines Überdrusses, alles um ihn erlischt.
Dass ein Kunststück, wenn es denn gelingt, in der Regel klüger ist als sein Autor, ist eine alte immer wieder vergessene Weisheit. Die untröstliche Leidenschaft dieser Prosa ist zu feiern. Nicht um irgendeiner politischen Tendenz willen, sondern weil es, mit einer Grimasse aus Lachen und Weinen, an allen Größeren Hoffnungen verzweifelt, ist Tod in Habanna ein politisches Buch.
Hans Christoph Buch, Tod in Habana. Eine Erzählung. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007, 125 S., 18,90 €