Mit einer «erklärenden Note» hat die vatikanische Glaubenskongregation letzte Woche die theologischen Ansichten des in El Salvador wirkenden Jesuiten Jon Sobrino kritisiert. Es handelt sich um die erste Abmahnung eines mißliebigen Theologen seit dem Amtsantritt des neuen Papstes. – Wird das Klima in der katholischen Kirche wieder rauer? Wie steht es um den theologischen Pluralismus im Vatikan? Diese und andere Fragen berührt folgender Text, mit dem zwei katholische Theologen zu der Strafaktion Stellung nehmen.
Mit mißliebigen Theologen hat der Vatikan seine Erfahrungen. Im Jubiläumsjahr 2000 hat sich Papst Johannes Paul II. mit einer historisch einzigartigen Geste für manche Disziplinierungsmaßnahmen feierlich entschuldigt, als er den Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre vor der zweiten Vergebungsbitte («Bekenntnis der Schuld im Dienst der Wahrheit») bekennen ließ, «daß auch Menschen der Kirche . . . mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen». Glücklich schaute der betreffende Kardinal dabei nicht aus – es war Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI. Inzwischen verzichtet die römisch- katholische Kirche auf drakonische Massnahmen. Zum heutigen Spektrum gehören das «Bußschweigen», Lehr- und Publikationsverbot, der Entzug der Predigterlaubnis, die Suspension vom priesterlichen Dienst oder die Exkommunikation.
Vollendet Benedikt Ratzingers Werk?
Nun trafen römische Blitze den aus Barcelona stammenden 68-jährigen Jesuiten Jon Sobrino, der seit 1957 in El Salvador wirkt. Es ist die erste derartige Abstrafung eines Theologen unter dem neuen Papst. Daß der seit Mai 2005 amtierende Präfekt der Glaubenskongregation, der amerikanische Kardinal William J. Levada, das Dossier Sobrino (gegen den seit 2001 wegen «Ungenauigkeiten und Irrtümern» ermittelt wurde) aus der Amtszeit seines Vorgängers geerbt hat, ist klar.
In einer am 14. März veröffentlichten «Notificatio» («Erklärende Note») wurde vor einigen Thesen des prominenten Befreiungstheologen, die «entweder irreführend oder gefährlich» seien, gewarnt. Gleichzeitig betonte der Pressesprecher des Vatikans, Federico Lombardi (ein Jesuit), daß dies keine Verurteilung bedeute. Seitens der Glaubensbehörde sind auch keine Sanktionen vorgesehen – wie sonst in anderen Fällen. Einige Tage zuvor hatte freilich der Erzbischof von San Salvador, Fernando Sáenz Lacalle, für Verwirrung gesorgt, als er in einer Pressekonferenz ankündigte (und später kleinlaut dementierte), Sobrino dürfe nicht mehr unterrichten. Der Erzbischof ist Mitglied des Opus Dei und kein Freund der Zentralamerikanischen Jesuitenuniversität in El Salvador. Er wurde mit den Worten zitiert: «Ich bete zu Gott für Pater Sobrino, dass er sich den Lehren der Kirche unterwirft und seine Thesen revidiert.» Das muss dieser aber gar nicht, folgt man den Erklärungen Lombardis wie auch denen von José de Vera, dem Sprecher der Jesuitenkurie in Rom. Der betonte, dass der Orden «komplett einverstanden mit allem» sei, was Sobrino geschrieben habe.
En détail wirft die vatikanische Kongregation dem Brückenbauer zwischen lateinamerikanischer und europäischer Theologie vor, die «Kirche der Armen» als ekklesiologisches Fundament zu lehren und damit die Tradition der Kirche zu nivellieren. Er relativiere die Gottheit Christi, vertrete einen unzulässigen «Assumptionismus» (der historische Jesus und der göttliche Logos sind zwei verschiedene Wesen), unterscheide zu stark zwischen Jesus Christus und dem Reich Gottes, relativiere das göttliche Selbstbewußtsein Jesu und reduziere den Kreuzestod Jesu auf ein moralisches Vorbild.
Grundlage für die Vorwürfe sind zwei 1991 und 1999 erschienene, in fünf Sprachen übersetzte Bücher («Jesucristo liberador. Lectura histórico-teológica de Jesús de Nazaret» und «La fe en Jesucristo. Ensayo desde las víctimas»), von denen bisher nur das erste auf Deutsch erschienen ist («Christologie der Befreiung», 1998). Da diese Werke und weitere Schriften weit verbreitet seien und Gläubige und Priesteramtskandidaten verwirren könnten, habe die Kongregation die Pflicht gehabt einzuschreiten.
Sanktionen gegen Sobrino sind nicht vorgesehen. Der Ortsbischof (der für die Jesuitenuniversität nicht zuständig ist) ist in der Causa vorgeprescht, das angedrohte Lehrverbot ist aber durch das römische Dokument nicht gedeckt. Sucht er nach einem Anlaß, um einen ihm unliebsamen Theologen mundtot zu machen? Verwirrung stiftet der Umstand ausbleibender Konsequenzen. Da wird ein Theologe öffentlich zurechtgewiesen, gleichzeitig wird aber betont, sein Einsatz für die Armen sei glaubwürdig.
