Doch der extreme Islam diskutiert nicht gern – auch nicht Mitglieder des Zentralrats der Muslime“ in Deutschland:
Aiman Mazyek möchte die Diskussion nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag führen. Und auch Axel Ayyub Köhler findet, man könne ja nicht immer ziellos weiterdiskutieren. Es geht ihnen um die Gleichberechtigung. Und zwar um die Gleichberechtigung des Islam als Religionsgemeinschaft. Er habe den Eindruck, sagt Mazyek, Generalsekretär des „Zentralrats der Muslime“ in Deutschland, daß man die Anerkennungsfrage fürchte wie der Teufel das Weihwasser. Und Köhler, der Vorsitzende desselben Verbandes, hat in der Konferenz davon gesprochen, man habe ja nur eine Chance – so, als wäre jede Islamkonferenz, die nicht zur sofortigen Anerkennung offizieller Sprecher des Islam führe, vertane Zeit.
Das Ziel, das beide Funktionäre im Auge haben, ist die Aufwertung ihrer Sprecherrolle. Zusammen mit anderen Mitgliedern im „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“ (KRM) fühlen sie sich nämlich als die religionspolitischen Repräsentanten einer – in ihrem Umfang allerdings unbestimmt bleibenden – Bevölkerungsgruppe korangläubiger Muslime.
Islamkonferenz kann die Sprecherrolle nicht klären
Eben darauf aber läßt sich weder die Islamkonferenz als ganze, noch die Bundesregierung ein. Der KRM ist keine religiöse Gemeinschaft im Sinne hiesigen Rechts, sondern, salopp formuliert, eine interessante Lobby, die zu hören der Staat alle Gründe hat – und zwar selbst dann, wie Innenminister Wolfgang Schäuble betonte, wenn Teile dieser Lobby unter Beobachtung von Behörden des Landesverfassungsschutzes stehen. Oder: eben drum, und jetzt erst recht …
Es wäre darum eine fahrlässige Illusion zu glauben, die Islamkonferenz könne klären, wer in Deutschland für die Muslime sprechen soll. Denn die Muslime selber sind danach nicht gefragt worden. Warum nicht? Auch darum, weil sie als „die Muslime“ gar nicht existieren. Nur einzelne Gruppen, die an den Diskussionstisch gebeten worden sind, haben ein starkes Interesse daran festzustellen, ihnen sei damit eine staatlich anerkannte Sprecherrolle zugeteilt worden.
Fragliche Frauen berufstätig oder im Haushalt
Ja, sie sehen am Horizont sogar eine Möglichkeit, die weder von ihrer Religion noch von unserem Staatsrecht her einleuchtet, als Machtinstrument aber attraktiv erscheint: die Anerkennung eines islamischen Verbandes, einer Lobby unter vielen, als öffentlich-rechtlicher Körperschaft. Durch ihren Sitz am runden Tisch empfinden sie in der Frage, wer die Muslime vertritt, Präjudizien geschaffen. Darum auch übertreiben manche Verbände einerseits gern maßlos, was den Umfang ihrer Anhängerschaft angeht, um andererseits, wie Axel Ayub Köhler, auf die Frage nach genauen Zahlen, mitzuteilen, die werde es nie geben. Sich registrieren zu lassen, sei gläubigen Muslimen fremd.
Umgekehrt haben sie die Frage aufgeworfen, wie viele Muslime sich denn durch säkulare Intellektuelle in jener Konferenz vertreten sähen. Als wären sie selber anders als diese, nämlich nicht ausschließlich durch Berufung seitens des Gastgebers, des deutschen Innenministers, zu „islamischen Vertretern“ geworden. Auf die Frage, weshalb der Zentralrat denn keine Frau zur Teilnahme an der Islamkonferenz gebeten habe, wurde übrigens mitgeteilt, die dafür in Betracht kommende Frau sei berufstätig, andere Frauen hätten im Haushalt zu tun. Vom Schriftsteller Feridun Zaimoglu wiederum, der sich mit dem Angebot, für eine fromme Muslima seinen Platz zu räumen, in die Zeitungen, wie er sagen würde, „gehypet“ hatte, war auf der Konferenz keine Rede, er selbst war erneut verhindert.
