Der Überlebenskampf deutscher Zeitungen hinterläßt seine Spuren. Doch das Interesse ist gering. Vorbereitet wurde die derzeitige Gefährdung der Zeitungen durch das jahrelang wachsende Desinteresse Jugendlicher an Tageszeitungen und die Abwanderung der Auto- Immobilien- und Stellenanzeigen in das Internet. Hinzu kam der Rückgang von Werbeanzeigen. Den Zeitungsverlagen brach ein großer Teil ihrer Finanzgrundlagen weg, Zeitung im Internet hingegen boomt – Informationen und Hintergrund-Lesestoff sind jederzeit und in der Regel kostenlos abrufbar. Und, beispielsweise wir, kommen nicht (wie viele Jahre gehabt) einmal im Monat unter die Leute, sondern tag- und nachtaktuell. Und haben so viel Platz, wie wir wollen und brauchen. Und können Leser einladen, sofort zu kommentieren …
Die Öffentlichkeit nimmt weder die Ursachen der Pressekrise noch ihre publizistischen Auswirkungen wahr. Die Diskussion beherrscht vielmehr die Änderung des Kartellrechts, die mit den Stimmen der Regierungskoalition jetzt vom Bundestag beschlossen worden ist, von der CDU aber in den Vermittlungsausschuß gebracht wird. Besonders die Zulassung der Kooperation von Verlagen bei Anzeigen, Druck und Vertrieb ist umstritten.
Völlig andere Sichtweise
Eine völlig andere Sichtweise vermitteln die Erfahrungen und Einschätzungen der krisengeschüttelten Journalisten. Fast zwei Drittel der Zeitungsredakteure sehen heute mehr Gefahren für die „Innere Pressefreiheit”, also die Unabhängigkeit der Redaktion, als noch vor fünf oder zehn Jahren. Weniger Gefahren erkennen nur ein Prozent. Der Rest stellt keine Veränderung fest.
Das ist das zentrale Ergebnis der von einer Journalistenorganisation gemachten Befragung von 260 Redakteuren, die zum großen Teil bei regionalen Abonnementzeitungen tätig sind. Die Innere Pressefreiheit gilt in Deutschland, anders als in den angelsächsischen Ländern, als eine Voraussetzung der Pressefreiheit. Ihre rechtliche Sicherung war deshalb in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Gegenstand heftiger publizistischer und politischer Kontroversen. Um so erstaunlicher ist, daß ihre augenblickliche Gefährdung nahezu unbeachtet bleibt.
Die Grenzen der Handlungsfähigkeit
Wie alle Freiheiten besitzt auch die von Journalisten eine subjektive und eine objektive Dimension: Subjektiv geht es um die Freiheit, die der einzelne empfindet, objektiv geht es um die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit. Trotz der Pressekrise fühlen sich die meisten Redakteure relativ frei. Fast alle (92 Prozent) können ihre Ideen für berichtenswerte Themen immer oder zumindest meistens verwirklichen.
Ein guter Wert. Schließlich können Mitarbeiter in keinem Unternehmen nach ihrer Tageslaune handeln. Was jedoch überrascht: Nur knapp die Hälfte der Redakteure hat generell das Gefühl, „innerhalb der Zeitung genug Freiheit als Journalist zu besitzen”. Und fast genauso viele (41 Prozent) fühlen sich als Journalist „eingeengt”. Die Diskrepanz läßt vermuten, daß das Gefühl der Einengung weniger aus einem Mangel an eigenen Möglichkeiten als aus einem Übermaß an fremden Zumutungen resultiert.
Der Einfluß der Inserenten
Objektiv sieht die Lage in den Redaktionen bedenklich aus: Der Einfluß der Inserenten ist gestiegen. Fast vier Fünftel der Redakteure hat beobachtet, „daß bei ihrer Zeitung im redaktionellen Teil auf Interessen von Inserenten Rücksicht genommen wird”, und mehr als die Hälfte ist der Ansicht, daß jene Rücksichtnahme eher zugenommen habe. Wer wissen möchte, was diese Rücksichtnahme bedeutet, blickt in das Fegefeuer der Journalisten. Über die Hälfte der Redakteure berichten, daß ihre Zeitung „redaktionelle Beiträge zur werblichen Unterstützung eines Inserenten oder einer Branche” veröffentlicht.
