Haben, weiß das jemand, die Landesmedienanstalten jemals Lizenzen für die Verbreitung von Glücksspielen im Radio erteilt? Wer häufiger als gar nicht Radio hört, meint sicher sein zu müssen, daß doch. Ständig gibt es da irgendetwas zu gewinnen …

Wer hat sie noch nicht gehört, die „Wortspiele”, die „geheimen Geräusche” oder „10.000-Euro-Anrufe”. Als Hörer hat man zunehmend den Eindruck, pausenlose Live-Übertragungen aus Losbuden zu verfolgen. Die Moderatoren geben dabei den „Hütchenspieler”: „Rufen Sie jetzt an, und gewinnen Sie x-tausend Euro.” Wer das nun aber tatsächlich tut, der macht sich gleich insofern mitverantwortlich für die Programmfinanzierung, als er allsogleich zur Finanzierung dieses Programm-Blödsinns beiträgt
Immer mehr private Radiosender halten solche marktschreierischen Gewinnaktionen offenbar für ein probates Mittel, Aufmerksamkeit zu erlangen und bei den Umfragen für die Media-Analyse möglichst häufig genannt zu werden. Dabei geht es um Geld: Wem die „MA-Radio” viele Hörer nachweist, der kann hohe Preise für Werbespots verlangen.

1aaahutchenradio.jpgInszenierte Skandale

Gewaltig ins Zeug legen sich vor allem Sender, die Hörerschwund zu beklagen haben. „Radio PSR” beispielsweise verlor in den vergangenen drei Jahren ausweislich der Media-Analyse rund ein Drittel seiner Hörerschaft. Um den Absturz zu stoppen, wurde ein Jackpot-Gewinn in Höhe von stolzen 318.000 Euro ausgeschüttet.
Für weiteren Gesprächsstoff sollte die vorübergehende Entlassung des populären Moderators Steffen Lukas sorgen, weil er in seiner Nachmittagssendung – angeblich versehentlich – das Lösungswort für das mit über 40.000 Euro dotierte „Sachsen-Wortspiel” verraten hatte.
Diese Aktion geriet allerdings zum Rohrkrepierer. Statt im Sinne des Senders über die fristlose Kündigung und die Wiedereinstellung des Radiomanns am folgenden Tag zu berichten, vermutete die regionale Presse ein abgekartetes Spiel: „Das Ganze riecht nach Inszenierung”, schrieb die „Sächsische Zeitung”. Den Redakteuren waren Parallelen zu ähnlichen Aktionen in anderen Programmen aufgefallen, die ebenfalls – wie „Radio PSR” – vom Beratungsunternehmen „Alan Burns & Associates” betreut werden. (Ihre Gesellschafter verlangen immer mehr. Bessere Quoten. Mehr Umsatz. Sie brauchen eine individuelle Strategie und einen Berater, der mehr ist als ein „Musik Guru“. Sie brauchen „Alan Burns & Associates“.
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Das Burns-Prinzip

Der Europachef der Radioberater aus Florida ist Rik de Lisle, dessen Karriere als Diskjockey beim amerikanischen Soldatensender AFN begann. Mitte der achtziger Jahre baute er in Berlin die Popwelle Rias 2 auf. Später landete er als Moderator bei RTL. Seit 1997 erklärt der „alte Ami”, wie er sich selbst gern nennt, deutschen Hörfunkern, wie man Radio macht, das zumindest der Reichweite nach erfolgreich ist. Zu seiner Kundschaft gehört in Deutschland ein Dutzend Privatsender.
„Wer de Lisle anheuert, muß sich bedingungslos seinen Vorgaben unterwerfen oder kann gleich seinen Job räumen”, berichtet ein Kenner der Szene, der lieber nicht genannt werden möchte. Tatsächlich war wiederholt zu beobachten, daß Programmchefs ihre Posten verloren, nachdem Burns-Leute die Beratung eines Senders übernommen hatten.
Vor gut anderthalb Jahren traf es Stephan Offierowski, den damaligen Programmdirektor von Antenne Bayern. Weil die Media-Analyse eine rückläufige Hörerzahl für den Privatsender auswies, heuerten die Gesellschafter – darunter Burda, Springer, Bertelsmann und bayerische Zeitungsverleger – de Lisle an. Der brachte Valerie Weber als neue Programmchefin mit, die bis dahin bei „Hitradio Antenne1” in Stuttgart die Vorgaben der Burns-Berater umgesetzt hatte.

