Das Museum Frieder Burda präsentiert mit Sigmar Polke einen der weltweit wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler in allen seinen Schaffensperioden. Die Ausstellung mit dem Titel „Polke – Eine Retrospektive. Die Sammlungen Frieder Burda, Josef Froehlich, Reiner Speck“, die bis zum 13. Mai 2007 in Baden-Baden zu sehen sein wird, ist mit über 170 Arbeiten – meist großformatige Mischtechniken, Aquarelle und Zeichnungen, doch keine Fotos – die international größte Polke-Retrospektive seit vielen Jahren. Die Baden-Badener Schau wird zudem anschließend in Wien im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig gezeigt werden.
(Abbildung: Gangster 1988; Kunststoffsiegel, Kunstharz auf Polyestergewebe; Sammlung Speck, Köln) Das Werk Polkes, das sich in einem ständigen Ausdehnungsprozess mit immer neuen Techniken und Materialien, aber auch Formen befindet, entzieht sich konsequent jeglicher Kategorisierbarkeit. Ein solches Werk lässt sich nicht in Sprache fassen. Dagegen sprechen die ständigen Übergänge von Form, Material, Stil und Technik, aber auch die sich parallel vollziehenden Bedeutungserweiterungen in ihrer ganzen Bandbreite. Beispielweise hat der Maler seine Affinität zur nachrevolutionären Epoche um 1800 durch verschiedene Arbeitsthemen dokumentiert. Die Verbindung zu Goya oder frühromantischen Tendenzen in Deutschland zu verfolgen, bleibt auch in Baden-Baden für den Besucher ein Erlebnis. Kein anderer bedient sich so vorbehaltlos aus dem Fundus der Kunstgeschichte. Diese Verbindung von Polkes Arbeiten mit den einschneidenden abendländischen Bewegungen wird insbesondere durch Textbeispiele hervorgehoben, die geradezu einen existentiellen Stimmungswert intonieren. Es ist ein Lebensgefühl, das die Zerrissenheit zwischen der Welt der Ideen und der Macht der Realität dokumentiert und das die Hin- und Hergerissenheit der Ästhetik des Schönen mit der Unberechenbarkeit der Gefühle in verführerischer Absicht korrespondieren lässt. Ein Sentiment, das diese Ideale und Verführungen des Betrachters vor Zugriff schützen will und so eine Atmosphäre des Privaten und Intimen zu schaffen versucht.
All dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns zugleich immer auf dem Boden der „nackten Tatsachen“ befinden, dass sich Polke sowohl auf den Geist vergangener Epochen als auch auf die aktuelle politische Situation einlässt. Dies geschieht jedoch mit einer launisch sprunghaften Leichtigkeit, die alle Versuche, dem überaus produktiven Künstler Sigmar Polke seinen festen Platz in der Kunstgeschichte zuzuweisen, erfolgreich zunichte macht. Dieser unterläuft ein ums andere Mal die Erwartungen des Publikums, in dem er sich stets erfolgreich Versuchen einer Stilzuordnung widersetzt hat. Darüber hinaus verweigern seine Werke sich standhaft dem Trugbild eines unmittelbar verfügbaren Sinns. Sein Prinzip der unablässigen Metamorphose vereitelt jeden definierenden Zugriff schon im Ansatz. Diese magische Qualität macht den Reiz dieses Vaganten der Kunstgeschichte aus. Experimentierfreude und Stilpluralismus zeichnen das Œuvre des in Köln lebenden Künstlers aus. Dies manifestiert sich in den verschiedenen Segmenten der in Baden-Baden zusammengeführten drei hochkarätigen und sehr unterschiedlich gewichteten Polke-Sammlungen.
Die Konstellation der Ausstellung
Das Besondere der Schau: Überraschend harmonisch passen die Sammlungen der Polke-Enthusiasten zusammen, die der Unternehmer, Sammler und Museumseigentümer Frieder Burda eingeladen hat, auf Zeit ihre Sammlungen der Werke Sigmar Polkes mit der seinen zu vereinen. Dem Kurator der Ausstellung, dem renommierten Ausstellungsmacher Götz Adriani, ist es zu verdanken, dass das Zusammenwirken dreier kongenialer Sammler und Sammlungen dem Publikum in Deutschland erstmals ermöglicht, die gesamte Bandbreite Polkes künstlerischer Entwicklung zu erkennen und zudem eine beachtliche und facettenreiche Werksübersicht über die Schaffensphasen Polkes in einem Zeitraum von mehr als vier Jahrzehnten zu erhalten. Denn nicht nur Frieder Burda ist ein leidenschaftlicher Polke-„Fan“, auch sein Unternehmerkollege Josef Froehlich sowie der Arzt Reiner Speck haben bedeutende Hauptwerke des deutschen Künstlers erworben. Davon kann man sich in Baden-Baden anhand von 60 großformatigen Bildern und mehr als 110 Arbeiten auf Papier von 1963 bis 2005 überzeugen.
Diese geglückte Konstellation der hochkarätigen Sammlungen von Frieder Burda, Josef Froehlich und Reiner Speck deckt nicht nur die gesamte künstlerische Bandbreite des Malers Polke ab und vereint die Teilmengen verschiedener Jahrzehnte zu einer spektakulären Schnittmenge, sie ist wohl auch schon deshalb unabdingbar, da die Herren Burda, Froehlich und Speck vermutlich ungefähr 75 Prozent der wichtigsten Polke-Bilder ihr eigen nennen dürfen. Zukünftige Polke-Retrospektiven werden wohl kaum an diesen Sammlungen vorbeikommen, auch wenn Vollständigkeit einzuklagen nicht dem Anliegen der Sammler entspräche.