Eigentlich sollte Sobrino gar nicht mehr leben. Denn auch er gehörte zu jenen Jesuiten, die von Todesschwadronen der Armee am 16. November 1989 auf dem Gelände der Zentralamerikanischen Jesuitenuniversität in einer nächtlichen Kommandoaktion zusammen mit zwei Frauen bestialisch ermordet wurden. Sobrino war damals im Ausland und entkam so dem Massaker. Neben Ignacio Ellacuría, damals Rektor der Universität, ist er der führende Theologe und leitet auch das «Centro Monseñor Romero».
Der Name Oscar Arnulfo Romero rückt die Angelegenheit in einen weiteren Horizont: Für den am 24. März 1980 während einer Messe ermordeten Erzbischof, dessen engster theologischer Berater Sobrino seit 1977 war, läuft ein Seligsprechungsverfahren. Desavouiert – darauf haben mehrere Solidaritätsadressen für Sobrino hingewiesen – ist auch das Erbe Romeros, der sich klar an die Seite der Armen gestellt und gegen die Unterdrückung der korrupten Oligarchie gewendet hatte, die beim päpstlichen Nuntius seinerzeit auf offene Ohren stieß. Geht es wirklich um Sobrino? Oder auch um seine Universität, die einem Bischof ein Dorn im Auge ist? Oder um die Befreiungstheologie überhaupt?
Ein Signal?
Im Mai wird Papst Benedikt XVI. im brasilianischen Aparecida die Fünfte Vollversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates eröffnen, der sich in Medellín (1968) und Puebla (1979) für eine «vorrangige Option für die Armen» ausgesprochen hat. Macht der Papst im Vorfeld reinen Tisch? Die «Option für die Armen» wird am Anfang der Notifikation ausdrücklich als zur unaufgebbaren Sendung der Kirche gehörend erwähnt. Welches Signal setzt er jetzt, da er doch die jetzt erst veröffentlichte Notifikation am 13. Oktober 2006 ausdrücklich gebilligt hat? Stehen im Hintergrund vielleicht lateinamerikanische, weit in den Vatikan hineinreichende Seilschaften von Bischöfen und Kardinälen, die ganz andere Optionen getroffen haben? Werden alte Rechnungen beglichen?
Theologischer Pluralismus scheint nicht erwünscht zu sein. Kardinal Ratzinger hat sich als Präfekt mehrfach mit der Befreiungstheologie befaßt und mit dem Dokument «Conscientia libertatis» (1986) in anspruchsvoller Weise europäische Freiheitstheologie und lateinamerikanische Befreiungstheologie ins Verhältnis gesetzt. Auf dem Spiel steht jetzt die Glaubwürdigkeit Roms, der Theologen und Jesuiten, die Sobrinos Bücher gegengelesen haben, der Bischöfe und Ordensoberen, die die Druckerlaubnis erteilten. Der letzte Satz der Notifikation ist bemerkenswert: «Das Ziel dieser ‹erklärenden Note› ist exakt dies, allen Glaubenden die Fruchtbarkeit einer theologischen Reflexion aufzuzeigen, die sich nicht scheut, sich innerhalb des vitalen Flusses kirchlicher Tradition zu entfalten.» Wenn dies ernst gemeint ist, fragt man sich, ob dafür eine Notifikation das geeignete Mittel ist. Oder demonstriert damit eine Behörde des Vatikans nicht ihre intellektuelle Überforderung?
Auf dem Spiel steht letztlich auch die Glaubwürdigkeit des Papstes, für den «Caritas» seit seiner Antrittsenzyklika so wichtig ist. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit der Kirche, wenn sie denn «eine Kirche aller, besonders eine Kirche der Armen (particolarmente la Chiesa dei poveri)» sein will, wie Papst Johannes XXIII. in einer Radiobotschaft im September 1962, einen Monat vor Konzilsbeginn, sagte.
Im April wird Benedikt XVI. selber ein Buch über Jesus von Nazaret veröffentlichen. Vorab hat er wissen lassen, er schreibe es ausdrücklich nicht als Papst, sondern als Theologe, man dürfe (hoppla, was mag Benedikt dabei wohl gedacht haben, und wie möchte er das von wem verstanden wissen) ihm widersprechen. Das ist ein gutes (wenn auch leicht durchschaubares) Prinzip, den theologischen Pluralismus zu fördern. Warum nicht bei Sobrino? Wie früher Antiochener und Alexandriner um christologische Formeln gerungen haben, so ringen auch heute Theologinnen und Theologen um ein der Tradition und der Situation angemessenes Verständnis der Person Jesu Christi.
Die Autoren sind Jesuiten. Dr. Andreas Batlogg ist stv. Chefredakteur der «Stimmen der Zeit» in München, Dr. Michael Sievernich Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz.