Der Jurist Prof. Dr. Martin Sattler wurde vor drei Jahren von OBin Beate Weber gebeten, „in Sachen Portheimstiftung“ Licht in das Dunkel während der Heidelberger Nazi- und der Nachnazizeit zu bringen. Gerade hat der Rektor der Ruperto Carola – nach immerhin 70 Jahren – eingeräumt, dass die Unibibliothek wertvolle Inkunabeln aus dem Bestand der Portheimstiftung im „Besitz“ habe, die nun (auch?!) künftig als „Dauerleihgabe“ weiterhin von der Portheimstiftung der Unibibliothek zur Verfügung gestellt worden seien. Aha.

Martin Sattler in der Redaktion der NEUEN RUNDSCHAU

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“Immer das Selbe” ( „Von den Entnahmen des Kuratoriumsvorsitzenden Anschütz von 1 Million ganz zu schweigen. Auch bleibt ungeklärt warum der Erlös aus dem Verkauf vom Haus (1999) „Hut Heisel“ nicht in den Bilanzen erscheint.“) – die ewige Wiederkehr des deutschen Wahns, sie kann von der bürgerlichen Gesellschaft des Westens im besten Fall rationalisiert werden – und kehrt in dieser Gestalt dann als Beschwörung der “Zivilgesellschaft” oder des “kommunikativen Handelns” nach Deutschland zurück. Schließlich handelt es sich um so etwas wie kommunizierende Gefäße im Ideologischen. Was in Deutschland ausgedacht und ebenda oder auch woanders fallweise umgesetzt wird, vermag nicht wirksam bekämpft und kritisch aufgelöst zu werden, solange sich das Denken jenes gesellschaftliche Unbewußte nicht bewußt macht, das die Existenz von Nationen ebenso voraussetzt, wie es Krisenbewältigung durch Menschenvernichtung notwendig hat; solange also mit dem unwahren Ganzen nicht gebrochen wird . Das gilt auch für den Makrokosmos Heidelberg.

Legalisierter Raub

Unmittelbar nach der Deportationen der Juden – im Oktober 1940 in das Konzentrationslager Gurs/Südfrankreich – wurde deren zurückbleibendes Eigentum vom NS-Staat enteignet, versteigert und verkauft. Unter den Hammer kamen dabei nicht nur Schmuck und Kunstgegenstände der jüdischen Bevölkerung, sondern auch alltägliche Gebrauchsgüter wie Küchenstühle, Geschirr und Kleidung. Zu den neuen Besitzern zählten neben NS-Parteiorganisationen vor allem Privatleute. Nahezu jede ausgebombte Familie saß gegen Kriegsende an einem Tisch, der aus dem Besitz ehemaliger jüdischer Nachbarn stammte, oder aus Wohnungen der Juden im besetzten Europa herangeschafft worden war. Für jeden geraubten Gegenstand gab es eine Quittung mit Herkunftsvermerk und Stempel, eine Unterschrift des zuständigen Beamten und einen neuen Nutznießer: Dokumente der Beteiligung und des Mitwissens großer Teile der deutschen Bevölkerung.
„Aktion 3“ war der Deckname für die Deportation, „Aktion M“ für die Überführung der „Beutemöbel“ aus dem besetzten Europa ins Reich.

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Gaisbergstraße 7 – 13, auf dem mittleren der drei Grundstücke stand das Wohnhaus der Stifterfamilie Goldschmidt. Nachdem Josefine Goldschmidt zuvor schon in eine Wohnung in der Friedrich-Ebert-Anlage zwangs-„verlegt“ worden war, entzog sie sich kurz nach der Aufforderung, sich zum Transport nach Gurs zu melden, der Deportation. Der zog sie den Freitod vor. „Grundstücksgeschäfte hat es nach 1933 nicht gegeben“. Eben!

Alles ordnungsgemäß

Die Enteignung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung sollte keineswegs der Straße überlassen bleiben. Gesetze und Verordnungen anstelle eingetretener Schaufenster und roher Gewalt führten zur systematischen Entrechtung und Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. Gesetzestreue Handlanger, nicht brutaler Schläger, führten den Raubzug durch. Wer beteiligt war, sollte das Gefühl haben, dass er dafür keine Verantwortung zu tragen brauche. Penibel wurde der Anschein von Rechtmäßigkeit (auch beim „Kauf“ des Anwesens in der Gaisbergstraße) aufrechterhalten, auf den Pfennig genau. Jedes Detail war per Vorschrift geregelt. Diese Ausplünderung war ein wichtiger Teil der Vernichtungsmaschinerie und zugleich Bestandteil der NS-Kriegswirtschaft. Hinter der stufenweisen Entrechtung stand ein Plan: nach dem Raub kam der Mord. Das Geheimnis war kein Geheimnis, sondern Legalität. Alles geschah „ordnungsgemäß“. Alles das i s t heute: „ordnungsgemäß“:

Nach 1945 herrscht Schweigen

Der Unrechtsstaat war besiegt, die NSDAP und ihre Organisationen zerschlagen, doch die (Finanz-)Beamten arbeiteten durchweg weiter. Wiedergutmachungsansprüche überlebender Juden wurden oft von den selben Beamten geregelt, die vorher deren Hab und Gut verscherbelt hatten. Die wenigen zurückgekehrten Opfer mussten erneut in langen und entwürdigenden Prozessen nachweisen, dass dies und jenes ihr Eigentum gewesen war, oder dass sie tatsächlich die Erben seien. Der Zugang zu den Akten und deren Veröffentlichung war ein schwieriges Unterfangen.
Ein bleiernes Schweigen über die Täter und Nutznießer des legalisierten Raubes herrscht bis heute. Brechen wir es …

Nach einem Pressegespräch mit Uni-Rektor Hommelhoff lesen wir in der Tagespresse, Grundstücksgeschäfte habe es nach 1933 nicht mehr gegeben. Hommelhoff: „Dass die Universität sich Grundbesitz und Häuser unter den Nagel gerissen haben soll, hat mich besonders getroffen“. Aber nicht doch Magnifizenz: „unter den Nagel gerissen“ – es hatte doch alles seine Ordnung. Zwischen 1933 und 1945 jedenfalls!

In der Tat nämlich, Geschäfte waren das nicht, womit die Portheimstiftung von ausgewechselten Kuratoriumsmitgliedern über den Tisch gezogen wurde. Wir nennen das Arisierung vor der Ausrottung – und bleiben dran …

Ach ja, am Montag will sich – der in diese Widerwärtigkeit noch nicht verstrickt ist – Oberbürgermeister Eckart Würzner (unter Zuhilfnahme des Heidelberger Historikers Frank Engehausen) zur „Sache Portheimstiftung“ äußern. Da bleiben wir unserer Meinung: Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts gewandter Prophet, aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat …

Martin Sattler hat einen von uns im März 2007 ins Netz gestellten Vortrag (klicken Sie hier) im Palais Weimar gehalten.

Jürgen Gottschling

Sep 2007 | Heidelberg, Allgemein, Sapere aude, Zeitgeschehen | 3 Kommentare