Ein Pessimist ist ein Mensch, der nach dem Sarg Ausschau hält, wenn er Blumen riecht, schrieb Henry Louis Mencken, und so gesehen muss man feststellen: 2007, das Jahr, von dem wir uns gerade verabschiedet haben, war ein blühender Garten. Adieu, du Jahr des Terrors und des Krieges! „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen, wer aber nicht zum Schwert greift, kommt durch stinkende Krankheiten um“, hat George Orwell schon 1942 geschrieben, und dabei – unverbesserlicher Optimist! – Naturkatastrophen noch nicht mal erwähnt.

Nein, die Beweise sind so zahlreich wie die Blätter eines Rosenbusches, der Duft betäubend wie der von Lilien: 2007 war ein verheerendes Jahr, ein Jahr, in dem die Hiobsbotschaften nur so dahinperlten, und wenn es offenbar kein solches Ende mit Schrecken nimmt, wie die Jahre davor (2003: Bam! 2004: Tsunami!, 2005 und 2006 – was solls ), dann nur, damit fürs nächste Jahr noch was übrig bleibt. Die Welt ächzte zwölf Monate lang unter Hunger und Unwissen, so wie sie es immer getan hat, nur wissen wir inzwischen, daß wir nichts dagegen ausrichten können. Und selbst wenn, die Gutmenschen richten ja den größten Schaden an, das hat doch bei der ganzen Gig- , G8 und Gipfel-Megalomanie für Afrika gesehen: Sie machen feiste Despoten feister, Kriege lukrativer, Korruption lohnender, und irgendwann hängen die Verdammten dieser Erde in irgendwelchen Stacheldrahtzäunen. Ja, auch der Terror rekrutiert seinen Nachwuchs aus dem Heer der Unterprivilegierten und Unintegrierten, und wenn er es nicht tut, wie bei diversen Anschlägen, wenn er das gar nicht nötig hat, dann wird die Sache erst so richtig unheimlich. Was also haben wir gelernt im annus horribilis 2007? Genau: Wie man es macht, macht man es falsch, aber das Falscheste wäre, nichts zu tun.

Und das war nur der Rest der Welt.

Denn Deutschland – eisiges Hartz-Land, steinige Pisa-Wüste, Ödnis der Reformverweigerer und Globalisierungsloser – Deutschland bot erst recht keinen Anlass zur Heiterkeit. Was hat man nicht alles versucht! Umsonst. Inzwischen werfen sich selbst ehemalige Kritiker der Bundeskanzlerin an den Hals, als hätten sie ihr Pin-up-Foto schon seit vielen Monaten im Spind hängen, und das bringt selbst die Hartgesottensten zum Weinen.

Aber das Niederschmetternde, das wirklich Entmutigende liegt darin, daß man diese – in Hunderten Tortengraphiken, Statistiken, Diagrammen belegten, mithin intersubjektiv verifizierbaren – Fakten nicht mal mehr laut erwähnen darf. Ein kuscheliger Optimismus hat sich in die Debatten eingeschlichen, der sich – anfangs tuschelnd in den Hinterzimmern der Neokons, inzwischen auf ganzen Zeitungsseiten wie die Grußbotschaft der Bundeskanzlerin –, mit der Heimtücke einer Pandemie ausbreitet. Eine so aufgekratzte Zuversicht und gefühlsduselige Naivität greifen um sich, daß jeder Zweifel als Dolchstoß in den Rücken des Aufschwungs oder so ähnlich gegeißelt wird.

Früher war das anders, noch Ende 2006 galt ein kritisches Verhältnis zur Welt, zu Deutschland, zur Politik, zur Kultur als Überlegenheit eines aufgeklärten Geistes. Früher wäre es eine Lust gewesen, die Erinnerung an die vergangenen zwölf Monate in einem Feuerwerk sprühender Defätismen auszuhärten. Heute wird man damit schnell zum Nörgler, zukunftsscheu, unpatriotisch, geistiger Ballast. Früher waren wir geknickt, weil der Berg der Probleme – Lohnnebenkosten, Europa, das Freiburg_heidelbergsche Tanztheater – noch den Watzmann hätte verzwergen lassen. Heute wissen wir, daß es kein anderes Problem gibt als die eigene Geknicktheit, und das zieht einen erst richtig runter.

Pessimisten gelten als antriebsschwache Feiglinge, die nur Angst vor bösen Überraschungen haben. Das ist Quatsch. Immer vom Schlimmsten auszugehen, ist die anstrengendste Lebensweise überhaupt. Auch die Überwindung einer antizipierten Katastrophe, die nie eintritt, kostet Kraft.

Alles dies läßt nur einen Schluss zu: Deutschland, die Welt, das Jahr 2008 braucht den klaren unverstellten Blick auf all das, was schief gehen kann, erfordern die mutige Auseinandersetzung mit dem Desaster. Rechnen wir mit dem Schlimmsten – damit liegen wir auch dann noch nah an der Wahrheit, wenn es wider Erwarten ausbleiben sollte. got

Jan 2008 | Allgemein | Kommentieren