Was soll sich – betrachten wir das mal global – schon ändern, im Jahr 2008 ? Das Weltall wird sich in aller Stille um ein paar tausend Lichtjahre ausdehnen, das heißt, die Erde wird in einem Jahr noch mal ein Stück unbedeutender, randständiger sein, als sie es heute schon ist. Um uns von diesen zugigen Fakten abzulenken, werden wir auch im neuen Jahr alle rastlos herummachen. Leider haben nur wenige die Gabe, ihre Unruhe in Schönheit umzuwandeln: Updike. Bach. Dag Hammarskjöld. Die anderen rennen rasend rum, legen stapelweise leeres Papier in den Kopierer oder „versuchen jetzt doch noch mal eine Live-Schalte“ zu den feiernden Fußballfans. Statt in den Nachthimmel zu schauen und sich schweigend damit abzufinden, daß er sich endlos ausdehnt. Der Kosmos, dieser alte Fuchs.
Die Telefonierer, Kopierer und Live-Schalter hienieden lassen sich einteilen in Gnostiker, Agnostiker und Prognostiker. Gnostiker glauben zu wissen, unser Heil hänge am richtigen Gottesverständnis, Agnostiker glauben gar nichts, Prognostiker wollen, daß man ihnen alles glaubt. Die Prognostiker sind die enervierendsten, sie sind säkularisierte Gnostiker, glauben sie doch, unser Heil hänge am richtigen Zukunftsverständnis. Sie unterteilen sich wiederum in Pessimisten und Optimisten.
Das Merkwürdige an den optimistischen Prognostikern ist, daß sie einem selten vorkommen wie weltanschauliche Gourmets, die sich aus dem bitteren Klumpatsch die Rosinen und den Zuckerguss picken. Optimismus ist heute Chefsache. Die Optimisten des neuen Jahrtausends sitzen in irgendwelchen Talkshows, als hätten sie verkappte Migräne und dekretieren, daß wir in der besten aller möglichen Welten leben. Der Pessimist sitzt daneben und fürchtet, daß das wahr sei.
Der Deutsche Miesling 2008 wird sein wie der der vergangenen Jahrgänge, sauer und von gelber Farbe. Er wird auch im neuen Jahr über Lärmbelästigung zetern, wenn das Glück bei ihm anklopft. Und alles wird ihm Beweis sein für den nun doch endgültigen Untergang. Auftritt Wilhelm Busch: „Wer sagt, die ganze Welt sei schlecht, der hat wohl nur so ziemlich recht.“
Was soll sich schon ändern? Bono wird den Affen geben. Flocke heißt der Neue im Nürnberger Zoo, Woody Allen macht seinen alljährlichen Film, wunderbar. Ingmar Bergmann macht immer noch – was Wunder – keinen Film, schade. Ein Literat wird hochgeschrieben, einer runter. Maler malen, Feuilletons meinen. Die Menschen werden Picknick machen auf den Stelen des Holocaust-Mahnmals. Angela Merkel wird daran erinnern, daß sowas von Deutschland aus nie wieder passieren dürfe, wir aber andererseits jetzt mal aus dem Schatten der Stelen treten und stolz sein sollen auf Leistung, Aufschwung, CDU. Deutschland wird sich ins Finale kicken, und Leute, die von Fußball so viel verstehen wie der Prognostiker von der Wahrheit, werden einem erklären, „daß wir hochverdient gewonnen haben“. Koch wird verdienter Weise die Wahl geverlieren, für wie doof dürfen Politiker eigentlich ihre Wähler halten ?!
George Orwell schrieb einmal, zyklische Geschichtsvorstellungen seien nur was für reaktionäre Denker, die damit beweisen, daß es eben nichts Neues unter der Sonne gebe und jeder scheinbare Schritt in Richtung Demokratie nur bedeute, daß das daran anschließende Zeitalter der Tyrannei und des Privilegs ein wenig näher sei. Was bleibt zu tun? Tag für Tag, unbeirrt und im Verborgenen dem nachgehen, was urbane Kopierer und Live-Schalter unter dem Ausdruck „sein Ding machen“ rubrizieren. Laut und deutlich gute Musik hören. Und ab und zu in – … habe ihn seelig – Dag Hammarskjölds Texten lesen. Da lernt man, daß zyklisch denken nicht unbedingt zynisch denken heißt.
Hammarskjöld war einer von Kofi Annans Vorgängern, und wäre er nicht bei einem bis heute unaufgeklärten Flugzeugabsturz 1961 ums Leben gekommen, er hätte dieses Jahr vielleicht noch seinen 100. Geburtstag erlebt. Nach seinem Tod fand man im Nachlass eine Art Tagebuch, ein mystisches Brevier, geführt von seiner Jugend an, bis in die letzten Tage seines Lebens. Und während die Suezkrise tobte und der Ungarnaufstand losbrach, während Hammarskjöld die Blauhelme erfand und 20 Stunden am Tag verhandelte, schrieb er im Verborgenen: „Mitten im Gelärm das innere Schweigen bewahren. Offen, still, feuchter Humus im fruchtbaren Dunkel bleiben, wo Regen fällt und Saat wächst – stapfen auch noch so viele im trockenen Tageslicht über die Erde in wirbelndem Staub.“
Apropos Regen: Das Wetter in Deutschland wird sein wie immer, kerniges Arbeitsklima. Und hoch über den Wolken dehnt sich das Firmament aus, lautlos, endlos, wunderschön. got