Der politische Islam – eine ebenso aggressive wie totalitäre Bewegung – befindet sich jetzt vollständig in der Offensive. Er ist auf dem Vormarsch an den drei wichtigsten Schauplätzen der Politik: auf den Straßen, in den Schaltzentren der Macht und an den Kriegsfronten.

Innerhalb kurzer Zeit haben wir dreierlei erlebt: die bislang weitreichendste und gewalttätigste gesellschaftliche Mobilisierung des politischen Islams – ausgehend von Europa, über den Nahen Osten bis nach Asien – Auch (als willkommene) Reaktion auf die dänischen Mohammed-Karikaturen; die bedeutsamste Übernahme politischer Macht seit der iranischen Revolution vor einem Vierteljahrhundert durch die unverhohlen auf Vernichtung zielende und messianisch-islamische Hamas-Partei; und einen säbelrasselnden Iran, der durch die Wiederbelebung seines Atomprogramms die bedrohlichste militärische Entwicklung des politischen Islams einleitete.

Interkontinentale Intifada

So verstörend jede dieser drei Entwicklungen für sich genommen auch sein mag, wir würden ihre tiefere Bedeutung übersehen, wenn wir deren fundamentalen Zusammenhang verkennen. Sie sind auf unheilvolle Weise wichtiger als die Summe ihrer Einzelteile. In der zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Mobilisierung des politischen Islams sind die Züge dessen zu erkennen, was sich später einmal zu einer völlig neuen, breit gefächerten interkontinentalen Intifada ausweiten kann.

Auf den Straßen im Nahen Osten, in Asien und in vielen Teilen Europas drohen islamische Protestler dem Westen. Auf einem Marsch durch London schwenkten sie Transparente mit hetzerischen Aufschriften wie: »Massakriert alle, die den Islam beleidigen«, »Schlachtet die ab, die den Islam verspotten« und »Europa, dein 11. September naht«. Im Gaza-Streifen verlangten die Demonstranten, daß den Karikaturisten die Hände abgehackt werden, (derzeit werden in Ermangelung vatikanischer Fahnen, die wohl nicht so schnell anzufertigen waren, wie damals dänische) Papst Puppen verbrannt und ein Imam verkündete vor 9000 Gläubigen in der Omari-Moschee: »Wir werden nicht eher ruhen, bis den Verantwortlichen die Köpfe abgetrennt wurden.« Das ist nicht normale Politik. Das sind nicht einmal die normalen Auswüchse normaler Politik.
Als Regierungspartei ist die Hamas im Aufwind, im Gepäck die wahnwitzige antisemitische und todbringende islamische Ideologie und Praxis, die in ihrer Charta verankert ist. Dort steht geschrieben, es sei »Allahs Verheißung«, daß »Muslime die Juden bekämpfen (und töten)«. Chaled Maschal, der oberste Anführer der Hamas, unterstreicht, daß die Hamas ihre Ziele nie aufgeben wird: »Die Hamas hat eine Vision. Die Hamas hat einen Plan. Die Hamas kann den politischen Kampf meistern, so wie sie den militärischen Kampf gemeistert hat, jedoch mit einer anderen Sprache, mit anderen Mitteln – und die Anerkennung Israels gehört nicht dazu.« Maschal sagte dies in der Folge seines Wahlsiegs in einer langen, beklemmenden Rede nach dem Freitagsgebet in einer Moschee in Damaskus. Als seine Zuhörer, befeuert von seiner Rede, »Tod Israel! Tod Israel! Tod dem Westen, Tod den Ungläubigen!« skandierten, gab sich Maschal einem schauderhaften Wunschtraum hin: »Bevor Israel stirbt, muß es erniedrigt und entehrt werden. So Allah es will, werden sie vor ihrem Tod jeden Tag Erniedrigung und Entehrung erfahren … So Allah es will, werden wir ihnen das Augenlicht rauben, werden wir sie um den Verstand bringen.«

Bedrohlicher als Osama Bin Laden erleben wir
den iranischen Ministerpräsidenten Mahmud Ahmadinedschad –

mit dem die Hamas eine Allianz bildet. Ahmadinedschad trotzt dem Westen mit Aufsehen erregender Dreistigkeit. Er leugnet den Holocaust und schwingt sich selbst zum Gebieter über die Wahrheit auf. Er verkündet, Israel gehöre »von der Weltkarte getilgt«. Er besteht auf seinem Streben nach einer »islamischen Atombombe«. Massenmord – in Wort und Tat – ist das Markenzeichen des politischen Islams. Er kommt im so genannten Selbstmordattentat zum Tragen, einem Grundtypus des Völkermords, für das die Hamas-Regierung gerade, nach der jüngsten Bombenexplosion in Tel Aviv, ihre anhaltende Unterstützung bekräftigt hat. Massenmord in großem Stil wird vom islamischen Regime des Sudan in Darfur praktiziert, auch Al-Qaida bekennt sich dazu und übt ihn ganz offen aus. Man stelle sich nur vor, Al-Qaida hätte an jenem Morgen im September eine einsatzfähige »islamische Atombombe« in Händen gehabt.

