sch – Das Buch des Scheiterns – über den Moment, in dem nur noch geheult werden will. Über verpasste Chancen, geplatzte Träume, verlorene Lieben und den Schritt zurück. Aber vor allem ein Buch zum Wunden lecken, Weitermachen, Durchstarten: gegen den Einheitsbrei der Resignierten, solidarisch mit denen, die mutig scheitern.
Interviews, Gedichte, interaktive Spiele, Scheiterbögen, wissenschaftliche Texte, Fotostrecken, Reportagen:Zum Jahreswechsel meldet sich das Über-Ich zu Wort und drängt das Ich zur Evaluation:Habe ich erreicht, was ich mir vorgenommen hatte, lebe ich richtig, und was nehme ich mir jetzt vor? Erfolg, das ist die Instanz, vor der die eigene Lebensführung dabei zu bestehen hat. Erfolg ist inzwischen zum Kriterium für Relevanz geworden:

Wahr ist,was sich durchsetzt.Wenn also Erfolg ein «letzter Grund» im Neokapitalismus geworden issch_cover.jpgt, dann könnte das Scheitern die satanische Gegenmacht sein. Und tatsächlich: wo sich ein Unbehagen an der Leistungsgesellschaft breitmacht, wenden sich immer mehr Menschen dieser dunklen Kraft zu. Auch im Netz wir das Scheitern verklärt und genossen. Verlierer-Romantik ist en vogue.
Die Website www.schoenerscheitern.de sieht gleich die ganze Menschheit als einen Haufen Gescheiterter. «Ist das Leben gleichbedeutend mit Scheitern?» Ja, heißt es dort defätistisch. Weshalb man eine «Selbsthilfegruppe für Kreative und Innovative» anbietet, die hilft, «Misserfolge positiv zu definieren». Denn, um eine etwas erratisch klingende Erkenntnis zu zitieren: «Egal, ob es Sportler, Künstler oder Wissenschaftler sind, immer stehen sie vor der Frage, ob das, was sie tun, über das, was es gibt, hinausreicht und trotzdem schlüssig zu dem passt, was es schon gibt.» Das überfordert natürlich.
Auch andernorts wird die menschliche Fehlbarkeit anthropologisch verallgemeinert. Auf der Website von www.scheitern.de wird die Vertreibung aus dem Paradies als Urszene des Scheiterns beschrieben, der niemand entkommen könne.

sch_pic_4.jpgDie ganze Schöpfung, ein orgiastisches Fest der (Durch-)Gefallenen? Ist selbst Gott ein Loser ? Nun, – frei nach Lichtenberg – wovon man nichts wissen kann, davon soll man schweigen, und deshalb sammelt das «Institute of Failure» mithilfe der User banale Beweise für die negative Kraft, die im Innern der Gesellschaft waltet. Auf www.institute-of-failure.com findet man Tortellini ohne Füllung, eine Ausgabe der «Süddeutschen Zeitung» mit falscher Preisangabe, eine Mappe ohne Öffnung usw. Trial & Error, wohin man nur schaut. Und www.scheitern.de führt an, dass nicht nur Menschen und Dinge,sondern auch Tiere zu den Verlierern der Geschichte gehören können; eine Liste «der einsamsten Tiere im Streichelzoo » soll’s beweisen. Den Satanisten des Scheiterns gefällt das bestimmt, genauso wie der «Scheiterbogen» auf www.scheitern.de, der uns mit «6 Fragen zum Scheitern» aufruft, das eigene Versagen zu bejahen.
Mal abgesehen von der Frage, was am Scheitern so interessant sein soll, wenn es sowieso allgegenwärtig ist: taugt es wirklich als alternative Sinnressource gegen den dauernden Erfolgsdruck? Ist die Rede vom «schöner Scheitern» nicht zynische Schönrednerei? Ist nicht das Scheitern ein (finsterer) Komplize der Leistungsund Erfolgsgesellschaft? Noch der schönste oder heroischste Verlierer bleibt schließlich in der Logik der Übertrumpfung gefangen. Selbst als Scheiternder hat er ja zumindest beim Scheitern erfolgreich zu sein. jg. Im Buchhandel, 20 €

Dez. 2007 | Allgemein, Feuilleton, Zeitgeschehen | Kommentieren