Richterschelte ist – was diesen Fall angeht jedenfalls – ebenso tumb, wie Stammtischkrakehler mit ihrer Kritik am Urteil der Frankfurter Richterin im „Koranurteil“ falsch liegen.
An der Urteilsbegründung muß „gedeutelt“ werden dürfen. Das Urteil aber entsprach bundesrepublikanischem Recht.
Nicht nur notorisch türkische – auch deutsche FrauenrechtlerInnen fallen bis hin zur JustizministerIn mitsamt der öffentlichen Meinung sowie selbsternannten Antiislamisten einmütig wie selten über jene Frankfurter Familienrichterin her, die eine Abkürzung der üblichen Wartefrist bei Ehescheidung unter (auch) dem Hinweis auf den kulturellen Hintergrund der Eheleute abgelehnt hat. Aber, wer immer in Deutschland geschieden werden will, muß grundsätzlich ein Jahr getrennt gelebt haben – das ist hierzulande mal so!
Die Verfassung gebietet den Schutz der Ehe. Dazu gehört auch, daß Ehepartner sicher sein müssen, ob die Ehe endgültig gescheitert ist, bevor der Staat sie scheidet. Daneben soll den Kindern eine – vorschnelle – Scheidung mit anschließender Versöhnung und Wiederheirat erspart werden – und die scheidungsfeindliche katholische Kirche befriedet. Jeder weiß zudem, daß mißhandelte Frauen häufig doch wieder zu dem mißhandelnden Ehemann zurückkehren. Selbst nach Mißhandlung also muß also eine Ehe nicht notwendigerweise im Rechtssinne „gescheitert“ sein. Daß das Trennungsjahr abzuwarten ist, hat sich die „kleine Familienrichterin“ nicht ausgedacht. Nur wenn einem Ehepartner das Trennungsjahr nicht zuzumuten ist, soll ausnahmsweise darauf verzichtet werden.
In dem vom Gericht zu entscheidenden Fall war eine aus Marokko stammende Deutsche von ihrem marokkanischen Ehemann schwer mißhandelt worden. In der Ehe gab es zwei Kinder, dem Ehemann war seit dem Sommer 2006 durch eine gerichtliche Gewaltschutzverfügungen jede Annäherung verboten. Die Frage war also nicht, ob die Rechtsordnung der Frau zumutet, weitere Gewalt hinzunehmen, sondern, ob das Gericht – wie schließlich jeder anderen Frau in einer solchen Situation auch – ihr zumutet, das Trennungsjahr bis zur Scheidung abzuwarten. Es soll ja, ist zu hören, auch Fälle geben, in denen deutschstämmigen Ehefrauen von deutschstämmigen Ehemännern mißhandelt wurden und werden. Und, falls dies gerichtsnotorisch werden und zur Scheidung führen soll, müssen auch diese Frauen, so sie vor gegenwärtigen Übergriffen geschützt sind, ein Jahr auf die Scheidung warten.
Es hat schließlich und zu guter Letzt die Frankfurter Richterin nicht entschieden, die Ehefrau müsse sich einer Koransure wegen, (wenn dem so ist) die dem Mann die Frau zu schlagen erlaube, auch weiterhin mißhandeln lassen.
Hingegen hat sie der Frau das Trennungsjahr zugemutet, mit der zum Teil freilich schon mehr als gar nicht gewöhnungsbedürftigen ins Urteil geschriebenen Begründung, die Frau müsse gewußt haben, wen und mit welchem kulturellen Hintergrund sie diesen Mann geheiratet habe. Wobei hier noch angemerkt werden möchte, daß „die Frau sei dem Manne untertan“ n i c h t im Koran steht …
Nehmen wir aber doch zudem einmal einen in dieser Debatte bislang gänzlich außer acht gelassenen Kasus auf: Gesetzt, die Richterin wollte nur recht eigentlich auf den Mißstand hinweisen, daß nämlich in der Bundesrepublik Gegengesellschaften existieren, deren einer es nach ihrer Religion erlaubt wäre, eine Frau körperlich zu züchtigen? Und daß sie, um Diskussionen und Debatten loszutreten, eben darum auch aus dieser Perspektive noch einmal deutlich focussieren wollte? Dann war doch diese Richterin alles andere, als das „kleine Dummerle“, als welches sie in den letzten Tagen oft genug hingestellt wurde. Von Juristen-Kollegen allzumal. Aber, wenn dem so wäre, daß, wie Juristen immer wieder mal mehr oder weniger lautstark zum Besten geben, es dezidiert gar nicht sein könne, daß e i n e r, d e r seine juristischen Examina hinter sich hat, dumm wäre. Das sollten die Herren dann aber einer Frau aber auch zugestehen. Zurück in den Ernst:
Vor weiteren Mißhandlungen, und das wurde ausdrücklich festgestellt, sei die gegen das ihr auferlegte Trennungsjahr klagende Frau gegenwärtig auch ohne schnelle Scheidung geschützt. Ich wiederhole mich: An der Schlüssigkeit und dem Notwedigsein einer solchen Begründung der Richterin muß herumkritisiert werden dürfen. Am Urteil hingegen nicht. Das steht eindeutig auf dem Boden unseres Rechtsstaates.
Jedoch kennen wir wasserdichte Urteilsbegründungen, nach welchen daraus resultierenden Urteilen unsagbar hahnebüchen sind; wonach ich freilich noch keine dieser schwarzberobten Krähen habe hacken hören …
Jener Frankfurter Richterin dieses U r t e i l als unvertretbar, rassistisch und nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehend vorzuwerfen, das ist mehr als dreist. Und dumm zugleich.
Daß sich Justizpolitiker und Kollegen zudem nicht vor die Richterin und ihr Recht auf eine unabhängige Entscheidung stellen, läßt sich ja möglicherweise mit der gerade unter Juristen grassierenden (oft genug auch berechtigten) Angst erklären, die Bürger draußen in diesem unserem Lande könnten meinen, es sei wohl halt doch was dran an dem Spruch, eine Krähe hacke der anderen keine Auge aus. Mithin wird ebendies eben drum in dieser Sache kräftig und publikumswirksam getan, damit ein Jeder soll meinen können, das sei, wo nötig und wenn es denn dem „Recht“ in der Rechtsprechung diene natürlich immer so. Populisten jeder Koleur haben Schwarzrobler und Stammtischler so sicher auf ihrer Seite. Uns nicht!
Jürgen Gottschling