(Abbildung: Moderne Kunst 1968; Acryl, Lack auf Leinwand; Sammlung Froehlich, Stuttgart) Zu sehen sind unter anderem frühe Hauptwerke aus den 1960-er Jahren wie die „Freundinnen“ (1965/66) oder „Moderne Kunst“ (1968). Letzteres ist zweifelsohne der erste Höhepunkt des Museumsrundgangs. Der Titel steht unter der Malerei so geschrieben als wäre das Gemälde eine Schautafel, die uns die moderne Kunst erläutern soll. Auf Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ anspielend sieht man auf schwarzem Grund ein Sammelsurium aus wenigen Linien sowie Striche, Kleckse und Kringel, die beispielhaft die geometrische, organische und gestische Abstraktion darstellen sollen. Auf diese Art und Weise parodierte Polke die Elemente der Abstraktion und die hehren Ziele der Moderne und entzauberte sie.
Als ebenso spöttische Reverenz erweist sich ein weiterer Klassiker, nämlich das spartanische Bild von 1969 „Höhere Wesen befahlen…“ Dieses alberne, aber gerade deswegen so berühmte Gemälde besteht aus einer großen, weiß lackierten Zone mit einer schwarz gemalten oberen rechten Ecke und dem am unteren Bildrand in Schreibmaschinenschrift aufgemalten Befehl „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“. Diesen außerirdischen Befehl setzte Polke konsequent um. Und vollbracht war das Bild, in dem sich der Künstler als Befehlsempfänger fremder Mächte begreift und den romantischen Geniekult ironisiert. So einfach ist das manchmal mit der Inspiration in Zeiten der Moderne. Diese frühe Arbeit stammt gleichfalls noch aus der Zeit, da der gestandene Ironiker in Polke am stärksten hervortrat, der das heilige Geschäft der Malerei mit seinen Albernheiten und hintergründigem Humor auf dadaistische Weise hintertrieb und dabei gute Laune produzierte. Heute, da er immer wieder Journalisten wie eine Standardformel beharrlich antwortet: „Höhere Mächte befahlen…“, weiß niemand wirklich, wie ernst er es damit meint. Dennoch bleiben diese frühen hintergründig-ironischen Bilder auch heute Sigmar Polkes unverwechselbares Markenzeichen.
(Abbildung: Menschenbrücke 2005; Mischtechnik; Kunstharz auf Polyestergewebe; Sammlung Frieder Burda, Baden-Baden) Viele seiner frühen Werke rücken die Konsumwelt und Alltagsprodukte in den Mittelpunkt, als Polke zusammen mit Gerhard Richter und Konrad Lueg den „Kapitalistischen Realismus“ begründete. Aber ebenso sind auch spätere Arbeiten vertreten, bei denen er Bildthemen der Kunstgeschichte zitiert und durch Materialexperimente überrascht. Vorgestellt wird aber auch Ironisch-Spirituelles, einige wenige politische Werke bis hin zu ganz neuen Arbeiten wie die „Menschenbrücke“ aus dem Jahr 2005, ein bislang nicht öffentlich ausgestelltes drei mal fünf Meter großes Gemälde. Es ist eine irreale turnerisch angeordnete Konstruktion gleich aussehender Herren in grauen Anzüge, die per Kopfstand eine Brückenfunktion bilden. Dieses Monumentalbild Polkes ist der jüngste Ankauf des Sammlers Burda, der die im Ganzen geradezu „barocke Lust“ zeigt, die der Kurator Götz Adriani als ein Kennzeichen für die Malerei Polkes heraushebt. Die Schau stellt die verschiedenen Facetten des Kölner Künstlers vor – vom Lackgemälde über seine berühmten Stoff- und Rasterbilder bis hin zu subtilen Zeichnungen. Die aktuelle Schau setzt mit Polkes Rasterbildern ein.
Rasterbilder
(Abbildung: Don Quichotte 1968; Dispersion auf Nessel; Sammlung Frieder Burda, Baden-Baden) Bekannt wurde Polke vor allem durch den von ihm mitbegründeten „Kapitalistischen Realismus“ und seine ironischen Anspielungen auf die Pop-Art. Dabei ebnete er sich mit seinen Raster- und Dekostoffbildern in den 1960-er Jahren den Weg in die internationale Kunstszene. Die Stilrichtung – oft auch als „German Pop“ bezeichnet – ging als deutsche Antwort auf die internationale Pop Art in die neuere Kunstgeschichte ein. Noch als Student der Düsseldorfer Kunstakademie begründete Polke zusammen mit Gerhard Richter und anderen in ironischer Anlehnung an die sozialistische Staatskunst der DDR und in kritischer Auseinandersetzung mit der von der westlichen Warenwelt geprägten Pop Art den „Kapitalistischen Realismus“. In dieser Zeit entstanden die ersten Rasterbilder, in denen Polke meistens die Konsumgewohnheiten der bürgerlichen Nachkriegsgesellschaft und Freizeitverheißungen der Wirtschaftswunderzeit thematisierte.