Drei aufeinander folgende iranische Präsidenten haben jeweils öffentlich zur Vernichtung Israels und damit praktisch zum Massenmord an Hunderttausenden oder gar Millionen aufgerufen. Die Forderung des iranischen »Radikalen« Ahmadinedschad, Israel »von der Weltkarte zu tilgen«, schließt nahtlos an die Aussagen des als »gemäßigt« geltenden iranischen Ex-Präsidenten und gegenwärtigen politischen Strippenziehers Haschemi Rafsandschani vom Dezember 2001 an: »Wenn eines Tages die islamische Welt ebenfalls mit Waffen ausgestattet ist, wie sie Israel heute besitzt, dann wird die Strategie der Imperialisten zum Stillstand kommen, denn schon der Einsatz einer einzigen Atombombe im Inneren Israels wird alles vernichten. Auch wenn dies der islamischen Welt Schaden zufügen wird, ist es nicht widersinnig, so eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen.« Rafsandschani spielt hier nüchtern die Auswirkungen einer aktiven Politik des Völkermords durch: Eine Atombombe, in der Nähe Tel Avivs gezündet, würde das geografisch winzige Israel praktisch vernichten. Rafsandschani teilt seinem Land und der Welt bereitwillig mit, daß die Sache ihren Preis selbst dann wert sei, wenn Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Iraner in der Folge eines nuklearen Vergeltungsschlags durch die unerreichbaren Atom-U-Boote Israels sterben müßten. Und gerade erst haben iranische Geistliche aus der Anhängerschaft von Ahmadinedschads geistlichem Ratgeber Ayatollah Mohammad Taghi Mesbah-Yazdi dem nuklearen Streben Irans durch die Veröffentlichung einer Fatwa religiöse Unterstützung verliehen, die den Einsatz von Atomwaffen rechtfertigt.

Der politische Islam?

Der politische Islam ist (der Ausdruck ist Begriffen wie »Islamofaschismus«, »militanter Islam«, »islamischer Fundamentalismus« oder anderen vorzuziehen, da es sich nicht um den Islam selbst handelt, sondern um eine politische islamische Bewegung mit einer kohärenten und ausgeprägten Ideologie und ebensolchen Zielen) ist transnational orientiert. Gerade weil er länderübergreifend operiert und politische Strömungen und Gruppierungen einschließt, die sich in manchen Bereichen antagonistisch gegenüberstehen, erscheint er manchmal gestaltlos und verschwommen. Aber sein gemeinsames ideologisches Fundament sorgt für eine vereinte Zielsetzung, an der seine Anhänger für sich allein oder im Verbund arbeiten. Seine Zielsetzung ist sowohl innerstaatlich (um Freiheit und Abweichung in den islamischen Ländern zu unterdrücken – die Scharia wird im Gaza-Streifen bereits praktiziert) als auch international ausgerichtet (um seinen Einfluß auszuweiten und dem Ausland seine Doktrin aufzuerlegen).

Der politische Islam, der die Trennung von Politik und Religion aufhebt, besteht aus der Überzeugung, daß die moderne Welt in ihren Grundfesten korrupt ist und neu geformt werden muss, in vielen Fällen durch die Vernichtung anderer. Der politische Islam ist totalitär, aggressiv, will andere unterwerfen und ist felsenfest von seiner Überlegenheit und der Bestimmung zu herrschen überzeugt; er ist intolerant, erfüllt von Groll und hat zu bestimmten Aspekten der Realität nur noch schwache Bezugspunkte. Aber vor allem kennzeichnen ihn zwei Dinge: Er heiligt seine Grundsätze, Gefühle und Ziele, indem er sie in Allahs Willen verwurzelt, dem sklavische, buchstäblich geistlose Hingabe gebührt. Und sein Todeskult, gepaart mit offen gezeigter archaischer Blutrünstigkeit, sorgt für erhebliche Gefahr, da seine Anhänger gewillt sind, zum größeren irdischen und himmlischen Ruhm des politischen Islams und für den Märtyrer-Platz im Paradies zu sterben und ganze gegnerische Gruppierungen abzuschlachten.

Wie sieht die Strategie des politischen Islams aus?

