Daß es Blogger im Angestelltenverhältnis gibt, kann für einen „richtigen“ Blogger per se schon mal nicht sein. Daß die RNZ sich – anderen gleich – nun auch auf den Weg macht, läßt aufmerken und zeigt, daß man dort auch angekommen ist, im neuen digitalen Zeitalter nämlich. Daß deren Chefs dem (ja, eben Angestellten) Chefblogger auf die Texte schauen werden, versteht sich nach dem Selbstverständnis von Zeitung. Für ihre freibeuterischen Internet-Blogger-Kollegen hingegen nicht.
Die Aufregung um einen Beitrag, den auch wir „gekippt“ hätten, mag (jedoch nennen, was wir hier tun, auch nicht Blog), diese Differenz illustrieren:

Internet-Kommunikation ist mehr als nur die technische Erweiterung traditioneller journalistischer Möglichkeiten. Das mußte in der letzten Woche der Springer-Verlag erfahren, der doch gerade erst mit dem Neustart des Online-Auftritts seiner Tageszeitung «Die Welt» an die Spitze der Web-2.0-Bewegung rücken wollte. Zu den Vorzeigestücken der «Welt»-Website gehört eine Adresse, die ein offener Kommunikationsraum für die Kommentare professioneller Journalisten, für Blogs von Redaktionen und freien Autoren und für die ganze Bandbreite der Lesermeinungen sein soll. Jetzt hat die Löschung eines Blog-Eintrags aus der Feier eines neuen publizistischen Modells eine Debatte über Zensur gemacht und zu Ärger im Verlag geführt.

Streit nicht aus dem Weg gegangen

Denn der skandalisierte Blog-Beitrag «Wir sind Papst!», der gerade ins Netz gestellt, und bereits am folgenden Vormittag wieder gelöscht wurde, führte zum Krieg im eigenen Haus. Alan Posener, der «Kommentarchef» der «Welt am Sonntag», attackierte darin frontal den Chefredaktor der «Bild»-Zeitung, die ebenfalls im Springer-Verlag erscheint. Der ausgesprochen streitlustige Posener, der in den siebziger Jahren eine Phase politischer Sozialisation im Milieu linker Studentenzirkel durchlebte, dann aber zu einem entschiedenen Liberalismus konvertierte, fühlte sich durch die Ankündigung herausgefordert, «Bild»-Chef Kai Diekmann werde im Herbst mit dem Buch «Der grosse Selbstbetrug» eine weitere Abrechnung mit der Studentenrevolte und ihren Folgen vorlegen:

«Die 68er zwingen ihn heute, täglich auf der Seite 1 eine Wichsvorlage abzudrucken und überhaupt auf fast allen Seiten die niedrigsten Instinkte der ‹Bild›-Leser zu bedienen, gleichzeitig aber scheinheilig auf der Papst-Welle mitzuschwimmen», polemisierte Posener in jenem Ton, den gerade erst der Schriftsteller Gerhard Henschel in seiner «Bild»-Vernichtung «Gossenreport» angeschlagen hatte. Es gab noch mehr Zeichen einer bemerkenswerten Selbstkritik im Hause Springer: Zur selben Zeit stand auf der Internet-Seite der Axel-Springer-Akademie, die Journalisten ausbildet, ein «JEP-Blog» mit scharfer Kritik an der «würdelosen Vorführung eines kranken Menschen» in einem Video auf der Website der «Bild»-Zeitung. Posener selber hatte das Boulevardblatt am gleichen Ort und mit ähnlichen Formulierungen im letzten September schon einmal angegriffen und damals geschrieben: «Manchmal wünscht man sich die Zensur zurück.»
Jetzt kam die Zensur zurück. Christoph Keese, Chefredaktor der «Welt am Sonntag» und verantwortlich für Welt Online, ließ den Text von der Seite nehmen. In einer Presseerklärung rügte der Verlag die Veröffentlichung als «Entgleisung eines einzelnen Mitarbeiters» und «höchst unkollegiale Geste», die «ohne Wissen der Chefredaktion» erfolgt sei.
Diese Erklärung, die das Bekenntnis zu Meinungspluralismus mit der Absage an «Selbstprofilierung durch die Verächtlichmachung von Kollegen» verknüpft, ist ebenso hilflos wie die Löschung von Poseners Kritik. Denn im Internet geht eine solche Maßnahme ins Leere. Verschiedene Blogger haben den Originaltext kopiert und auf ihre Seiten gestellt, so daß er nach wie vor zu lesen ist. Nun wird das Stück erst recht zum Objekt einer medial angefachten Aufmerksamkeit. Zugleich müssen sich die unabhängigen Blogger, die die Debattenseite von Welt Online für ein neues Publikum attraktiv machen sollen, bohrende Fragen nach den Grenzen ihrer Freiheit gefallen lassen. Nur wenn ihre Aura des unkontrolliert subjektiven Ausdrucks gewahrt bleibt, haben sie ihren Reiz für die Zielgruppe. Das läßt sich offenbar nicht ohne Konflikte ins herkömmliche System des professionellen Journalismus integrieren. Jedenfalls dann nicht, wenn diese Blogs und ihre Kritik so wie bei Posener prominent placiert auf der Website der Zeitung ins Auge fallen.

«Keine Zensur, sondern ordentlicher Journalismus»

Bei Springer scheint man sich deshalb entschlossen zu haben, das Experiment mit solchen Formen eines unkontrollierten Journalismus zu beenden. In einem Interview mit der Onlineausgebe der «Süddeutschen Zeitung» unterschied Christoph Keese am Montag scharf zwischen «professionellem Journalismus» und Blogs, wandte sich gegen eine Vermischung (und hat damit unserer Meinung nach recht):

«Deshalb sollten professionelle Journalisten bei ihrer normalen Tätigkeit auf einer journalistisch professionell betriebenen Website keine subjektiven Blogs verfassen.» Der Freiraum der Blogger, die bisher auf Welt Online unredigiert publizieren konnten, wird geschlossen. Wenn es eine Fortsetzung für Poseners Blog überhaupt geben sollte, so wird dieser künftig redaktionell kontrolliert. «Eine binnenredaktionelle Pressefreiheit gegenüber dem Chefredakteur kann es nicht geben», sagt Keese. «Das ist keine Zensur, sondern ordentlicher Journalismus.»

Man wird sehen, ob der Druck neuer netzbasierter Kommunikationsformen auf Traditionsmedien so einfach aus der Welt zu schaffen sein wird. tno

Mai 2007 | Allgemein | Kommentieren