(Abbildung: Freundinnen 1965/66; Öl auf Leinwand; Sammlung Froehlich, Stuttgart) Durch die vergrößernde Übertragung, in der er Zeitungsfotos oder Werbeanzeigen mittels Punkten auf eine Leinwand projizierte, lässt er die Rasterpunkte vor dem Bildinhalt in den Vordergrund treten und überträgt die Technik des Zeitungsdrucks in starker Vergrößerung auf die Malerei. Zwei verführerische „Freundinnen“ (1965/66) etwa, oder ein traumhaftes „Interieur“ (1966) werden so zu einer abstrahierenden Struktur von ornamentaler Qualität. Zugleich verabschiedet sich Polke mit der Auflösung der Bildmotive in gemalte Rasterpunkte ostentativ von der Illusion, dass sich in der heutigen geschichtlichen Phase universaler Vermittlung substanzielle Gehalte noch unmittelbar darstellen lassen. Die malerische Negation angestrebter Unmittelbarkeit in der Kunstproduktion ermöglicht das großformatige „Interieur“ erst als Ort starker Verfremdung. Nicht länger steht die Abbildung der Wirklichkeit im Vordergrund. Vielmehr wird sie ersetzt durch das Phänomen der Abbildung durch ein in Rasterpunkte zersetztes konventionelles Motiv, das so die Vermittlung zum Thema erhebt.
Kugelschreiberzeichnungen und Arbeiten auf Papier
Ähnlich desillusionierend wirken die graphischen Arbeiten dieser Werkphase. Polke kombiniert hier hochfliegende Träume mit minderwertigem Papier, dem banalen Zeichengerät des Kugelschreibers, einer scheinbar laienhaften Zeichenweise und Zitaten naiv wirkender Slogans. Dennoch findet man lauter Freches und Hintergründiges in diesen Zeichnungen; etwa in der Serie der Kartoffelgesichter nebst „Mann mit Möhre“ (1964) oder „Frau mit Hund“ (1964). Auch die scheinbar laienhafte Zeichenweise und die Zitate naiver Slogans wirken entlarvend: „Warum nicht baden?“ (1964) betitelt er eine Arbeit, eine andere fordert „Sekt für alle“ (1964).
Aus der Zeit des „Kapitalistischen Realismus“ mit Gerhard Richter stammt auch eine denkwürdige Hommage des Jahres 1965 an den damaligen Düsseldorfer Mitstreiter in Form einer Serie, die die Marke „Richter“ in allen Lebenslagen bewirbt. Von „Richter, Richter“, „Richter ab September ständig im Kino“, „Ihr Friseur – Richter“, „Mach mich glücklich – nur mit Richter“ oder „Schlankheit durch Richter“ reichen diese Arbeiten. In „DM 199,50 Richters Mehrzweck-Tischkreissäge“ dient sich Polke dann sogar ironisch dem Künstlerfreund als Plakatzeichner und Werbedesigner an. Diese Zeichnungen sind so minimalistisch, dass sie oftmals dem Duktus von Kinder- und Comiczeichnungen entsprechen.
Andere Arbeiten auf Papier wie „Gelber Hut, schwebend“ (1965), „Kuss, Kuss“ (1965) bzw. „Messer mit Ohren“ (1965), „Telefon“ (1966) oder „Kartoffelgesichter“ (1966) erweisen sich einfach als herrlich sinnfreie Komik von großer Leichtigkeit und feiner Ironie, um dann gleichermaßen daneben kompositionell so meisterhafte und stimmungsvolle Arbeiten wie das Aquarell „Schwarze Halme vor Sonne“ (1968), „Reiher“ (1967) oder das sich zeichnerisch gebende Leinwandbild „Liebespaar“ (1967) entstehen zu lassen. Letzteres schmückt den Einband des zur Ausstellung herausgegebenen Katalogs.
Dekostoffbilder
(Abbildung: $-Bild 1971; Mischtechnik auf Stoff; Sammlung Frieder Burda, Baden-Baden) Polke entdeckte nahezu zeitgleich mit den Rasterbildern den industriell bedruckten Stoff als Malgrund und wertete damit ein minderwertiges Massenprodukt zum Bestandteil hehrer Kunst auf. Schon der junge Polke malte Stoff- und Rasterbilder und beide Techniken wurden später zunehmend zu seinem Erkennungszeichen. Der Künstler greift seit Jahrzehnten immer wieder auf vorgefundene Muster in Kleidungsstoffen, Stores oder Saris zurück, wohl kaum nur, um sich die Farbgrundierung der Leinwand zu ersparen. Es wäre auch falsch, zu glauben, dass der Künstler einfach durch das gegebene Muster wesentliche Aufgaben der Malerei dem Fundstück überträgt. Vielmehr trägt die Wahl bestimmter Stoffmuster ganz gezielt zur zwingenden Logik des Bildes bei.
Die aufgedruckte Bordüre eines Dekostoffes bildet zum Beispiel den Hintergrund, vor dem sich die Figuren auf dem $-Bild (1971) bewegen. Das Bild stellt nichts anderes als den Garten Eden dar, in dem die golden glitzernde Schlange den Menschen allerdings nicht mehr mit einem Apfel, sondern vielmehr mit einem Dollarstück verführt. Das Paradies wird also dem Mammon Geldgier geopfert, so könnte man es interpretieren.
(Abbildung: Carl Andre in Delft 1968; Acryl, Dispersion auf Stoff; Sammlung Speck, Köln) In „So sitzen Sie richtig“ (1982) ergänzen sich verschiedene Vorhangstoffe und Bildzitate von Francisco Goya und Max Ernst collageartig zu einem pointenreichen großformatigen Bild. Gleichzeitig ist das Bild die Folge von Polkes Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, die auch in gegenständlichen Arbeiten wie „Dürer Hase“ (1970) oder „Carl Andre in Delft“ (1968) stattfindet.
