Tchibo, wir lieben es, täglich spät früh einen doppelten Espresso zum Wachwerden von den netten Damen in der Hauptstraße kredenzt zu bekommen. Auch kaufen wir dort immer wieder gern Dinge, die wir – zwar – nicht brauchen, die aber immer gut und irgendwann auch nützlich zu sein versprechen. Bislang seriöse Zeitungen tun dies nach. Nix gut, meinen wir:

Seit bei den Printmedien der sie finanzierende Anzeigenmarkt im neuen Jahrtausend unwiederbringlich eingebrochen ist und die Presse sich nach neuen Möglichkeiten zu ihrer Existenzsicherung umsehen muß, geraten auch bei den Qualitätszeitungen manche Grundprinzipien des Journalismus in eine Schieflage. Z.B. die “strikte Trennung” des journalistischen Teils, der Redaktion nämlich, vom Anzeigenmarkt.

Gemeint war damit, daß die Anzeigenkunden keinen Einfluß in ihrem Sinne auf das journalistische Angebot der Redaktion von Nachricht, Bericht & Kritik haben sollten. So würden “Unabhängigkeit“ & “öffentlicher Auftrag“ der Zeitungen gewahrt. Wer als Inserent eine Wohnung anbot oder suchte, sein Auto verkaufen oder eines kaufen wollte, hatte derlei Einflußwünsche ja auch wohl kaum je im Sinn. Anders war das schon bei einer Anzeigen-Kundschaft, die mit ihren Konsumanzeigen großflächig, also auch lukrativ inserierte – und im Gegenzug (un)ausgesprochen erwartete, daß die entsprechende Zeitung nicht negativ, resp. nur positiv über sie berichtete. Bekannt ist der Fall der SZ, die sich durch kritische Berichte über ALDI-Filialen um millionenschwere Anzeigen dieses Kunden gebracht sah.

Aber es gibt ja nicht nur diese Bedrohung der journalistischen Unabhängigkeit von außen. Seit die Printmedien nicht nur mehr ihren Insertionsplatz an Hausfremde anbieten, sondern selbst immer öfter in eigene Geschäftsfelder eingestiegen sind (& mit ihren Anzeigenkunden konkurrieren, wird es mit der angeblichen Trennung, Unabhängigkeit und dem öffentlichen Auftrag der Redaktionen prekär. Schleichend ist er schon ausgehöhlt worden. Bleiben wir bei der SZ, unzweifelhaft eine der großen Qualitätszeitungen Deutschlands – vor allem wegen der Qualität ihrer Namensautoren als Redakteure & ständige Mitarbeiter. Sie hat seit einiger Zeit ihre Reise- & Verkehrs/Motorseiten (“Mobiles Leben“) in einem deutlich erkennbaren anderen Layout erscheinen lassen. Auch eine Folge von wöchentlich erschienenen Werbeseiten für Österreichische Weine, in der Nähe des Kulturbuchs platziert, hat die gleiche Layout-“Anmutung”.

Schleichwerbung und schleichende Werbung1aaabauz.jpg

Aber nur erfahrene Leser & Kenner der Branche werden an dem veränderten Outfit dieser Teile erkennen, daß sie mit sogenannten “Verlagsbeilagen” identisch sind. Diese bedienen sich in der Gestaltung (“Anmutung”) zwar der vertrauten journalistischer Mittel wie Kommentar, Bericht & Bildtext, aber es sind de facto Anzeigenteile im Sinne & zum Zweck der darin inserierenden Kundschaft und die sie betreuenden Redakteure gewissermaßen Lohnschreiber für einen Fake, der am liebsten, wenn es nach der inserierenden Kundschaft ginge, für die zeitungslesende Kundschaft so aussehen sollte, als seien es redaktionelle Teile wie andere journalistische auch: “Schleichwerbung“ also.

