Ein (vorläufig) letztes Gespräch mit Charles Bukowski über den animalischen Drive, Allen Ginsberg und die Sinnlosigkeit des Lebens

bukowski1.jpg Charles Bukowski, was hat Sie zum Schreiben gebracht?

Der animalische Drive und die Energieleistungen meiner Mitmenschen gaben mir nichts als Rätsel auf. Ich verstand nicht, wie einer den ganzen Tag Autoreifen wechseln oder einen Speiseeiswagen durch die Gegend schieben oder einem anderen, als Arzt oder Mörder, den Bauch aufschlitzen konnte. Jeden Tag, um den ich dieses Leben und dieses System bescheißen konnte, war für mich ein Sieg.

War es so? Um der Welt eins auszuwischen, wollten Sie Schriftsteller werden?

Kein großer, nur einer, der Geld dafür kriegt und davon lebt und kein Auto braucht, keine Freundin; nicht jeden Tag zur Arbeit erscheinen müssen, nur Schriftsteller sein, es rauspumpen, Tag für Tag, Tag und Nacht. Die Idee, dass man ein Gedicht hinfetzen und etwas auf den Punkt bringen kann, hatte was Verlockendes.

Immerhin haben Sie es 35 Jahre lang nicht geschafft, dem „System“, wie Sie es nennen, zu entkommen.

Die Welt bzw. ein Leben, das ich mir nicht immer aussuchen konnte, hat mich geformt, aber nicht auf null gebracht – und ich habe geformt, was ich konnte.

Was genau hat Sie „geformt“?

Ich habe auf meinen Schultern den blutigen halben Ochsen geschleppt, der vor einer Minute noch lebte, ich bin damit durch den Schmant gewatet und habe ihn an den stumpfen Haken an der Decke des Gefrierfleischtransporters gehängt; ich habe die verdreckten Toiletten im Fleischmann Building betreten mit einem nassen Mop in der Hand, als ihr schon wieder geschlafen habt; ich habe Besoffene gefilzt und bin selber gefilzt worden; ich habe vor einem Wettschalter der Pferderennbahn von Caliente gelegen, und ich habe an einer Pissrinne gestanden und mit dem Totschläger eins auf den Hinterkopf gekriegt, weil ich mich aus Versehen an eine Gangsterbraut rangeschmissen hatte. Ich habe eine Frau mit einer Million Dollar geheiratet, die einen steifen Hals hatte und überzeugt war, dass keiner sie will; ich wollte ihr nur das Gegenteil bewiesen, und dann habe ich sie wieder verlassen. Ich war Tankwart, habe in einer Hundekuchenfabrik im Akkord gearbeitet, Weihnachtsbäume verkauft und Lastwagen gefahren, und ein Bordell in Texas hat mich als Rausschmeißer angeheuert.

Dass Sie ein schriftstellerischer Autodidakt sind, weiß man ja. Was aber stört Sie so an der Literatur von Akademikern?

Der alte Schwindel von einem Wissen, das gar nicht wirklich existiert und deshalb mit dem Tarnanstrich einer hochgestochenen Terminologie daherkommen muss. Eigentlich wurde da doch die meiste Zeit nur von Dingen geredet, die überhaupt nichts zu tun hatten mit mir. Und Ego hin oder her – was war schließlich wichtiger als ich? Die kranke Scheiße, die einem auf Schritt und Tritt begegnete, die gezeichneten und verhunzten Gesichter, die fast totale Sinnlosigkeit des Lebens – für diese Leute schien das kein Thema zu sein. Das ärgerte mich, also fing ich selber an zu schreiben.

Anfangs haben Sie es ja versucht, mit diesen Leuten. Was ist schief gelaufen?

Am College hatte ich mal aus Verlegenheit einen Kurs in Creative Writing belegt. Das waren Schwuchteln, Baby. Alberne, affektierte, lapprige Wundertiere. Sie schrieben Gedichte über allerliebste Spinnen und Blumen und Sterne und Familienpicknicks. Verglichen mit diesen Schlaffis waren die Girls im Kurs die reinsten Bierkutscher, aber ihre Schreibe war genauso mies. Der Dozent hockte im Schneidersitz auf einem gehäkelten Teppich, die Augen glasig vor Dummheit und Apathie, und sie versammelten sich um ihn und himmelten ihn an, die Weiber mit weiten wehenden langen Röcken und die Jünglinge mit ihren verkniffenen kleinen Ärschen, die vom letzten Besuch in der Sauna noch freudig nachzitterten. Sie lasen sich ihre Verse vor und kicherten und nölten rum und tranken Tee und aßen Plätzchen dazu. Ja, lacht ihr nur. Ich kam erst gar nicht dazu. Ich saß alleine an der Wand, hohläugig und verkatert, und kämpfte mit dem Schlaf. „Bukowski“, fragte eines Tages der Dozent, „warum sagen Sie nie etwas? Was denken Sie?“ „Alles Stuss“, sagte ich. „Seit Monaten höre ich hier nichts als Stuss.“ Und das war das beste Gedicht des ganzen Semesters.

Warum haben Sie das Studium damals abgebrochen?

Ich weiß nicht, aber nach zwei Jahren College wollte ich nicht mehr. Ich stieg aus und besorgte mir einen Job in einer Putzkolonne auf dem Rangierbahnhof.

Wie war diese Zeit für Sie, was davon ist heute noch für Sie von Bedeutung?