Manche dieser Stoffbilder bringen eine Note byzantinischer Strenge und Formelhaftigkeit in Polkes Kunst, andere sind dagegen durch ihre Farbenfreude bereits auf den ersten Blick äußerst dekorativ. Polke zelebriert zwar im Gegensatz zu dem strengen, sehr früh verstorbenen Palermo, der Beuys ebenso nahestand wie Richter, mit seiner Tuchmalerei das Ornament, aber dennoch widerstreiten zugleich auch seine Stoffbilder der Schimäre eines voraussetzungslos gegebenen, unmittelbar verfügbaren Gehalts. Denn ähnlich wie vorgefundene Bildmotive unterliegen die Stoffmuster vielfältiger Veränderungen durch den Künstler. Sie werden dadurch vom reinen Bildträger zum Bedeutungsträger mutiert, die Übermalung dient dabei der Verdichtung der Ausdruckskraft des Stoffes.
Oft werden gezielt verschiedene Stoffmuster kontradiktorisch gegenübergestellt oder miteinander vernäht, um dann bestechend schöne Abstraktionen zu evozieren. Der ursprüngliche Zweck und die Bestimmung des Stoffes, also zu kleiden, zu verdunkeln, zu kaschieren oder zu figurieren wird radikal negiert, damit dieser nicht als Bildträger fungiert, sondern vielmehr eigenständige Elemente von Figurationen hervorbringt. Frieder Burda beispielsweise mit seinem „$-Bild“ von 1971 und Speck mit dem „Tischerücken“ (1981) können sich auf diesem Feld mit einigen Prachtstücken an Stoffbildern schmücken.
Aber auch bei diesen Arbeiten lassen sich der Klamauk und das spielerische Moment des Künstlers nicht verbergen. Augenzwinkernd ist dies bei der Stoffmusterapplikation des Bildes „5 Punkte“ (1964) oder beim bereits erwähnten „Dürer Hase“ deutlich zu sehen. In „5 Punkte“ lässt er ebenso viele ballonähnliche Farbkreise in den geblümten Himmel des Stoffgrundes aufsteigen.
Schütt- und Lackbilder
Im Laufe der Jahre hat Polke seine künstlerischen Strategien jedoch immer einfallsreicher weiterentwickelt und durch Farbschüttungen den inszenierten Zufall zu seinem Mitarbeiter gemacht. Die Farbschüttungen mit kaum steuerbaren Farbverläufen sowie chemische Reaktionsprozesse machen die Bilder rätselhaft und vieldeutig – und so ist es auch beabsichtigt. Die Abstraktion, die sowohl bei Polke wie Richter zur Anwendung kommt, ist bei ersterem das Ergebnis experimenteller, sich in Schütt- und Lackbildern erprobender Techniken. Nach eigener Aussage des Meisters interessiert ihn dabei „der Wechsel von Erkennbarkeit und Nicht-Erkennbarkeit der Motive, die Unentschiedenheit und Zweifelhaftigkeit der Situation, das Offenbleiben“.
Diese Abstraktionen finden auf verschiedenen Untergründen statt. Bei „Tischrücken“ (1981) lässt Polke z.B. Dispersionsfarbe auf Stoff verlaufen und formt so Bilder, die er mit telepathischen und parapsychologischen Kräften in Verbindung bringt. Mit seinen Schüttbildern erhebt er die Kraft des Zufalls zum ästhetischen Prinzip. Diese erste Phase der Schüttbilder stellt auch einen Abgang vom systemkritischen Vertreter des „Kapitalistischen Realismus“ zum Mystagogen der Farbe dar.
Den einstweiligen Höhepunkt seiner „alchimistischen“ Materialexperimente stellen die seit Mitte der 1980-er Jahre entstehenden Lackbilder dar. Bis zu acht Schichten Kunststoffsiegellack gießt Polke auf den liegenden Bildgrund. Die aufgespannten einfachen Vorhangstoffe aus Synthetik verwandeln sich so zu einem geheimnisvoll transparenten Bildträger, der den Blick auf die Rahmenkonstruktion freigibt, wie zum Beispiel bei „Gangster“ (1988) oder bei „Weißer Raum“ (1994), wo das Raster des Holzrahmens in eine verwirrende Korrespondenz mit dem Bildraum tritt. (Abbildung: Weißer Raum 1994; Kunstharz, Lack auf Polyestergewebe; Sammlung Speck, Köln)
Das auffälligste und großformatigste Œuvre Polkes aus der Reihe der Lackbilder der Sammlung Frieder Burda ist aber zweifellos das wandfüllende „Triptychon“ aus dem Jahre 1996. Abstrakte Malerei pur. Dispersionsfarbe in zahlreichen Schichten und organische Schlieren auf transparentem Grund, die sich bei wechselndem Licht transformieren. Manchmal verdichten sich zwischen den Lackschichten eingestreute Farbsubstanzen zu einem abstrakten Farbrausch, der immer wieder sich verändernde figurative Assoziationen hervorruft. Kein anderer renommierter Maler hat dabei dem durchscheinenden Rahmen eine solch tragende Rolle zugewiesen.
(Abbildung: B-Mode 1987; Kunstharz, Lack auf Polyestergewebe; Sammlung Frieder Burda, Baden-Baden) Die Reihe der Polyesterbilder der 1980-er Jahre mit Werken wie dem großformatigen „Gangster“ verschränken hierbei unmittelbar Positionen Polkes als fast konzeptuell-minimalistisch orientierten Zeichner und als Maler mit zeitweilig durchaus überbordender Farben- und Materiallust. Die dem Gemälde „Gangster“ aus gleicher Schaffensperiode benachbarte drei Meter hohe Arbeit „B-Mode“ (1987), ein weiblicher Halbakt versehen mit der Polke-Rasterung der frühen Jahre, zeichnet sich durch eine gewisse Geradlinigkeit aus, die die frühe Auseinandersetzung mit der Pop-Art in geradezu spielerischer Weise wieder souverän aufnimmt und fortführt. „B-Mode“ besteht aus Kunstharz und Lack, einem erotischen, schwarz aufgerasterten Foto sowie leicht transparenten, unterschiedlich gemusterten Polyestergewebe, durch die man die ebenso zur Komposition gehörende rückwärtige hölzerne Keilrahmenkonstruktion erkennen kann. Es handelt sich dabei um einen frühen Ankauf aus der Sammlung Frieder Burdas, in der das Erhabene und das Banale sich in immer neuen, quasi alchimistischen Konstellationen durchdringen.