Ebenso wie Al-Qaida dürstet das jetzige iranische Regime mit Ahmadinedschad an der Spitze nach Rache gegen den »arroganten« Westen, der seit Jahrhunderten die muslimischen Nationen eingeengt, erniedrigt, gespalten und beherrscht hat. Eine wieder auflebende und erstarkende muslimische Welt würde sich demzufolge als Erstes Atomwaffen aneignen und somit eine Parität der Kräfte mit dem Westen herstellen. Danach würde sie Israel vernichten. Unter Mithilfe globaler islamischer Kräfte (es gibt geschätzte 1,2 Milliarden Muslime auf der Welt) würde der politische Islam den Westen weiter angreifen, ihn schwächen und letzten Endes unterwerfen. In seinen Reden kündet Ahmadinedschad von einer Welt »ohne die Vereinigten Staaten und ohne Zionismus«.
Diese Ideen sollte man nicht als größenwahnsinnige Wunschvorstellungen aus dem Lande Liliput abtun. Es ist klar, daß viele Muslime und ihre Länder nicht mitziehen werden, und letztendlich kann der politische Islam gegen einen entschlossen auftretenden Westen nicht bestehen. In der Zwischenzeit kann er jedoch großen Schaden anrichten. Und Atomwaffen (die ebenso Europa bedrohen würden) sind schließlich der große militärische Gleichmacher. Auch ohne sie konnte Al-Qaida der amerikanischen Bevölkerung und Wirtschaft kolossalen Schaden zufügen. Ahmadinedschad, der weiß, daß seine Visionen skeptisch aufgenommen werden, ruft in Erinnerung, daß der Zusammenbruch der Sowjetunion ebenfalls unvorstellbar war. Große Teile der islamischen Welt befinden sich in den Fängen des politischen Islams, viele andere wiederum nicht. (Die islamische Welt ist groß.) Der politische Islam steuert Regierungen, bedroht andere und er wird von Zynikern erfolgreich in einer Vielzahl von Ländern und Gesellschaften verbreitet. Er verfügt über hoch motivierte und schlagkräftige terroristische Gruppierungen.

Drohgebärden ernst nehmen

Die Geschichte des Völkermords in der Moderne zeigt, daß politische Führer es ernst meinen in den seltenen Momenten, in denen sie in aller Öffentlichkeit von der Vernichtung eines feindlichen Volkes reden. Wie können wir es riskieren, die Äußerungen dreier iranischer Präsidenten, die einen Völkermord propagieren, nicht ernst zu nehmen?
Doch es besteht Grund zur Hoffnung, daß die Bedrohung, die vom politischen Islam ausgeht, erkannt und daß ihr getrotzt wird. Bisher hat sich der politische Islam damit zufrieden gegeben, rhetorische und tatsächliche Attacken auf Israel und die Vereinigten Staaten und gelegentlich auf ihre prominentesten Alliierten zu beschränken. Nun jedoch hat er die Zurückhaltung in seinen Feindseligkeiten gegen den Westen in Wort und Tat aufgegeben. Mit dem konzertierten Angriff auf dänische und europäische Freiheiten (nunmehr auch auf den „Heiligen“ Vater, auf Bürger und Gebäude – der absolut nichts mit Israel oder den Vereinigten Staaten zu tun hatte –, dem fortgesetzten Beharren der Hamas, daß Israel ausgelöscht werden müsse, und dem dreisten, hohntriefenden iranischen Feldzug für eine »islamische Atombombe« könnte der politische Islam einen gewaltigen strategischen Fehler begangen haben, geboren aus der Hybris seines Fanatismus. Dies könnte die Einstellung der Europäer zum politischen Islam und was die Rolle Israels in diesem Konflikt angeht, grundlegend verändern.

Kein Kampf der Kulturen

Es kann nicht oft genug gesagt werden: Dieser Kampf ist kein »Kampf der Kulturen« gegen Muslime oder gegen arabische oder muslimische Länder, deren legitime Klagen gehört werden müssen. Hingegen hat der entschiedene Kampf gegen den auf Vernichtung zielenden, totalitären politischen Islam zu gehen, gegen seine politischen Anführer und Regime und gegen die ungezählten Millionen seiner Anhänger quer durch die islamische Welt. Der Westen muß deutlich machen, daß er den totalitären politischen Islam nicht als rechtmäßig ansieht, aber gern normale, freundschaftliche und gegenseitig nutzbringende Beziehungen mit den zahlreichen islamischen Völkern und Ländern führen möchte, die nicht intolerant und kriegerisch sind. Der politische Islam darf nicht durch Besänftigungspolitik und Entschuldigungsarien – wurde einmal einmal verlautbart, was man von aus islamistischen Gruppierungen herausbrechendem Terror hält – ermutigt werden; seine rhetorischen und physischen Gewaltakte können und dürfen wir nicht tolerieren. jg

Jan. 2007 | Allgemein, Sapere aude | Kommentieren