NY HARY/Schülerwohnheim hat Betrieb aufgenommen – Bundespräsident würdigt Initiative von Stefan Büschelberger. Als der heute 30-jährige aus Kirchheim/Teck im Dezember 2004 nach Miarinarivo auf Madagaskar kam, gab es dort ein unbebautes Wiesengrundstück, viele Pläne und die Vision eines Bildungszentrums für junge lernwillige Madagassen.

In der Rekordzeit von nur zwei Jahren konnten er und seine Freunde vom Verein Ny Hary ihre Idee in die Tat umsetzen. Im Oktober zogen die ersten jungen Bewohner in ihr neues Zuhause ein, das den Namen Antseranantsoa trägt, zu deutsch: „im sicheren Hafen“.

1-bildungszentrum-totale.jpgLeonard ist 17 Jahre alt und besucht die 7. Klasse einer katholischen Schule in Miarinarivo auf Madagaskar. Er kommt aus einem kleinen Ort südlich der Stadt, zu weit um zweimal täglich den 20km langen Fußweg von und nach Hause gehen zu können. Seine Eltern sind beide tot. Er wurde von Verwandten aufgenommen, die selbst fünf Kinder haben, von denen drei ebenfalls noch zur Schule gehen. Die Familie lebt von dem, was ihr bisschen Land an Erträgen abwirft. Obwohl es die finanziellen Möglichkeiten der Familie übersteigt, wollen sie, dass Leonard weiter zur Schule geht, denn er ist sehr fleißig. Seit 2.Oktober hat er nun eine sichere Unterkunft in einem 6-Bett-Zimmer in Antseranantsoa gefunden. Dank des Stipendiums einer Familie in Großbettlingen und dank vieler weiterer Einzelspender bekommt er jetzt täglich drei nährstoffreiche Mahlzeiten und sauberes Trinkwasser, lebt unter hygienisch einwandfreien Umständen und erhält bei Bedarf medizinische Betreuung.

Leonard hat Glück gehabt. Er kann sich jetzt nicht nur ganz auf seine Schulbildung konzentrieren, sondern er lernt in Antseranantsoa noch viele weitere nützliche Dinge, die ihm später helfen werden, sein Leben selbst zu gestalten. Die Situation von Leonard ist auf Madagaskar – und in den meisten anderen afrikanischen Ländern – kein Einzelfall, sondern fast alltäglich. Allein in der 15.000-Einwohner-Stadt Miarinarivo kommen über 1000 der insgesamt knapp 5000 Schüler aus dem Umland. Auf dem Land gibt es zwar überall Grundschulen, danach ist aber für viele Kinder Schluss.

1amadagassen.jpg Nur 14% der madagassischen Kinder besuchen eine Sekundarschule, die es oft nur in weit entfernten Städten wie Miarinarivo gibt. Dort wohnen die Jungen und Mädchen, oft zu mehreren, in einfachsten Unterkünften und müssen sich selbst versorgen. Ihre Familien leben größtenteils von Landwirtschaft. Geld, das man den Kindern schicken könnte, gibt es fast nur nach der Reisernte. Für die jungen Schüler sind Arztbesuche im Krankheitsfall vielfach undenkbar, weil unbezahlbar. Als im Februar 2004 zwei Schüler in Miarinarivo wegen Fehlversorgung zu Tode kamen, war dies der Auslöser für Stefan Büschelberger zu handeln.

Stefan kannte Madagaskar zu diesem Zeitpunkt schon ganz gut. Er hatte bereits seit längerer Zeit die Patenschaft für ein kleines Mädchen in einem S.O.S.-Kinderdorf übernommen, zweimal die Insel bereist und verstand und sprach die Landessprache Madagassisch. Stefan Büschelberger und die madagassische Betreuerin seines Patenkindes, Yvette Randriomanana – seit 2005 seine Ehefrau – beschlossen, mit Hilfe von möglichst vielen Gleichgesinnten etwas für die bildungswillige Jugend auf Madagaskar zu unternehmen. Im März 2004 wurde der madagassische und im August 2004 der deutsche Verein „NY HARY – Verein zur Förderung der Jugendbildung auf Madagaskar e.V.“ gegründet.

Dank des Engagements des NY HARY Teams, konnten in zwei Jahren Spenden und Fördermittel im Gesamtwert von über 100.000 EUR für den Bau der Anlage gesammelt werden, einiges von Regierungsorganisationen wie der Deutschen Botschaft und der U.S. Botschaft auf Madagaskar oder der Landesstiftung Baden-Württemberg. Der überwiegende Teil jedoch kam von privaten Organisationen oder Spendern. Weil alle Vereinsmitglieder ehrenamtlich arbeiten, kamen die Spenden mit einer Verwaltungskostenbelastung von nur 0,3 % (!) – im wesentlichen für Überweisungsgebühren – in Madagaskar dem Förderzweck voll zugute. Stefan Büschelberger stellt vor Ort auch in Zukunft den zweckbestimmten und wirkungsvollen Einsatz der gespendeten Gelder sicher.

