Der Mainzer Komponist Volker David Kirchner im Rundschau-Gespräch.
Volker David Kirchner, Mainzer Komponist, wird in diesem Sommer 65 Jahre alt. Kirchner war etliche Jahre Bratschist im hr-Sinfonieorchester, seit 1988 arbeitet er als freischaffender
Komponist. Seine letzte Oper „Ahasver“ wurde 2001 in Bielefeld uraufgeführt, ein Jahr zuvor hatte er die Oper „Gilgamesh“ für die Expo in Hannover geschrieben. Kirchner galt eine Zeit lang neben Hans Werner Henze als der am häufigsten aufgeführte zeitgenössische Komponist in Deutschland.

Ein Festkonzert für Kirchner gibt es am 13. März, 19 Uhr. Im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt wird unter anderem eine Uraufführung zu hören sein. Die Festansprache hält Wiesbadens ehemaliger Operndirektor Hans-Peter Lehmann, Pianistin des Abends ist Susanne Duch. Karten-Tel. 069/1340400.

Rundschau: Werter Meister, Sie gelten nicht eben als ein besonders Optimistischer unter den Komponisten. Wenn man einen Satz hört wie „Die meisten Leute, die heute im Musikbetrieb das Sagen haben, können keine Noten lesen“, tippt man schnell auf Volker David Kirchner als Urheber, und man hat Recht. Macht Komponieren schlechte Laune?

Volker David Kirchner: Nein, im Gegenteil, das macht sehr viel Freude. Aber daß der Musikbetrieb in einem desolaten Zustand ist und in einen immer desolateren Zustand hineingerät, ist nicht zu übersehen. Wir sind eine reine Event-Gesellschaft geworden, auch in der kleinen Nische der Neuen Musik. Es fehlt völlig der Mut zum Risiko, vor allem im Opernbetrieb. Im Gegensatz zu den Intendanten früher möchte heute kaum mehr einer etwas wagen. Aufträge für Opern zu bekommen, ist nicht das Problem, aber es findet sich dann kein Haus, das diese Oper nachspielt. Der Musikbetrieb ist zum Wegwerfbetrieb geworden.

Zu Ihrem 60. Geburtstag hatten Sie sich vorgenommen, das Verbittertsein abzulegen. Das scheint nicht ganz gelungen.

Ich könnte mich bemühen, das alles mit etwas mehr Humor zu betrachten, mich selbst auch nicht so wichtig zu nehmen, das versuche ich jedenfalls. Mir tun heute vor allem die jungen Leute Leid, junge Komponisten, die nichts mehr zu erwarten haben. Die haben gar keine rosigen Aussichten.

Aber es gibt sie doch, die jungen Komponisten, die mit üppigen Orchesteraufträgen bedacht werden, ein Matthias Pintscher etwa oder ein Jörg Widmann.

Pintscher ist wirklich bereits ein großer Komponist, ich schätze ihn sehr. Aber auch hier kann es so laufen, wie es bei mir damals gelaufen ist: Man wird hochgespült und gefördert, und wenn man oben ist, beginnt die Demontage. Früher kamen noch diese ideologischen Verkrampfungen dazu, befördert auch durch die Zeitungs-Feuilletons: Schönberg ist Gottvater, Webern des Sohnes und Adorno des Heiligen Geistes, und die Adorno-Epigonen in den Zeitungen haben dafür gesorgt, daß nur noch das zugelassen wurde, was en vogue war, Darmstadt und Donaueschingen eben. Das immerhin hat sich heute verbessert, alles ist etwas freier geworden.

Ihr guter Vorsatz zum 65.?

Mich weniger zu ärgern. Mich mehr meines Lebens zu erfreuen und hoffentlich so lange arbeiten zu können, daß ich noch all das, was ich irgendwo im Großhirn habe, zu Papier bringen kann – was ich als freier Komponist, der davon lebt, auch muss.