Die brillanten Funkenschläge des Frühwerks
Insgesamt erlebt man in Baden-Baden eine veritable Retrospektive auf absolutem Spitzenniveau, die in den frühen 1960-er Jahren mit einem Bild, das „Reis“ (1963) heißt, beginnt und einen neugierig die weitere Fährte des Künstlers folgen lässt. „Reis“ steht in diesem Bild geschrieben, zusammengelegt aus gezeichneten Reiskörnchen, über die ein Reismännlein hinweg stolziert, wie es das Reismännlein immer getan hat, als es noch Reismännlein auf Reistüten gab. Von dort geht es weiter über das „Würstchen“- (1964) und „Knöpfe“-Bild (1965). Polke fasziniert von Anfang mit seinen sprühenden, intellektuellen Befreiungsschlägen, die sich auf eine Kennerschaft der Malerei von der Renaissance bis zur Gegenwart stützen.
Mit leichter Hand hält er einerseits dem Fundus der Kunstgeschichte den Spiegel vor, andererseits hinterlässt er auch sein eigenes Werk ohne Über- und Unterbau, ohne Brücken und Führungslinie, ganz so als gelte es, unbedingt Grundsätzliches und Wegweisendes zu vermeiden. Zum Beispiel die Polke’schen „Lösungen V“ (1967): Dieses Zahlenbild nimmt die Ratio aufs Korn, in dem der Maler auf eine eigene Logik besteht, der zufolge das Falsche auch schon mal das einzig Richtige sein kann. Das Bild huldigt indessen einer seriösen, seriellen Bildordnung. Die Sammlung Speck nennt frühe Polke-Ikonen wie „Lösungen V“ sein eigen, um die ihn nun heute zumindest ein Bankhaus beneiden dürfte. Die falschen Additionen des Künstlers („1+1=3“ usw.), die der Bank einst angeboten wurden, wollte das Kreditinstitut nicht kaufen, um seine Kunden nicht zu verunsichern. Dabei wäre die Rechnung am Ende wohl aufgegangen, denn Polke zählt heute zu den weltweit am meisten nachgefragten Künstlern.
Schon der junge Polke paraphrasiert in den 1960-er Jahren historische Wegmarken von Dürer bis zur aktuellen Konzeptkunst. Er mutiert den US-Pop in einen „German Pop“, spielt auf Menzel und den Frühimpressionismus an, imitiert einerseits den Konstruktivismus und hebt andererseits mit Ironie die „Modernen Kunst“ auf einen bleibenden Sockel. Die Polke-Rasterung dient ihm einerseits als instrumentale Matrix des „Kapitalistischen Realismus“, andererseits zur Veralberung der gestischen Malerei, die er zugleich feiert. Spielerisch mischt Polke immer wieder Tiefsinn mit Nonsens.
Was Polke zeigen will, zeigt er beiläufig. Er suggeriert, dass die Bilder kaum Interesse an ihren Gegenständen hätten. Jedes Bild sieht anders aus und unterliegt einem bildimmanenten Effekt, der Neugier beim Betrachter auslöst, die wie aus zweiter Hand daherkommt. Leichtigkeit strahlen diese Bilder aus, wie „Tagesreste in leicht halluzinierender Verwendung“. Die Reaktion des Malers auf die medial erschlossene Welt liegt darin, sich jeglicher Versuchung zu entziehen, auf die postmoderne Beliebigkeit nochmals eine emphatische Malergeste antworten zu lassen. Es kann keine Alternative zu dieser Beliebigkeit mehr geben, denn die Bilder sind in Bildhaftes zerfallen. Und dies ist vielleicht das Herausragende an diesem erstaunlichen Werk ohne Stilzuordnung: Marcel Duchamp vergleichbar entzieht es sich jeder Fixierung, immer gerade dann, wenn man meint, ihm auf die Schliche gekommen zu sein.
Das Spitzentreffen der sich ergänzenden Großsammler
Die Provenienz der gezeigten Arbeiten lässt auch für die Laien unter den Besuchern sofort klare Rückschlüsse auf die Vorlieben der drei Sammler zu:
(Abbildung: Schwimmbad 1988; Lack auf synthetischem Stoff; Sammlung Froehlich, Stuttgart) Der Unternehmer Josef Froehlich kam über Joseph Beuys zu Sigmar Polke. Beuys empfahl ihm zwar nicht, Werke von Polke zu sammeln, aber als er ihn einmal zu Polke befragte, gab dieser ihm die ehrliche Antwort: „Nicht schlecht“. Froehlich sammelt vor allem exemplarische Arbeiten aus Polkes Frühwerk und schätzt dessen Provokation gegen das Konventionelle. Dennoch liegt es ihm fern, aus Gründen einer chronologischen Vollständigkeit Arbeiten zu erwerben. Er kauft nur, was seinen Qualitätskriterien standhält. 1996 erschien sein Bestandskatalog Sammlungsblöcke. Stiftung Froehlich und seine Sammlung wurde zunächst in der Tate Gallery in London ausgestellt. Der Stuttgarter ist am praktizierenden Theoretiker Polke interessiert, engagiert sich für eine analytische Ironie und vertraut letztendlich dem Zeichner Polke vielleicht gar mehr als dem Maler. Dennoch finden sich bei Josef Froehlich gleichfalls neuere Werke. Seine späteste Arbeit ist „Schwimmbad“ aus dem Jahre 1988, eine durchscheinende Rahmenkonstruktion auf der ein Schiff mit Schwimmbecken auf dem Rhein dargestellt ist.
