Man muß Ursula von der Leyen mehr als dankbar sein, daß sie die familienpolitische Debatte genau dorthin trägt, wo sie hingehört – mitten in das Herz der CDU nämlich, die schon immer der Meinung ist, daß sie ein besonders großes Herz für Kinder hat. Erst rückte von der Leyen ihrer Partei mit dem Elterngeld auf die Pelle, dann kam sie mit Steuerfreibeträgen für Kinderbetreuung, seit ein paar Tagen fühlen sich CDU-Männer wie der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder von ihrer Forderung nach mehr Krippenplätzen herausgefordert.

Da geschehen dann Dinge, die nur deswegen, weil wir uns an sie gewöhnt haben, keine Welle der Verwunderung auslösen. Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen: Weil eine Ministerin für mehr Betreuungsplätze für die Allerkleinsten eintritt, denkt man in der CDU, die Frau sei in der falschen Partei und sieht die Familie selbst bedroht. Ein Teil der Gesellschaft, den ein Teil der CDU repräsentiert, empfindet von der Leyens Vorstoß, als wolle sie die Zwangsverkrippung für alle einführen, als ginge es um die Wiedereinführung der DDR durch die familienpolitische Hintertür, als sei der Sozialismus jetzt in der eigenen Partei mächtig auf dem Vormarsch.

Dabei hat die Ministerin, um es noch einmal klar zu sagen, doch nur den Vorschlag gemacht, daß so viele Krippenplätze eingerichtet werden, wie nachgefragt werden. Kein Mensch soll dazu verpflichtet werden, sein Kind in die Krippe zu geben. Vielleicht ist es das schöne, emotional nicht ganz neutrale Wort Krippe, das christdemokratische Beschützerinstinkte besonders aufstachelt. Die Krippe mit dem Trog von Kuh und Esel, in dem das durch Judäa gereiste, in Stroh gebettete Jesuskindlein seine ersten geborgenen Stunden erlebte, vermittelt ein ebenso tiefes Wohlgefühl wie die Anwesenheit von Maria und Josef, die daneben stehen. In jedem Fall ist es eine Merkwürdigkeit ersten Ranges, daß Krippenplätze auf solchen Wiederstand stoßen. Woran bitte will die CDU so verbissen festhalten?

Es ist natürlich das, was sie für ihr Familienbild hält. Die Wirklichkeitsverkennung die mit diesem angeblichen Familienbild einhergeht, die schlichte Leugnung des Zwangs, der gerade nicht in Krippenplätzen besteht, sondern darin, daß ein Elternteil zu Hause bleiben und der andere umso mehr Geld verdienen muß, weil jeglicher Versuch, das Familienkonto durch eine Teilzeitstelle aufzubessern, von den entstehenden Kinderbetreungskosten aufgefressen wird, die vollkommene Leugnung dieses Zwangs zeigt, daß es einem Teil des konservativen Spektrums den familiären Blick mittlerweile vollkommen vernebelt.

Lobgesang des Zusammenrückens

Die Familienbücher der letzten Zeit, Frank Schirrmachers Minimum, Udo di Fabios Die Kultur der Freiheit oder Die Helden der Familie, das unsägliche Traktat von Norbert Bolz, krankten allesamt am gleichen Geburtsfehler. Der große Lobgesang des familiären Zusammenrückens, der Schirrmachers Buch im Kern war und der in den beiden anderen nebenbei vorkam, kann zwar in Zeiten zunehmender Verunsicherung auf Resonanz rechnen, wärmt aber nicht die Herzen sondern nur eine gefühlte Ideologie auf, die im Deutschland der Nachkriegszeit durchaus seinen Platz gehabt haben mag und Geborgenheit geboten haben könnte. Darin aber zeigen diese Bücher, was eine erste Determinante jenes Familienbilds ist, das sich jetzt wieder so vehement verteidigt. Es ist eine eingefrorene Fünfziger-Jahre-Seligkeit, eine familiäre Laubenpiperhaftigkeit, es geht um das kleine Glück der Selbstbescheidung.

Dazu paßt das Eva-Prinzip, das ebenfalls im Mäntelchen der Bescheidenheit am Herd einherher kam, das aber natürlich nur in großbürgerlicher, finanziell abgefederter Spielart erträglich ist, wo das Kindermädchen auf die Kleinen aufpaßt, wenn man vormittags beim Einkauf seinen Latte macchiato trinkt.

Eine zweite Determinante der Familienseligkeit hat ihre Wurzeln in der Empfindsamkeit, im zeitlich auch nicht mehr ganz nahen 18. Jahrhundert. Familien gibt es in unserem Kulturkreis mindestens seit den Atriden und dem Thebaner Ödipus, von Anfang an also, der Familienkonservatismus aber tut so, als sei die Familie eine Erfindung der Empfindsamkeit, als sei dieses aufgeladene Modell das einzig praktikable, als sei nur hier das emotionale Gold abzuschöpfen, das der hart arbeitende Papa dringend braucht. Damit soll keinesfalls der Patchwork-Folklore das Wort geredet werden, es möchte nur gesagt worden sein, daß in den meisten historischen Familienbildern Krippen sehr wohl ihren Platz hätten.

Die empfindsame Fünfziger-Jahre-Familie wird als überzeitliche Grundform erachtet, dabei sind beide Epochen historisch eng umgrenzt. Entsprechend macht zum Beispiel der Soziologe Hans Bertram seit Jahren darauf aufmerksam, daß das dauernde Katastrophenszenario, das von der heutigen Situation der Familie gezeichnet wird, nicht stimmt.

In Wirklichkeit hat konservativer Konservatismus alles andere, denn ein mit der Wirklichkeit kompatibles Familienbild. Bestenfalls hat er so etwas wie ein Familien-Gefühl. Und bei eben diesem handelt es sich um eine Chimäre, um ein Trugbild, das mit den menschlichen Wirklichkeiten, mit zeitgemäßen Formen von Anerkennung und Aufmerksamkeit, mit Fürsorge, Nähe oder gar Liebe im Jahr 2007 kaum noch etwas zu tun hat. Man tut so, als wisse man, was bei diesem Wort, Familie, gemeint ist; dabei hört man nur auf eine innere Stimme, die sagt, daß die Kindheit das Paradies war, und ansonsten alle Antworten schuldig bleibt. got

März 2007 | Allgemein, Politik, Zeitgeschehen | 1 Kommentar