Im Kirchnerschen Großhirn dürfte sich keine Oper mehr verbergen, der hatte er ja bereits abgeschworen. Verzichten Sie jetzt auch auf großes Orchester, konzentrieren Sie die Kräfte auf Kammermusik?

Oper unter diesen Bedingungen geht nicht. Nach der Uraufführung landet das Ganze in der Schublade, das rentiert sich nicht. Es gibt in meinem Werk eine klare inhaltliche Konzentration, mein Credo sind im Grunde meine Streichquartette, in dieser Form kann ich mich am besten mitteilen. Ich brauche keine Massen mehr, um Musik zu machen. Im Gegenteil: Je kleiner, desto intensiver wird die Musik.

„Klatschende Hände anstatt runzelnder Stirne“ gebe es in Ihren Konzerten, haben Sie einmal gesagt. Wie erklären Sie sich, daß Ihre Werke vom Publikum so positiv aufgenommen werden?

Genau deshalb habe ich mir auch viele Schmerzen zufügen lassen müssen. Ende der Sechziger wurde ich noch als Avantgardist bezeichnet, ein wirklich unangenehmer, militärischer Begriff, er meint die Vorhut, bei der ich mich immer frage, wann denn endlich das Eigentliche kommt. Ich habe mich aber nie so verstanden, ich wollte immer ehrlich komponieren, mich mitteilen, ohne Strömungen und Schulen. Schreiben Sie aber etwas, das die Leute verstehen und mögen, kann es nicht gut sein – das ist eine Geißel speziell in Deutschland.

Sie können, bei allem ihnen unterstellten Pessimismus, auch anders: Witzig, ironisch, unbelastet, so klingt etwa der „Fantango“, den Sie 2000 für die Wiesbadener Pianistin Susanne Duch geschrieben haben.

Ja, diese Tango-Serie: Es gibt bei mir durchaus eine grotesk-humorvolle Seite, warum nicht? Scherzo-Elemente sind in meiner Musik immer wieder zu finden, und es gibt Stücke, in denen ich mich auch ausschütten kann vor Gelächter, auch über mich selbst, über meine eigenen Befindlichkeiten.

Im Rahmen eines Festkonzerts zu Ihrem runden Geburtstag wird Susanne Duch nun ein neues Werk uraufführen, „Mandala – 14 Veränderungen einer Schönberg‘ schen Klanggestalt“. Was hat es mit dieser Klanggestalt auf sich?

Die Basis bildet ein Akkord Arnold Schönbergs, von unten nach oben gelesen Quint-Tritonus, ein Akkord, den Schönberg sehr geliebt und immer wieder benutzt hat, letzten Endes eine Ableitung des Tristan-Akkords. Das Akkordische habe ich gespreizt, habe melodische Teile daraus entwickelt und Motive, wie sie ähnlich bei Schönberg in der Zeit vor 1920 zu finden sind – seine stärkste Zeit, wie ich finde. Hätte er auf diesem Weg weiter komponiert, ohne sein Abbiegen in die Dodekaphonie, wäre er ein wirklich Großer geworden.

Variationen schreibt man in der Regel über widererkennbare Themen, das ist – in der Regel jedenfalls – der Witz daran. Niemand aber – was Wunder – hat einen Schönberg-Akkord im Ohr.

Diese Klanggestalt ist extrem präsent. Man muß die Originalform, etwa aus den Fünf Orchesterstücken opus 16, nicht kennen, es handelt sich ja auch nicht um direkte Zitate.

Die Pianistin Susanne Duch sagt, die intensivsten Stellen seien für sie die Pausen zwischen den Tönen. Was sagt dazu der Komponist, der ja schließlich die Töne komponiert hat?

Es stimmt ganz bestimmt: ganz entscheidend ist die Stille zwischen den Tönen. Und hätte ich die Töne nicht geschrieben, gäbe es keine Stille, sondern nur Pausen. Das ist ein Unterschied.

März 2007 | Allgemein, Feuilleton | Kommentieren