Ich bin sicher, manche Professoren fanden mich zum Fürchten oder zogen es jedenfalls vor, mich nicht in ihrem Unterricht zu haben. Ich hatte ein schmales vernarbtes Gesicht und lümmelte herum, dräuend und verkatert. Ich besorgte mir keins der vorgeschriebenen Bücher und weigerte mich, zu lernen. Ich war unverschämt, cool und durch den Wind. Ich betrank mich und kloppte mich jeden Abend. Meine Eltern bestritten meinen Unterhalt, weil sie Schiss hatten. Ich war der ruppigste achtzehnjährige Drecksack auf Erden. Im Unterricht sprang ich auf, schwang wirre Reden und widersprach den Professoren in allem. Ich war unausstehlich und fand mich stark, aber ich hatte Angst, mich um eine Position im Football-Team zu bewerben oder eine zu fragen, ob sie mit mir ausgeht. Ich las nichts als Nietzsche und Schopenhauer. Ich hatte Journalismus und Kunst belegt, und wenn wir einen Text pro Woche schreiben sollten, gab ich sieben ab. Manche hielten mich für ein Genie. Ich kam mir auch wie eins vor. Oder so wie ich dachte, dass man sich als Genie vorkommt. Eines Tages, nach der Kunststunde, geriet ich in eine Schlägerei mit dem 92 Kilo schweren Football-Verteidiger. Wir balgten uns eine halbe Stunde auf dem Rasen. Leider ging niemand dazwischen. Am Ende besiegte ich ihn. Zu meiner eigenen Überraschung. Eine halbe Stunde hatte ich darauf gewartet, zu verlieren. Es passierte nicht. Danach wurde ich populär. Damit konnte ich nicht umgehen, also gab ich mich jetzt als wiedergeborener Nazi aus. Allerhand hasserfüllte Spinner liefen mir nach. „Haut bloß ab“, sagte ich, zog mich wieder zurück und wurde so der Eremit des Colleges.

Wie ging es weiter?

Ich wusste nicht, woher ich kam und wohin ich wollte. Ich fand mich nicht mehr zurecht. Saß stundenlang in Hauseingängen, regte mich nicht, dachte an nichts, bis man mich verscheuchte. Das soll nicht heißen, dass ich ein Idiot war oder ein Narr. Es war nur so, dass mich nichts interessierte … Ich befand mich auf einem Weg, der so seltsam wie sinnlos war. Ich hatte keine Ideen, keinen Plan. Ich schlief einfach so viel ich konnte und wartete ab.

Sie hatten offenbar kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern.

Mein Vater hatte sich allerhand Sprüche gemerkt, die er ständig anbrachte. „Wenn du nix zustande bringst, lutsch n leeres Ei aus!“ „Mein Land, so oder so!“ „Früh in die Federn und früh wieder raus, macht dich gesund, wohlhabend und schlau!“ Meine Mutter schmunzelte, während er uns diese Perlen hinstreute. Ich hielt den Mann für plemplem … An dem Tag, als ich auf ihn runterschaute in seinem Sarg, erwartete ich fast einen Spruch von ihm. Als nichts kam, sagte ich etwas: „Tote haben nichts mehr zu erzählen!“ Gott sei Dank. Ich hatte genug gehört. Dann machten sie den Deckel drauf, und ich ging mit meinem Onkel Jack Hamburger und Fritten essen. Wir saßen vor unseren vollen Tellern, und Onkel Jack sagte: „Dein Vater war ein guter Mann.“ „Jack“, sagte ich, „gut für was?“

Gibt es eigentlich irgendjemanden, den Sie bewundern?

Walt Whitman wäre wahrscheinlich noch ein bisschen effizienter gewesen, wenn er nicht so viel Zeit mit dem Abfummeln von jungen Matrosen vertan hätte. Aber das ist nicht der Punkt … Seit Whitman hat uns in der amerikanischen Dichtung keiner mehr so die Augen geöffnet wie Allen Ginsberg. Dieser kleine jüdisch-kommunistische Homo, wie ihn einmal ein rotznäsiger Kritiker genannt hat, schreibt 99,8 Prozent von euch angeblichen Schwergewichtlern jederzeit an die Wand.

Wie würden Sie sich selbst beurteilen?

Ich schätze, ich schreibe ganz passables Zeug, wenn auch nicht annähernd gut genug. Ich werde langsam alt …
Sie kommen gerade aus dem Krankenhaus.
Vierundsechzig Tage und Nächte in jenem Bau. Chemotherapie, Antibiotika, Blut, das in mich reinläuft. Leukämie … Ich sitze vor diesem Computer, geschlaucht, nur halb am Leben, noch immer auf der Suche nach der Muse. Nichts scheint, wie es mal war, und ich bin nur vorübergehend hier. Ich bin nicht wiedergeboren. Ich jage dem Schicksal nur noch ein paar Tage ab, ein paar Nächte …

Haben Sie irgendwelche Vorkehrungen getroffen?

Eh ich schlafen gehe, staple ich die neuen Gedichte in der Mitte des Schreibtischs, damit man sie findet, wenn mein Verwesungsgestank zu arg wird … Nicht dass mein Tod tragisch oder von Bedeutung sein wird (ich hab dann alles hinter mir), aber die Gedichte werden meinen kleinkarierten Kritikern beweisen, dass ich gut war bis zum Schluss. Oder gar noch besser.

 

Jan 2008 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau | Kommentieren