Indem die SZ also jene Bereiche des Journalismus, die von jeher in einer prekären Abhängigkeit zu den darin von ihm behandelten Branchen standen – Reise & Auto – durch das Layout den “Verlagsbeilagen” angeglichen hat, hat sie erkennbar für Kenner, unbewusst für ihre anderen Leser annonciert, daß diese Teile der Zeitung gar nicht oder nur partiell unter die journalistisch-redaktionelle Verantwortung fallen. Das ist dankens- & lobenswert.

Andererseits ist die SZ wie kein anderes deutsches Printmedium von Rang und wie kein zweites aggressiv, spektakulär und großflächig in den Verkauf von Literatur, Musik-CDs, Film-DVDs & mit einer Hörbuch-Reihe – jeweils als “SZ-Editionen” – eingestiegen, so daß man als ihr Leser fast jeden Tag sowohl auf der Ersten Seite wie auch am Platz der Leitglosse des Feuilletons und regelmäßig mit mindestens einer ganzseitigen Selbstanzeige in ihrem Wochenendsupplement geradezu kampagnenmäßig mit Anzeigen für diese SZ-Editionen “bombardiert” wird. Der Verlag hat jedoch mit diesem permanenten Marketing hauseigener Waren den Weg aus der Verlust- in die Gewinnzone angetreten. Zumindest die beiden höchsten Aufmerksamkeitsplätze und journalistischen Filetstücke (auf der ersten Seite und der ersten Feuilletonseite) hätte die Redaktion nie und nimmer für Fremdinserenten freigegeben. Besonders im Feuilleton – dessen Renommee wie kein zweites Ressort der SZ diese ganze Verkaufsstrategie trägt, befördert und/oder (v)erspielt! – wurde der traditionelle redaktionelle Platz für den kritischen Kommentar oder Leitartikel des Ressorts auf seiner Aufschlagseite zuerst mehrmals in der Woche & seit jüngstem ständig (!) von Werbetexten in eigener Verkaufs-Sache besetzt. Und zwar durch die (un)freiwilligen Helfer und emphatischen Hilfsdienste der Redakteure & Mitarbeiter (oder prominenter Lockvögel), die ja alle nur ihre “Lieblings”-Romane, – Krimis, – Kinderbücher, -Pop-Musiken, -Kinofilme oder -Hörbücher vorstellen.

Platzverweis für die Kritik

Unter der Hand, stillschweigend & als redaktioneller Beitrag camoufliert ist der aufmerksamkeitsintensivste Platz in die Regie der hauseigenen Werbung übergegangen und die Feuilletonglosse auf die unattraktive zweite Umschlagsseite verschoben worden! Und schon ist eine weitere Staffel mit “Jahrhundert-Geigern” und eine Kinderfilmreihe als “Junge Cinemathek” am Laufen – und wie es sich für eine überregionale bayrische Regionalzeitung gehört, ist bei den “Jahrhundert-Geigern”, nach Joachim Kaisers “Großen Pianisten“, auch der Bayrische Rundfunk durch zeitgleiche Sendungen mit von der Partie – ein weniger polyphoner als synergetischer Verkaufs-Effekt.Ihren jüngsten, aber gewiss nicht letzten Coup will die SZ nun mit ihrer “Vinothek” landen. Damit verlässt sie das bisher von ihr weidlich beackerte Feld des Kultur-Recyclings in Form kanonisch konzipierter Sammlungen (nach dem Motto: “Was man gelesen, gesehen, gehört haben sollte”) & erweitert es in den Bereich der “höheren Lebensart” hinein. Nicht nur werden die Weine, die preislich von 8 über 10, 12. 16 bis zu 20 & 24 € pro Flasche deutlich über dem bisherigen Preisniveau des SZ-Kultur-& Medienrecyclings liegen und damit eine finanziell potentere Kundschaft ansprechen, mit einem Begleitschreiben ausgestattet, sondern auch noch von Rezepten einer österreichischen Meisterköchin accompagniert, “die sich wunderbar sinnlich (in) die Weine der SZ Vinothek hineinschmiegen“ – was immer der SZ-Architektur-Kritiker Gottfried Knapp damit gemeint haben mag.

