Der weltbekannte Ökonom John Kenneth Galbraith veröffentlichte 1967 ein dünnes Bändchen: «How to Get Out of Vietnam». Knapp 40 Jahre und einige Kriege später tut es ihm sein Sohn Peter W. Galbraith mit «The End of Iraq» nach. Er befaßt sich seit den 1980er Jahren mit dem Irak, als er als Nahostspezialist für den aussenpolitischen Ausschuss des Senats tätig war.

Von der Zwei- zur Dreiteilung

Bereits der Titel enthält die Hauptthese, daß der Irak faktisch zerbrochen sei. Präsident George W. Bush und seine Administration hätten mit ihren Fehlern allerdings nur eine unabwendbare Entwicklung beschleunigt, da schon Saddam Hussein in den 1990er Jahren den Kurden de facto eine Autonomie zugestanden habe. Galbraith räumt zwar ein, daß es bei einer Lösung mit einem kurdischen, einem schiitischen und einem sunnitischen Staat Probleme gäbe, nicht zuletzt wegen der Städte Bagdad und Kirkuk, doch scheint er die Gefahr von Bürgerkrieg und ethnischen Säuberungen zu unterschätzen.
Galbraith wirft der Administration Bush vor, sie sei nicht fähig und nicht willens gewesen, die Ordnung im Irak zu sichern – ohne zu erwähnen, daß es sich bei dem Krieg und der Besetzung um eine Völkerrechtsverletzung handelt. Er berichtet von unglaublichen Plünderungen, auch im Bereich der Massenvernichtungswaffen, die ja den Kriegsgrund geliefert hatten. In Tuwaitha entwendeten Plünderer unverarbeitetes Uran zur Atomwaffenherstellung aus einem Warenlager und in al-Qaqaa Sprengstoffe, wie sie zur Entfesselung einer Kernreaktion benötigt werden, ohne daß die Täter wohl genau wußten, was sie stahlen. Von diesen chaotischen Tagen erholten sich die Amerikaner nie. Laut Galbraith hatten sie den Krieg am 9. April 2003 verloren, als sie Bagdad einnahmen und als Besetzer, nicht als Befreier wahrgenommen wurden. Das Ölministerium gehörte zu den wenigen gesicherten Orten, während das für den Irak ebenfalls lebenswichtige, nahe gelegene Ministerium für Wasserversorgung trotz ausreichenden Truppen ungeschützt blieb.

Wunschdenken

Der Hauptfehler sei gewesen, den Irak nicht so zu sehen, wie er ist, sondern wie man wünschte, daß er sei. Die Arabisten im State Department waren bei der Nachkriegsplanung nicht willkommen, da sie nicht an einen demokratischen Irak glaubten. Die Administration sei immer von den bestmöglichen Szenarien ausgegangen. General Shinsekis Forderung nach mehreren hunderttausend Soldaten zur Besetzung wurde kalt abgelehnt. Galbraith verweist auf sein im Januar 2003 verfaßtes Papier, in dem er – nicht als Einziger – den Kollaps der Ordnung im Irak beim Sturz von Saddams Regime in einem Aufstand voraussah.
Erstaunlicherweise verliert Galbraith kein Wort zu Abu Ghraib und Guantánamo, zwei Skandalen, welche die USA nicht nur in der muslimischen Welt auf Jahre als Verfechter der Menschenrechte und des Rechtsstaats diskreditieren dürften. Hingegen widmet er einen Großteil des Buches den irakischen Kurden. Deren Führer Talabani hatte ihm einst 14 Tonnen von Saddam Hussein erbeutete Dokumente über die Anfal-Vernichtungskampagne anvertraut, die dann ins Nationalarchiv in Washington übergeführt wurden. Die kurdische Regierung schätzt, daß von 1987 bis 1990 rund 182 000 Kurden getötet wurden, Tausende von ihnen durch chemische Waffen. Galbraith konnte zudem die menschliche Katastrophe nach dem Aufstand der Kurden im Golfkrieg von 1991 auf Video festhalten. Diese Aufnahmen trugen dazu bei, daß Bush senior eine Schutzzone für die Kurden verhängte.
Kein Verständnis hat Galbraith dafür, daß 1991 aus geopolitischen Gründen die Chance ungenutzt blieb, Saddam zu stürzen und außer den Kurden auch den Schiiten im Süden zu Hilfe zu kommen. Ironischerweise habe gerade dies zur Teilung des Iraks geführt, denn Saddam mußte das de facto unabhängige Kurdistan akzeptieren, das sich im Norden etablieren konnte. – Von 1993 bis 2001 kümmerte sich Galbraith nicht um den Irak, weshalb er dieser Zeit wenig Platz einräumt. Er erinnert allerdings an die Iraq Liberation Act von 1998, mit der der Kongreß den Regimewechsel zum offiziellen Ziel erhob. Er erwähnt zudem die Zerstörung der irakischen Mittelklasse durch die Uno-Sanktionen sowie den Genozid an 40 000 Arabern in den Sumpfgebieten.

Ideologie statt Analyse

Die Inkompetenz, die er in Washington am Werk sieht, illustriert Galbraith damit, daß Bush erst nach seiner Rede über die «Achse des Bösen» über die Spaltung der irakischen Araber in Schiiten und Sunniten aufgeklärt wurde. Die Administration verfolge keine langfristigen Ziele, sondern führe eine Ad-hoc-Politik. Der Kampf gegen Massenvernichtungswaffen sei ein gefährlich unpräzises Ziel gewesen, da biologische und chemische Waffen nicht die Zerstörungskraft atomarer Waffen entwickeln. Unter den «Achsenstaaten» sei der Irak bei weitem der am wenigsten gefährliche gewesen, da alleine er über kein bedeutendes aktives Nuklearprogramm verfügt habe. Im Januar 2003 sei vom Irak keine Gefahr von Massenvernichtungswaffen mehr ausgegangen. Iran und Nordkorea hätten indessen gerade im Schatten des Irak-Kriegs ihre Nuklearprogramme forciert.
Bush sei Ideologie wichtiger als Analyse, urteilt Galbraith. Inwiefern er mit seiner These vom Ende des Iraks recht hat, wird die Geschichte zeigen. got

Peter W. Galbraith: The End of Iraq. How American Incompetence Created a War Without End. Simon & Schuster, New York / London / Toronto / Sydney 2006. 260 S.

Feb. 2007 | Allgemein | Kommentieren