Für den Arzt Reiner Speck ist Sigmar Polke der absolute Schwerpunkt seiner Kunstsammlung. Er konzentriert sich auf die intellektuellen Vexierspiele und scheint fasziniert von Polkes Ironie und Gewitztheit. Sein Zugang zu Polke ist offenkundig eher der intellektuellen Art oder wie er schreibt, „aus dem Geist einer Bibliothek entstanden“. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn Speck berichtet, wie lange er gesucht und geforscht habe, bis er endlich die Inkunabel aus dem frühen 16. Jahrhundert entdeckte, aus der Polkes Vorlage für das „Cupido, Begierde“–Bild (1997) stammen müsse. Für ihn ist der Künstler Polke der große Finder von Motiven und Methoden. Speck behauptet von sich, dass Polke und seine Kunst ihn erst gelehrt hätten, zu sehen, zu entdecken, und über dieses Gesehene und Entdeckte nachzudenken und dann darüber zu schreiben. Zahlreiche Bildbeispiele offenbaren Specks spezielles, zwischen Büchern und Bildern sich ergebendes Sammelinteresse. In seinem Polke-Engagement zeigt er sich vorsichtig, gegenüber den Transformationen des so experimentierfreudigen Künstlers eher misstrauisch. Für Reiner Speck müssen hingegen die angekauften Werke unbedingte Gültigkeit besitzen, ja geradezu über den Tag hinaus Bestand haben. Und so ist es fast folgerichtig, dass beispielsweise in der Reihe der Polyesterbilder der 1980-er Jahre Polkes großformatiger „Gangster“ (1988) Einzug in die Speck-Sammlung gehalten hat.
(Abbildung: Amerikanisch-Mexikanische Grenze 1984; Tagesleuchtfarbe, Dispersion auf Nessel; Sammlung Frieder Burda, Baden-Baden) Frieder Burda dagegen setzt auf die Kraft der Farbe und fühlt sich von allen drei Sammlern am wenigsten in seiner Sammelleidenschaft zeitlich gebunden. Anfangs sammelte er Polke nur intuitiv, dann zunehmend systematischer. Schließlich trug er Arbeiten aus allen Phasen seines Schaffens zusammen, auch wenn seine größeren Ankäufe erst in den 1980-er Jahren mit „Wer hat noch nicht, wer will nochmal“ (1984) und „Amerikanisch-Mexikanische Grenze“ (1984) einsetzten. Sein periodisch erstes Werk von Polke, den er in den 1960-er Jahren als Weggefährten Gerhard Richters in Köln kennen lernte, ist ein schwarz-weißes Rasterbild, das den Blick aus dem Hotel Petersberg zeigt, wo im November 1949 der Weg der Bundesrepublik begann und mit dem auch der Ruhm des einstigen DDR-Flüchtlings in der Kunstszene seinen Anfang fand. Für den Künstler ein erster Blick ins Land der Verheißung, vermittelt mit dem Lebensgefühl nüchterner Sentimentalität.
Burda ist begeistert von der Subversion des Künstlers, auch dann, wenn sie vor dem eigenen Familienunternehmen nicht Halt macht. „B-Mode“ ist offensichtlich eine Anspielung auf die „Burda-Moden“, durchaus leicht spöttisch, die den Sammler Burda Souveränität und Verständnis für die Freiheit der Kunst abverlangt. Burda sagt selbst, dass es gerade der Witz und die Ironie seien, die er an Polke so schätze. So wie dieser seine Großsammler aufs Korn nimmt – Speck bereits 1964 in „Speck fährt Fahrrad (hat aber einen Rock an)“ –, so macht er sich auch mit rasantem Kugelschreiber und nahe am Popart-Cartoon über den Boom seines Künstlerkollegen Gerhard Richter lustig. Sich selbst nimmt er aber auch nicht aus, wenn er sich beispielsweise ironisch als Droge ins Bild setzt: „Polke als Droge – Pulverisierter Polke im Glasröhrchen“ (1968).
Der von Unverständnis begleitete Weg in den Olymp der Moderne
Die Arbeiten Sigmar Polkes begeistern durch ihre Vielschichtigkeit, Gewitztheit und poetische Verdichtung, aber ebenso immer wieder durch eine Vielzahl neuer außergewöhnlicher stilistischer, formaler und inhaltlicher Aspekte. Sein Werk ist zwischen Parodie und Provokation angesiedelt und er gehört zu jenen Künstlern, „die sich permanent neu erfinden“. Das komplexe, amüsante und auch rätselhafte Werk zeichnet sich vor allem durch Projektionen, Reproduktionen und Transformationen aus. Polke bemalt nicht nur Leinwände, sondern auch Wolldecken, Dekorationsstoffe oder Karnevalseide. Und in seinem laborähnlichen Atelier finden sich irisierende Interferenzfarben, Eisenoxid, Chlorkautschuk und Polyester. „Er ist ein Alchemist, den man sich fast am Hofe Rudolfs II. in Prag vorstellen kann“, meint der Ausstellungsmacher Götz Adriani, der die Baden-Badener Ménage à trois eingefädelt hat.
