Tristesse ade oder getreu den Worten der Kanzlerin: „Überraschen wir uns damit, was möglich ist und was wir können!“
Es war mal ein Land, in dem aber wirklich nun gar nichts mehr voran ging, nicht mal auf der tollsten Erfindung, die dieses Land je hervorgebracht hat, der Autobahn. Die Menschen steckten im Stau, nicht nur in ihren Automobilen, sondern auch – sozusagen – in ihren Köpfen. Sie zagten und maulten, wenn es regnete, und wenn doch mal die Sonne schien, bekamen sie es gleich mit der Angst vorm globalen Klimawandel zu tun. Ach, es war schlimm. Das ganze Land war von einer solch fundamentalen „mentalen Depression“ besetzt, daß sich sogar am anderen Ende der Welt bemerkbar machte.

Konnte es sein? Waren vielleicht nicht die Heuschrecken oder Hartz IV schuld daran, daß man am liebsten kostenlos ein paar Packungen Prozac unters Volk gestreut hätte? Sondern Schwerfälligkeit, schlechte Laune, zu wenig Sex? Die so genannte Halbleer-Mentalität? Das dachten sich jedenfalls einige der klügsten Köpfe des Landes – und ersonnen so etwas wie ein visuell einzunehmendes Antidepressivum, einen Fernsehspot, in dem alles irgendwie strahlte und schimmerte. Der berühmte Schriftsteller, der es wissen muss, meinte, wir alle seien Deutschland, der berühmte Schauspieler sagte, dein, mein und unser aller Wille sei doch, hey!, Feuer unterm Hintern, und sogar die kahlsten Hochhäuser der grauesten Trabantenstädte sahen auf einmal schön aus, wenn Kinder davor herumsprangen und den trägen Sofakartoffeln vorm Fernseher zuriefen: „Geh’ runter von der Bremse!“.

Wir alle waren also auf einmal der Flügel, der sich aufspannt, und der Baum, der dem Schicksal trotzt. Wir waren Deutschland. Oder zumindest Forrest Gump. Das wirklich Interessante an dem Spot war nämlich, daß er vom Soundtrack zum gleichnamigen Film unterlegt wurde, in dem bekanntlich ein liebenswerter Mensch, der aber ein ausgesprochener Schwachkopf war, erst zu laufen und dann zu siegen lernte. Leicht wie eine Feder schwebte Forrest Gump durchs Leben und bewies damit, daß auch Tölpel und Trantüten es trotz allerlei Handicaps zu etwas bringen können – wenn sie nur die richtige Einstellung besitzen.

Ist dieser Forrest Gump nicht ein Vorbild für uns alle, die wir Deutschland sind? Ist es ein Zufall, daß zum Jahreswechsel lauter kleine Forrest Gumps auftauchen, die beweisen, daß alles gut werden wird? Und haben sie nicht recht? Die Konjunktur zieht wieder an, Autos und Flachbildschirme werden (danke, Job) wieder verkauft, die Hotellerie freut sich auf ein Jahr mit ausgebuchten Betten. Vielleicht kriegen wir in absehbarer Zeit eine vernünftige Familienpolitik. Edmund Stoiber hat sich in atemberaubendem Tempo politisch selbst entleibt, wir sind immer noch Exportweltmeister, und man muss sich doch nur mal ansehen, welche Probleme andere Länder haben, Frankreich zum Beispiel oder Amerika oder auch Haiti, damit man sich gleich besser fühlt.

Schluss mit dem Gemaule, lautet auch die Botschaft der Kanzlerin:
„Überraschen wir uns damit, was möglich ist und was wir können!“ Natürlich ist es irgendwie auch ihr Job, die Dinge schönzureden, aber zählt nicht, andererseits, allein der Wille, dieses Feuer unterm Hintern? Frei nach dem Motto, daß der Optimist meist genauso im Irrtum sei wie der Pessimist, nur glücklicher dabei?

Das soll man mal dem 56-jährigen langzeitarbeitslosen Lagerarbeiter erzählen, könnte man jetzt einwenden. Aber, so ließe sich zu Gunsten der Kanzlerin einwenden: Hat nicht schon einer der brillantesten Köpfe, die das Land je hatte, Georg Christoph Lichtenberg nämlich, allen Miesepetern den Wind aus den Segeln genommen, als er bündig drei typisch deutsche Tugenden benannte: „Mut, Geschwätzigkeit und Menge ist auf unserer Seite. Was wollen wir weiter?“

Genau so ist es. 2008, kaum eingeböllert, schon hören wir wieder die hypnotischen Geigenläufe erklingen, alle werden wir plötzlich leicht wie eine Feder, spannen unsere Flügel auf und …

Lauf, Forrest, lauf.

Jan 2008 | Allgemein, Feuilleton | Kommentieren