Das Städtchen Springfield, in dem die Simpsons leben, liegt zwar mehr überall als nirgendwo,

ist aber angesiedelt genau an der Grenze zwischen Kentucky, Ohio, Nevada, Highdelberg (siehe Artikel unten)) und Maine. Das erfahren wir auf einem kleinen Ausflug, den Bart Simpson mit dem spießigen Nachbarn Nate Flanders macht, den er sich den ganzen Simpsons-Film lang als freundliches Vater-Gegenbild zu Homer imaginiert. Mit anderen Worten: Springfield ist ein geographisch absurder Ort, freilich mehr überall als nirgendwo, die all-american-town in Gelb, bevölkert mit mehr oder weniger allen Typen und Stereotypen, die Amerika so zu bieten hat.

simpsons2.jpgDie Lokalisierung von Springfield spielt im ersten Simpsons-Kinofilm, auf den die Welt weiß Gott lange zu warten hatte, keine ganz unwichtige Rolle. Es gibt nämlich ein utopisches Anderswo namens Alaska, und dahin machen die Simpsons sich, vor dem im Heimatort tobenden Lynchmob geflohen, auch auf. Alaska ist so ein bißchen das, was bei Michael Moore Kanada ist, eine Insel der Seligen, direkt an der Grenze zu den Vereinigten Staaten, in denen der politische Irrsinn tobt. Dieser Irrsinn trägt einen Namen, nämlich EPA, es ist der Name der (real existierenden) Umweltbehörde der USA. Deren (so natürlich nicht real existierender) Leiter ist ein Umweltstalinist, der seinen komplett verblödeten Präsidenten mit dem (real existierenden) Namen Schwarzenegger dazu bringt, den Umweltsündenpfuhl Springfield erst unter einer massiven Käseglocke in Quarantäne zu sperren und dann mit einer handlichen kleinen Bombe im Kofferradioformat zu exterminieren.

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Und zwar, schwer zu glauben, in Gestalt des Homer Simpson. Da trifft sich gut, daß er an dem ganzen Umweltschlamassel auch schuld ist, weil er, bedenkenlos wie stets, eine Riesenladung Schweinegülle im See von Springfield verklappt hat. Es ist wie bei den Homöopathen: similia similibus curantur, was die Wunde schlägt, heilt sie auch und Homer ist stets Alpha und Omega der kleinen gelben Gegenwelt, in der er als prinzipienloser Prinzipal regiert. Es ist ja nicht so, daß das, was Homer mal für mal anrichtet, folgenlos wäre und folgenlos bliebe. Vielmehr ist er der Stein des Anstoßes, der unbewegte Beweger, der Kettenreaktionen in Gang setzt, die den Rest des Figurenpersonals in Atem halten. Am Ende dieser Kettenreaktionen wird aber immer nur einer stehen: er selbst. Und am Ende wird alles nichts gewesen sein, weil der Kreis sich schließt, weil Homer Homer bleibt, das gelbe, leere, eiförmige, entwicklungslose transzendentale Signifikat, zu dessen Anbetung die Gläubigen der westlichen Welt sich seit achtzehn Jahren zur Fernsehgemeinde versammeln.

simpsons.jpgSchon deshalb ist, von der galoppierenden Selbstreflexivität der Serie und nun auch des Films einmal abgesehen, alle Bedeutungsproduktion in den „Simpsons“ im wesentlichen implosiv. An Homer hängt, zu Homer drängt doch aller Sinn und Unsinn, zu dem die „Simpsons“, die ein einziger Alptraum sind, die Tagesreste der Medienwirklichkeit verarbeiten. Homer ist, gerade weil ihm alles Reflexive fremd ist, die perfekte Reflexionsfigur, ganz Amerika frißt er in sich hinein und ganz Amerika spuckt er wieder aus und nichts davon kriegt er mit. (Also eigentlich wirklich: wie Fernsehen.)

Es sei aber die sträflich naive Frage gestattet: Wie verhalten sich eigentlich die Simpsons zur Wirklichkeit, die sie so ausdrücklich verarbeiten? Welcher Art ist diese Verarbeitung und wie sieht die Realität in dem Spiegel aus, den die Serie und nun der Film ihr vorhalten? „Subversion zur Prime-Time“ ist der Titel eines wissenschaftlichen Sammelbands zum „Simpsons“-Phänomen. Was aber genau wird, wenn überhaupt, hier subvertiert? Als subversiv hat man doch, wenn überhaupt irgendwas, eine Darstellung und Haltung verstanden, die die üblichen Vorannahmen zu den Phänomenen der Welt unterlaufen. Oder handelt es sich bei den Simpsons eher um Kritik? Aber hat man als kritisch (im emphatischen Sinne) nicht eine Haltung verstanden, die eine Position sucht und findet, von der aus das, was man zeigt, als falsch und ideologisch erkennbar wird?

Über beides, Subversion und Kritik, waren die Simpsons in Wahrheit immer schon hinaus. Gerade darin hat man einst ja ihre befreiende Kraft erkennen wollen. Sie verzichten auf alle Haltungs- und Positionierungszumutungen und machen doch die ganz offen ins Fremduniversum hineinzitierte Gegenwartswelt als vollständig kontingent und veräppelbar kenntlich. Anders gesagt: Die einzige Zumutung, die in den Simpsons liegt, ist die Zumutung, sich die politische, popkulturelle und Alltagswirklichkeit als total veräppelbar vorzustellen. So wenig ist das nicht, denn es ist immerhin total antifundamentalistisch. Aber so viel ist es auch wieder nicht – schlicht und einfach der große gemeinsame, anti-rockistische Nenner der Popkultur.

Im Film ist das am Thema, das er sich gibt, gut zu verfolgen. Es geht leitmotivisch um Ökologie. Der Film entwickelt keine Position oder Haltung dazu. An deren Stelle stehen 1001 Gag und Homer Simpson, in dessen Figur „Sünde“ und „Sühne“ in völliger Bewußtlosigkeit zusammenfallen. Von der Sünde zur Sühne führt ein ridikülisierter Heroenplot aus dem Science-Fiction- und Katastrophenfilmrepertoire. Der Rest ist konsequenzlos komischer Umgang mit Reaktionsformen aufs Umweltproblem, das zum Gegenstand wird, weil im Moment halt alle Welt davon redet. Der Rest sind mit Zitaten, Anspielungen, Albernheiten und sehr lustigen Scherzen vollgestopfte knapp neunzig Minuten. Das ist nicht wenig. Aber so viel halt auch wieder nicht. got

Okt. 2007 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau | Kommentieren