1amadagassen3.jpg Küche und Speisesaal von Antseranantsoa wurden bereits im September 2005 fertiggestellt, so dass seitdem bis zu 100 Schüler aus Miarinarivo während der Schultage ein warmes Mittagessen erhalten. Daß gute Ernährung hilft, bestätigen Lehrer und Schüler mit deutlich verbesserten Schulnoten. Seit Herbst diesen Jahres ist auch das Schlafgebäude fertiggestellt, welches bis zu 72 Jungen und Mädchen wie Leonard – deren Familien nicht in Miarinarivo leben – auch eine sichere Wohnmöglichkeit bietet.

Trotz aller Freude über das bereits Erreichte gibt es noch viel zu tun und das NY HARY-Team wird nicht müde, nach weiteren Förderern und Spendern zu suchen. Drei große Aufgaben müssen dringend gelöst werden: die Finanzierung der jährlichen Betriebskosten des Heims, die weitere Umstellung der Energie- und Wasserversorgung auf die umweltfreundlichen Energieträger Sonne und Wind sowie der kontinuierliche Ausbau zum umfassenden Bildungszentrum für die jungen Bewohner.

Die Verwendung von Solar- und Windenergie soll den Schülern zeigen, wie in von Strom- und Trinkwassernetzen nicht erreichten Gebieten Wärme, Wasser und Beleuchtung zu gewinnen sind. Leider fallen immer noch die wenigen verbleibenden Urwälder – Habitat vieler weltweit einzigartiger Pflanzen und Tiere – sinnlosem, aber oft überlebensnotwendigem Raubbau zum Opfer.

1asolarkocher.jpg Durch Ausbau des Wohnheims zum Bildungszentrum leistet NY HARY wichtige Hilfe zur Selbsthilfe: Mit praxisbezogenen Lehrangeboten zu Themen wie Aids, Familienplanung, Trinkwasseraufbereitung, Hygiene, Garten- und Landwirtschaft werden den Schülerinnen und Schülern Erfahrungen und Fertigkeiten an die Hand gegeben, mit denen sie ihre Lebensumstände dauerhaft weiter verbessern können. – Hier im Bild wird gerade ein Solarkocher vorgestellt) – In der im Aufbau befindlichen Bibliothek und Mediensammlung als Bestandteil des Bildungszentrums werden die Jugendlichen an Literatur und Wissenschaften herangeführt und werden lernen, über ihren täglichen Tellerrand zu blicken. Indem die Schüler das erworbene Wissen in ihre Dorfgemeinschaften hinaus tragen, wirken sie gleichzeitig als Multiplikatoren dieser Entwicklungshilfe.

Die Hilfe von NY HARY blieb auch an höchster Stelle nicht unbeachtet: Anläßlich des deutschen Staatsbesuchs in Madagaskar im April diesen Jahres besuchte Frau Köhler mit einer diplomatischen Delegation Antseranantsoa und war stolz auf dieses deutsch-madagassische Projekt. Bundespräsident Horst Köhler würdigte das Engagement der beiden Vereine bei seiner zentralen Rede: „… Lassen Sie mich als ein Beispiel von vielen das Engagement eines jungen Deutschen herausgreifen: Stefan Büschelberger hat gesehen, daß viele Kinder und Jugendliche, in deren Heimatorten es keine Schule gibt, von weit her nach Miarinarivo kommen, um die Schule zu besuchen – und dann kein zu Hause haben. Stefan Büschelberger und seine madagassische Frau haben deshalb damit begonnen, diesen Kindern eine Heimstatt zu geben… Beide leisten einen kleinen aber wichtigen Beitrag dazu, der jungen Generation eine Chance auf eine bessere Zukunft zu eröffnen. Madagaskar ist ein junges Land: Fast die Hälfte seiner Bevölkerung ist unter 20 Jahre alt. Diese jungen Menschen müssen sich an etwas orientieren können, sie brauchen eine Zukunftsperspektive. Bildung und Ausbildung müssen verbessert werden …“.

Wer sich gemeinsam mit NY HARY für bessere Bildungschancen junger Menschen in Madagaskar einsetzen will, kann dies natürlich gerne tun:

NY HARY Deutschland e.V. – Spendenkonto 36 74 323 bei der Baden-Württembergischen Bank (BLZ 600 501 01) – Kontakt zum Verein: Telefon 07021/482 248 oder www.ny-hary.org

Die Autorin Alexandra Böckel (Jg. 1986) hat im Juni 2006 an der Waldorfschule in Mainz ihr Abitur bestanden und absolviert vor Beginn ihres Studiums ein Volontariat von vier Monaten im Projekt Antseranantsoa.

Dez. 2006 | Allgemein, Junge Rundschau, Zeitgeschehen | Kommentieren