1963 bis 2005 – ein langer, durchaus auch von Unverständnis begleiteter Weg. Die erste Polke-Retrospektive sorgte 1976 in der Kunsthalle Tübingen für Aufsehen. Die Ausstellung des damals 35 Jahre alten Künstlers versammelte sämtliche zwischen 1962 und 1971 entstandenen „Bilder, Tücher und Objekte“ und erfasste sie chronologisch. Dennoch kamen zu dieser ersten von Götz Adriani organisierten Schau des noch jungen Künstlers in drei Monaten nur gerade mal 600 Besucher, wie sich Adriani erinnert, der jetzt auch die große Polke-Retrospektive des Museums Frieder Burda kuratiert hat. Wobei man heute von ganz anderen Besucherzahlen ausgehen darf. Vermutlich um die 50 000 Besucher werden diese Ausstellung allein in Baden-Baden sehen.
Polkes Werke schmücken heute die großen Sammlungen und Museen. Sie bereichern den Bundestag im Berliner Reichstagsgebäude ebenso wie zahlreiche öffentliche und private Sammlungen in aller Welt. Das Museum of Modern Art in New York, der unumstrittene Olymp der Moderne, widmete ihm als einem der ersten Deutschen 1999 eine Einzelausstellung mit frühen Arbeiten auf Papier. Und das, obwohl das Œuvre des Meisterkünstlers, der in den 1960-er mit Gerhard Richter an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, alles andere als eingängig ist. Dennoch war es vor allem Polke zusammen mit Beuys, Richter, Baselitz und Kiefer, der den bildenden Künsten in Deutschland wieder zu internationalem Renommee verhalf. Und so kann der Kurator Götz Adriani berechtigterweise schreiben: „Zuvor hatten eine solche Resonanz unter den deutschen Künstlern zu Lebzeiten lediglich Dürer, Holbein der Jüngere und Anfang des 17. Jahrhunderts Adam Elsheimer“.
Mit 60 großformatigen Gemälden und etwa doppelt so vielen Werken auf Papier ist die Baden-Badener Schau eine angenehm überschaubare Ausstellung. Sie setzt den frühen Polke glänzend in Szene. Man begegnet Klassikern, einer Reihe an Inkunabeln und Ikonen, die den hintergründigen Witz und die ironische Subversion des künstlerischen Werkes offenlegen. Bezeichnenderweise wird man immer wieder an Polkes einst mit spitzer Ironie formuliertes Bonmot erinnert: „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass eines Tages gute Bilder gemalt werden, wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen!“, das nun beinahe schon in Form der Retrospektive als Versprechen gegenüber den Kunstliebhabern vom Meister eingelöst wird. Alle drei Sammlungen ergänzen sich glänzend – ganz wie von einer unsichtbaren Hand geführt. Der Gewinn des kollegialen Sammlertreffens ist für Kunstfreunde beträchtlich. Wer nicht kommt, verpasst etwas – übrigens auch jede Menge zum Schmunzeln.
Ulrich Arnswald
Der Maler Sigmar Polke – Sein Leben
Geboren am 13. Februar 1941 in Oels / Schlesien flüchtete seine Familie 1945 nach Thüringen. 1953 Emigration erst nach West Berlin und dann Umzug nach Düsseldorf. Von 1959 bis 1960 absolvierte er dort eine Glasmalerlehre und nahm 1961 ein Studium an der dortigen Kunstakademie bei Karl Otto Götz und Gerhard Hoehme auf, das er 1967 beendete.
1963 hatte Polke seine erste öffentliche Ausstellung in einem Düsseldorfer Möbelhaus und begründete mit den Studienkollegen Manfred Kuttner, Konrad Lueg und Gerhard Richter den „Kapitalistischen Realismus“. 1966 wurde ihm in Baden-Baden der Kunstpreis der Jugend verliehen. Von 1970 bis 1971 war er Gastprofessor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und zwischen 1977 und 1991 Professor an derselben Hochschule (Schüler waren u.a. Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger sowie Albert Oehlen).
1972 nahm er an der documenta 5 in Kassel teil. Im Westfälischen Kunstverein Münster fand 1973 seine Ausstellung Franz Liszt kommt gern zu mir zum Fernsehen statt. 1974 reiste er nach Pakistan und Afghanistan und hatte im gleichen Jahr mit Original + Fälschung eine große Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum Bonn. Anlässlich der XIII. Bienal de São Paulo erhielt er 1975 den Preis der Stadt São Paulo. In der Kunsthalle Tübingen bekam Polke 1976 eine erste große retrospektive Ausstellung mit dem Titel Sigmar Polke – Bilder Tücher Objekte. Im Jahr darauf erfolgte eine längere Reise nach Papua-Neuguinea, 1978 dann nach Australien und Asien. Dazwischen lag 1977 die Teilnahme an der documenta 6 in Kassel.
In den 1980-er Jahren hatte Polke neben der Teilnahme an der documenta 7 (1982) in Kassel große Ausstellungen im Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam und im Kunstmuseum Bonn (1983-84), im Kunsthaus Zürich und in der Kunsthalle Köln (1984) sowie im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (1988). 1982 wurde er zudem mit dem Will-Grohmann-Preis, 1984 mit dem Kurt-Schwitters-Preis in Hannover und 1986 mit dem Großen Preis für Malerei (Goldener Löwe) auf der Biennale in Venedig ausgezeichnet.
Die 1990-er Jahre begannen mit einer USA-Wanderausstellung (1990), die in San Francisco im Museum of Modern Art Ihren Anfang hatte. Ausstellungen in der Tate Gallery Liverpool (1995), eine Ausstellung der frühen Arbeiten auf Papier von 1963-1974 im Museum of Modern Art in New York und in der Hamburger Kunsthalle (1999) sowie die Retrospektive Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei in der Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn und im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, zählten zu den Höhepunkten in seiner Künstlervita in diesem Jahrzehnt. Ebenso der 1995 verliehene Carnegie International Prize, Pittsburgh (Pennsylvania).