Er ist aber nicht der einzige SZ-Feuilletonist, der seine bislang brachliegende, unbekannte Neigung zur Gastro-Eloge nun auf dem jüngsten SZ-Geschäftsfeld entfalten darf. Der Literaturredakteur Ijoma Mangold fungiert als weiterer Maitre de Plaisier in der Vinothek für SZ-Leser. Ihn qualifiziert als Sommelier, daß der gebürtige Heidelberger (und KFG – Absolvent) aus einer Weinregion stamme, wo zum “sonntäglichen Essen auch ein Wein dazugehörte”, daß er als Student in Bologna sein “Faible für deutsche Rieslinge entdeckte” und “eigene Kriterien gefunden hat, um die Kraft, die Harmonie und das Potential eines Weins zu erfassen”. Nun ja, das reicht … – um wöchentlich als Reporter ein Weingut und dessen Besitzer mit dem genre-üblichen Schmus zu “porträtieren”, damit der SZ-Leser, bevor er auch nur einen Tropfen über die Lippen bekommen hat, hinlänglich weiß, was ihm da “exklusiv” zugeführt wird. (Ijoma, das wollt – got – ich, daß Dir je angetan würde nicht, als ich Dir nicht vehement genug auszureden versuchte, Journalist werden zu wollen).

Sowohl Schmalhans als auch Witzigmann

Was findet hier – wie auch andernorts in der Presse (Zeit, Spiegel, Welt, Bild, Brigitte, FR etc.), aber bei der SZ am bislang exzessivsten – eigentlich statt? Zurückblickend richtete sich das zusätzliche Geschäftsfeld auf ein diversifiziertes “Modernes Antiquariat”, das alle kulturellen Medienbereiche durchforstete und deren bereits hinlänglich zur Prominenz gelangten (& “abverkauften“) Objekte der “Backlists” noch einmal zu Dumpingpreisen recycelte. Aber nicht als wahllose Einzelobjekte, sondern in Form einer sowohl kanonische Relevanz (“The Best of“) als auch Vollständigkeit suggerierenden Geschlossenheit als SZ-“Edition”, die durch die Fachberatung & -empfehlung bekannter journalistischer “Ratgeber” nobilitiert wird, die einem aus der täglichen SZ-Lektüre vertraut sind.

Der Reihencharakter der “exklusiven” Editionen appelliert zugleich an den Sammel- & Vollständigkeitstrieb, die ansprechenden Ausstattung an ein Repräsentationsbedürfnis und der vergleichsweise niedrige Preis, der noch durch Zusatzvergünstigungen beim Abonnementsabschluß der “Editionen” reduziert wird, entspricht passgenau der ebenso virulenten wie ununterbrochen allseits angesprochenen Schnäppchenmentalität, der “Geiz geil ist”. So kann beim fortgesetzten Erwerb umfänglicher Kulturgüter für den Hausgebrauch der SZ-Zusatzkäufer Schmalhans zum Küchenmeister machen & sich zugleich doch als ein Witzigmann fühlen, der in der “corporate identity” der SZ-Leser heimisch & eingebunden ist.

Das Unternehmen SZ, das davon den Hauptgewinn hat, kann sich beim Ankauf seiner Weiterverkaufsobjekte wie ALDI auf einen Massenabsatz berufen, also billigst einkaufen und seine Zusatzgeschäfte mit einer ebenso kontinuierlichen wie großformatigen Werbekampagne optimal verwerten, d.h. es kann sich einen geballten Insertionsaufwand erlauben, wie keiner der ursprünglichen Rechteinhaber, speziell Buchverlage und Tonträgerfirmen oder gar Weingüter.