Irriges Bild einer kompakten Glaubensrichtung
Und doch reden nicht nur die konservativen Muslime so, als liege der Sinn der Islamkonferenz in der Vorbereitung politischer Repräsentation. Aber die Mitglieder dieser Konferenz sind eingeladen worden, sie sind nicht Entsandte mit Anspruch auf einen Sitz. Die Verfahren politischer Repräsentation sind in Deutschland gut geregelt, dafür benötigte man keine besonderen Konferenzen. Nur wer im Geiste der akademischen Theorie grüner Tische nicht zwischen Rechtsfragen, Machtfragen und Tatsachenfragen zu unterscheiden vermag und alles drei in einem wolkigen Begriff von Politik zusammenzieht, kann darum in jener Konferenz einen politischen Verhandlungsprozess erkennen. Und arbeitet damit bewußtlos jenen islamischen Verbänden argumentativ in die Hände, die die Konferenz gar nicht hoch genug hängen können, um aus ihrer Beteiligung an etwas derart Folgenreichem Legitimationsgewinne zu ziehen.
Dabei genügt der Hinweis des Sprechers der Alevitischen Gemeinden in Deutschland, Ali Ertan Toprak, auf die 800.000 Muslime, die seine Organisation vertritt, um das irrige Bild einer kompakten Glaubensrichtung, die jetzt endlich anerkannt werden müsse, zu zerstreuen. Toprak hat in der Konferenz dem KPR denn auch nicht ohne Ironie vorgeschlagen, sich doch – wir ergänzen: erst einmal – nach Art seines Verbandes als Religionsgemeinschaft anerkennen zu lassen. Man kann so etwas ja bei den Länderbehörden beantragen.
Islamkonferenz ist keine interkulturelle Paulskirche
Die Entscheidung etwa darüber, wer in Deutschland welche Art von Unterricht in welchen Fächern gibt, liegt also nicht bei Unterhaltungen zwischen Ministerien, Lobbyisten und Experten. Dafür haben wir Parlamente und Gesetzgebungsverfahren, und wenn islamische Kreise, die das Grundgesetz unter die Scharia stellen wollen, eine volle politische Beteiligung anstreben, dann sollen sie eine Partei gründen, die man dann auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen kann und von der sich gegebenenfalls zeigen würde, wie viele Muslime und Nichtmuslime sie im Lichte ihres Parteiprogrammes dann wählen möchten.
Die Islamkonferenz aber ist keine interkulturelle Paulskirche. Ihr Thema ist das Gespräch über Sachfragen der Integration. Und Integration ist alles andere als eine abstrakte Formel, sondern der Inbegriff einer ganzen Reihe von Problemen, die von Bildung über Frauenrechten bis zum Verhältnis zur staatlichen Judikatur reichen. Wenn Klassenfahrten an deutschen Schulen nicht zustandekommen, weil muslimische Eltern das als glaubenswidrig empfinden; wenn nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums acht von hundert türkischen Frauen in einer erzwungenen Ehe leben; wenn Koedukation und mitunter sogar Bildung überhaupt von extremen Muslimen für entbehrlich gehalten wird, was heute im Sportunterricht einen Anlaß finden mag und morgen in Geschichte oder Deutsch – Empfindlichkeit ist erfinderisch -, dann ist es, in den Worten von Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD), tatsächlich nötig, die „Zeit der Höflichkeiten“ zu beenden.
Die Diskrepanz ist nicht akzeptabel
Eine der wichtigen Leistungen der Islamkonferenz ist es darum, sichtbar zu machen, mit wem man es bei denen eigentlich zu tun hat, die dem Staat Bedingungen setzen wollen, zu denen sie integrationsbereit wären. In diesem Hinsicht ist es bemerkenswert, daß der „Koordinierungsrat der Muslime“ es abgelehnt hat, die Werte, auf denen das Grundgesetz ruht, als auch für Muslime konsensfähig zu bezeichnen.
Man wisse nicht genau, was das sei, hieß es in der Konferenz. Aber daß sechsjährige Mädchen ein „Schamtuch“ zu tragen haben und als sexuelle Wesen nicht mit Jungen turnen dürfen, das weiß man schon. Die Bedeutung der Konferenz liegt darin, darauf zu bestehen, daß diese Diskrepanz zwischen politischem Beteiligungswillen, deklarierter Absicht zur Integration und Resistenz gegen die säkularen Prämissen dieses Gemeinwesens nicht akzeptabel ist.
Jürgen Gottschling