Schwiegermutter statt Hochwasser

Seitdem ist auch im Programm des Senders aus Ismaning bei München eine Inflation der Radiospiele zu beobachten, die journalistischen Inhalte nehmen derweil ab. Ausnahmen werden selbst bei herausragenden Ereignissen in der Region nicht gemacht.
Als im August 05 in elf bayerischen Kreisen wegen Hochwassers Katastrophenalarm ausgerufen wurde, Orte zeitweilig von der Außenwelt abgeschnitten waren und sogar die ARD in einem „Brennpunkt” berichtete, konzentrierte sich Antenne Bayern auf die PR-Aktion „Bayerns großer Schwiegermuttertest”. „Was trägt der Bayer von Welt in diesem Sommer, der keiner ist?” fragte der Moderator an diesem Morgen seine Hörer und lieferte die Antwort nach: „Handschellen” – und nicht etwa Sandsäcke.
Auch nach dem Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall am 2. Januar, bei dem fünfzehn Menschen ums Leben kamen, ließen sich die Antenne-Macher den Spaß an ihrem „Dingsbums-Spiel” nicht vermiesen. Zusätzlich wütend machte Radiohören an diesem Abend, wie ein Nachwuchsmoderator auf Antenne Bayern wenige Stunden nach Bekanntwerden der Katastrophe fröhlich darüber referierte, wie die günstige Feiertagskonstellation im neuen Jahr zur Verlängerung des Jahresurlaubs ausgenutzt werden könne.

Vorproduziert und computergesteuert

Der unbedarfte Plauderer bewegte sich damit etwa auf demselben Niveau wie inzwischen eine Reihe seiner Berufskollegen auch im Ländle. Fröhlich vorgetragene Belanglosigkeiten und viel Werbung für den eigenen Sender haben Berichte, Reportagen und Interviews aus massenpopulären Programmen verdrängt. Dabei werden die Banalitäten längst nicht immer live übermittelt.
Der Chef eines norddeutschen Privatradios berichtete, daß einer seiner Moderatoren vier Wochen lang zwar „on air”, jedoch nicht im Sendestudio gewesen sei. Beim sogenannten „Voice tracking” werden die Moderationen vorproduziert und computergesteuert in den Sendeablauf eingebaut. Spontane Reaktionen auf aktuelle Ereignisse, die eigentlich eine Stärke des Radios sein sollten, kommen somit immer seltener vor.
Statt Alternativen zu bieten, versuchen öffentlich-rechtliche Programme wie NDR 2, Jump (MDR) oder Bayern 3 seit Jahren, das niedrige Niveau nachzuahmen, allerdings ohne erkennbaren Erfolg. In den meisten Sendegebieten haben die Privatfunker in Sachen Hörerzuspruch die Nase deutlich vorn. Selbst ambitionierte ARD-Jugendwellen senden entweder nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit – wie MDR-Sputnik – oder erreichen die avisierte Zielgruppe nicht. So ist die Hörerschaft des WDR-Jugendprogramms Eins Live im Schnitt älter als dreißig.