Das neue Jahrtausend begann 2000 mit einer Ausstellung der Polke-Sammlung von Josef Froehlich im Museum für Neue Kunst in Karlsruhe, 2003-04 mit einer Ausstellung neuerer Arbeiten im Dallas Museum of Art und in der Tate Modern, London, und 2005 mit der Ausstellung Werke und Tage im Kunsthaus Zürich. Zudem wurde Sigmar Polke 2002 durch den Praemium Imperiale der Japan Art Association, Tokio, der als eine Art Kunstnobelpreis gilt, geehrt und er ist der designierte Rubenspreisträger der Stadt Siegen 2007. Polke lebt und arbeitet in Köln.
Ulrich Arnswald
Ausstellungskatalog
Polke – Eine Retrospektive
Die Sammlungen Frieder Burda, Josef Froehlich, Reiner Speck
Götz Adriani (Hrsg.)
Mit einer Einführung von Götz Adriani und einem ausführlichen Gespräch mit Götz Adriani und Frieder Burda, Josef Froehlich und Reiner Speck.
19,7 x 28,5 cm, 256 S., 193 Farb-, 1 SW-Abb., geb. mit SU.
Hatje Cantz Verlag, 2007. ISBN 978-3-7757-1892-9; Euro 28.-
Katalogbuch Baden-Baden, Wien 2007. „Ein Bild ist erst fertig, wenn es bezahlt ist“. (Sigmar Polke) Die Arbeiten Sigmar Polkes begeistern seit mehr als 40 Jahren durch ihre Vielschichtigkeit und ihren Humor, durch immer wieder neue, außergewöhnliche stilistische und formale Lösungen. Mit seinem zwischen Parodie und Provokation angesiedelten Werk hält er seit langem eine Spitzenposition unter den meist beachteten Künstlern weltweit. Neben ikonographisch anspruchsvollen Bildern hat Polke auch ganz offensichtliche, häufig politisch kritische und dabei doch eingängige Bilder gemalt. Wenn er Klischees der Wirtschaftswunderzeit oder gar der Kunstwelt entlarvt, so geschieht das mit einer Selbstironie, die ihresgleichen sucht. Diese Publikation präsentiert Werke von 1963 bis 2005 und vermag, anhand einer Fülle herausragender Bilder und Zeichnungen die ganze Bandbreite von Polkes Schaffen beispielhaft zu belegen.
Weiterer Kataloghinweis
Gerade in Baden-Baden erinnert man sich an einen wunderbaren Einblick in Polkes „Schatzkammer“, wie der Künstler selbst einst seine Fotografien bezeichnete. Daher werden ergänzend in der mit der Sammlung Frieder Burda baulich verbundenen Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden Restexemplare des Ausstellungskatalogs Sigmar Polke – Fotografien der gleichnamigen 1990 stattgefundenen Ausstellung verkauft. Dieser Ausstellungskatalog ist im Buchhandel nicht mehr erhältlich.
Sigmar Polke – Fotografien,
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 11. Februar bis 25. März 1990
Jochen Poetter (Hrsg.)
Edition Cantz, 1990
ISBN 3-89322-185-9
€ 25,– (bei Zusendung zusätzlich € 5,– Versandkosten)
Texte aus der griechischen Mythologie haben die gleiche Funktion. Ihre frappierende Parallelität ergibt sich aus der spezifischen Arbeitsweise von Polke, den Entwicklungsprozessen in der feucht-fruchtbaren Nacht der Dunkelkammer; aber auch solch wunderbares Zusammentreffen von Mondfinsternis und Eröffnung bietet Einblicke in ein ganzes Netzwerk von verschlungenen Beziehungsfäden. Sigmar Polke kennt das integrierende Spiel der Situations-Verwickelungen in allen Raffinements. Es gibt Zeiten, da kann man zuschauen, wie er Hunderte von Photos pro Tag, ja pro Stunde schießt, lebensfreudig neugierig seine Apparate als Brennglas vor unsere Sonne haltend. Liebend gerne tritt er auch als hinterhältig spaßiges Modell vor das Objektiv, wenn die Kamera als Ball durch die Runde geht – als führe uns dabei ein geistesgegenwärtiger Komödiant die Geistesgegenwart als zwerchfellerschütternde Komödie vor. Die Resultate, die einfach-, doppelt- oder mehrfachbelichteten Filme, hat er auch schon scherzeshalber „Schadenersatz für ungelebtes Leben“ genannt.
Direkt zu bestellen bei:
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
Lichtentaler Allee 8a
D-76530 Baden-Baden
Telefon: +49 (0)7221 – 300 763
Email: info@kunsthalle-baden-baden.de
http://www.kunsthalle-baden-baden.de
Retrospektive Sigmar Polke
Die Sammlungen Frieder Burda, Josef Froehlich und Reiner Speck
3. Februar bis 13. Mai 2007
Museum Frieder Burda
Lichtentaler Allee 8b
D-76530 Baden-Baden
Telefon: +49 (0)7221 – 398 980
Telefax: +49 (0)7221 – 398 98 30
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr. Montag geschlossen. An allen Feiertagen geöffnet.
Der Eintritt beträgt 9 Euro, ermäßigt 7 Euro bzw. 3 Euro.
Nach Baden-Baden ist die Ausstellung vom 22. Juni bis zum 7. Oktober 2007 im Museum Moderner Kunst in Wien zu sehen.
Mehr Informationen im Internet unter:
http://www.sammlung-frieder-burda.de