Von ALDI zu Tchibo

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Werblich sind also jene, die den Kulturmarkt mit “Frischware” versorgen und sich dafür um Aufmerksamkeit, resp. Absatz sorgen müssen, durch diese Zeitungskonkurrenz auf dem von ihnen bislang allein bewirtschafteten Markt ins Hintertreffen geraten. Dem durch die Billigpreisangebote “verwöhnten” und durch den Serienerwerb von “Editionen” in seinem Zeitbudget beschäftigten Käufer ist z.B. vom klassischen Buchhandel schwer verständlich zu machen, warum er sowohl für neue Hardcovers als auch für schlechter als die SZ-Editionen ausgestattete Taschenbücher ein Mehrfaches bezahlen soll, also “weniger für sein Geld” bekommt. Geht man davon aus, daß die von der SZ angesprochene Käuferschicht ihr Finanz- Budget für den Erwerb kultureller Objekte wie Bücher, CDs, DVDs etc. durch die von ihr empfangenen & erwiderten “Liebesblicke” der SZ-Editionswaren überwiegend nicht erhöht, könnte das langfristig auf den herkömmlichen Geschäftsfeld des Kulturhandels Folgen haben. Schon jetzt nehmen in Buchhandlungen nicht nur SZ-, sondern auch Brigitte- oder Bild-Editionen Plätze ein, die für nur dort vertriebene, auffindbare & werbelose auf den Markt geschickte Waren dadurch aufgegeben wurden. Verdrängungswettbewerb, Konzentration & Exklusion also auch hier: ohne Globalisierung.

Ich weiß ja nicht, ob der Kaffee-Preis bei Tchibo über die Jahre hinweg nur dadurch gehalten wurde, daß man als Käufer im Tchibo-Laden sich immer erst durch einen wöchentlich wechselnden Bazar von ebenso absonderlichen, ausgefallenen wie “praktischen” Konsumgegenständen zur Kasse durchkämpfen muss; und ob man als Nur-Kaffee-Käufer innerlich beschämt und schlechten Gewissens den Laden verlässt, weil man ganz offensichtlich dort nur das “Hinterletzte” gekauft hat (Kaffee nämlich) – oder ob man doch dafür auch noch dankbar sein sollte, daß so viele andere Käufer durch das aufgestapelte Warenangebot gewieselt sind und sich mit kaffeefremdesten Gegenständen eingedeckt haben.

Laufburschen, Kellner & Schlepper

Natürlich ist die SZ nicht Tchibo; das anzunehmen, wäre kalter Kaffee. Aber wie der bundesweit vertretene Kaffeeröster kann sie vom Verkauf ihres ursprünglichen journalistischen “Kerngeschäfts” nicht allein mehr wirtschaftlich überleben – zumindest nicht als Tageszeitung auf dem bislang erreichten und gehaltenen Qualitätsniveau. So hält sie ihr redaktionelles Angebot als überregionale Qualitätszeitung, das über den Einzelverkaufs- oder Abonnementspreis nicht zu finanzieren ist, durch aktiv & aggressiv beworbene Zusatzgeschäfte mit eigen zugerüsteten Kult(ur)gegenständen über Wasser, wobei sie bislang ihr kulturelles & redaktionelles Renommee als verkaufsförderndes Kapital einsetzt – und ihre (un)abhängigen Feuilletonredakteure als deren Laufburschen, Kellner oder Schlepper zum Kundenservice dienstverpflichtet.Soviel aber weiß ich: zu “meiner Zeit” (bis in die Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts) hätte eine solche “Dienstleistung” dem Berufsbild und dem Ehrenkodex des Journalisten & Feuilletonredakteurs diametral widersprochen; und kein Zeitungsverleger hätte dergleichen zu verlangen auch nur gewagt, schon gar nicht in einer überregionalen Qualitätszeitung.

P.S. In einem Beitrag für die Filmzeitschrift “Revolver” (Heft 14) hat Enno Patalas, der ehemalige Leiter des “Münchner Filmmuseums” zu der DVD-“Cinemathek” der SZ mit Bitterkeit geschrieben: “Neu ist, daß eine seriöse Zeitung, ihre Redakteure und Schreiber, sich dazu hergeben, ihrem Verleger die Waschzettel zu schreiben, sie im redaktionellen Teil abzudrucken und namentlich zu zeichnen”. Was wäre dem hinzuzufügen? ws/got

Nov. 2006 | Allgemein, Feuilleton, Wirtschaft, Zeitgeschehen | Kommentieren