Direktmarketing für junge Hörer

Der Nachwuchs hat sich mit anderen Medien angefreundet. Das Internet wird von mehr als neunzig Prozent der Vierzehn- bis Neunzehnjährigen regelmäßig genutzt, Radio dagegen nur von rund 76 Prozent. Folgerichtig ist die Hördauer in dieser Altersgruppe in den vergangenen fünf Jahren um zwanzig Prozent gesunken.
Ein Grund ist die unbegrenzte Musikauswahl, die online – legal und illegal – zur Verfügung steht. Während Radiosender ihre Musikauswahl meist auf hundert bis 400 Titel begrenzen, neue Stücke und unbekannte Interpreten selten ins Programm nehmen, können sich Internetnutzer ihre Musikprogramme selbst zusammenstellen und auf dem iPod anhören. Daher ist unverständlich, daß die meisten Sender weiterhin nahezu ausschließlich auf Musik als Kernkompetenz setzen.
Weil Radiomanager befürchten müssen, daß sich künftig noch mehr jüngere Hörer vom Radio abwenden, wird nach zusätzlichen Einnahmequellen gesucht. Das könnten nach den Vorstellungen von Klaus Gräff, Geschäftsführer der „Radio Business to Consumer GmbH”, die Höreradressen leisten – durch Direktmarketingaktionen.

Datensammeln leicht gemacht

„Hörer, Zuschauer und Leser sind weit mehr als nur ein Maß zur Ermittlung von Reichweite oder Auflage. Werden sie aktiviert, wandeln sie sich zu einer ergiebigen Quelle zusätzlicher Erlöse”, ist auf der Internetseite des in Hamburg ansässigen Unternehmens nachzulesen. Während der Münchner Medientage im vergangenen Oktober erklärte Gräff, daß er von seinen Gesellschaftern die Vorgabe habe, von jedem Radiohörer bis zu fünfhundert Euro pro Jahr „zu generieren”.
Fleißig gesammelt werden seit geraumer Zeit die Daten von Teilnehmern an Gewinnspielen. Wer etwa bei „Radio PSR” seinen Tip für das „Sachsen-Wortspiel” abgeben will, landet in der Regel auf einem Anrufbeantworter und erhält die Auskunft: „Schade, diesmal hat’s leider nicht geklappt.”
Dafür hat der Sender noch „ein Geschenk” parat. Gegen Nennung des Namens und Eingabe der eigenen Telefonnummer könne man „mit Radio PSR einen Lottotip gratis abgeben”, wird versprochen und gleichzeitig ein Rückruf vom „Lottopartner DSM” für die nächsten Tage angekündigt

Glücksspielsteuern wären lukrativ

Selbst wer auf solche zusätzlichen Angebote verzichtet, trägt allein mit seinen Anrufen bei den „Gewinn-Hotlines” zur Erhöhung der Senderumsätze bei. Von den zumeist 49 Cent Gebühren kassieren die Stationen nach Branchenschätzungen fünfzig bis sechzig Prozent. Das Fachmagazin „werben und verkaufen” berichtete im vergangenen Jahr, daß bei einer früheren Aktion von Antenne Bayern innerhalb von sechs Wochen über drei Millionen kostenpflichtige Tips für die „Halleluja-Hits” abgegeben worden seien.
Sollten solche Aktionen tatsächlich zu einem wirtschaftlichen Erfolg führen, werden diese Art Hütchenspiele im Radio vermutlich weiter ausgebaut. Die Medienaufseher wären wohl gut beraten, andere gesetzliche Grundlagen bei der Erteilung von Hörfunklizenzen heranzuziehen: beispielsweise das Glücksspielgesetz. Allerdings dürfen die Radiomacher auch künftig Gewinne aus den kostenpflichtigen Anrufaktionen für sich behalten.
Pläne einiger Finanzminister, die Glücks- und Geschicklichkeitsspiele in Medien, insbesondere in Fernsehen und Radio, mit bis zu zwanzig Prozent gesondert zu besteuern, wurden im Bundesrat verworfen. Was Wunder: Schätzungen lauteten auf jährliche Steuermehreinnahmen in Höhe von 680 Millionen Euro. vh/got

Nov. 2006 | Allgemein, Junge Rundschau, Wirtschaft, Zeitgeschehen | Kommentieren