Und fast die Hälfte weiß, daß ihre Zeitung Sonderseiten mit redaktionellen Texten und thematisch passenden Anzeigen veröffentlicht. Die ehemals eherne Grenze zwischen Journalismus und PR sowie Werbung existiert anscheinend bei zahlreichen Regionalzeitungen nicht mehr oder nur noch teilweise. Journalisten werden zu Grenzgängern, die mit einem Bein auf jener Seite stehen, über die sie eigentlich distanziert berichten sollen. Das ist weder mit ihrem Berufsverständnis noch mit den Lesererwartungen vereinbar.
Fragwürdige Ausweitung
Bei den „Hilfestellungen” von Journalisten für Inserenten handelt es sich um eine fragwürdige Ausweitung ihrer Tätigkeit. Berührt sie zugleich den Kernbereich ihres Berufes, die unabhängige Information der Öffentlichkeit? Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn publikationswürdige Beiträge aufgrund äußeren Drucks nicht erscheinen. Solche Eingriffe berichtet nur eine Minderheit. Aber immerhin ein Viertel der Redakteure hat erlebt, daß „redaktionelle Beiträge, die für einen Inserenten oder eine Branche unangenehm” waren, nicht veröffentlicht wurden. Zudem nimmt man gelegentlich auch Rücksicht auf Interessen von Behörden, Verbänden, Verlegern und ihren Freunden. Nach Auskunft der Redakteure kommt das jedoch seltener vor.
Die schwierige wirtschaftliche Lage hat zahlreiche Zeitungsverlage zu drastischen Einsparungen gezwungen – mit Folgen für die Qualität der Redaktionsarbeit. Mehr als die Hälfte der Journalisten berichtet, daß weniger freie Mitarbeiter beschäftigt werden. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) weiß, daß in jüngerer Zeit Redaktionskollegen entlassen wurden. Das sind keine Einzelfälle, sondern gravierende Einschnitte.
Durchschnittlich elf Entlassungen
Elf Journalisten wurden durchschnittlich in den Redaktionen entlassen, was sich natürlich auch auf das Arbeitsklima auswirkt. Viele hätten Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, sagen mehr als zwei Drittel. Nach Ansicht der Hälfte aller Befragten führt das zu einem „angepaßten Verhalten in der Redaktionskonferenz”. Anders gesagt: Es beeinträchtigt den aufrechten Gang der Journalisten. Über die Hälfte geben an, daß die Konkurrenz unter den freien Mitarbeitern größer geworden ist. Allerdings meint nur eine vergleichsweise kleine Minderheit, sie müßten heute „mehr Rücksicht auf die Zeitungslinie nehmen”.
Die Qualität vieler Zeitungen leidet. Nach Ansicht der meisten Journalisten (55 Prozent) hat diese sich „alles in allem eher verschlechtert”. Vom Gegenteil sind nur wenige (26 Prozent) überzeugt. Vor allem die Phantasie der Sprache habe gelitten, meint jeder dritte Redakteur. Jeder vierte sagt, daß der Umfang der Zeitung abgenommen habe und das Themenspektrum enger geworden sei. Das muß aber nicht zu einem echten Substanzverlust führen.
Weniger Fakten, weniger Aktualität
Die Konzentration auf Kernfelder könnte auch ein Gewinn sein. Dagegen spricht aber, daß nach Auskunft eines Fünftels der Redakteure das Angebot an Fakten geringer geworden sei, die Aktualität gelitten habe und die Zahl der Berichtigungen größer geworden sei. Es bleibe zu wenig Zeit für die Recherche, beklagt jeder zweite, und jeder dritte sagt, daß die Zeit fehle, „um sich über ein Thema auf dem laufenden zu halten”. Dadurch ist die zentrale journalistische Aufgabe gefährdet – das Aufspüren von Entwicklungen, das Sammeln, Bewerten und Aufbereiten von Fakten und Meinungen.
Einschränkungen bei der formalen Gestaltung der Zeitung spielen dagegen keine große Rolle. Das größte Problem sei der Personalmangel, sagen die meisten Redakteure. Fast jeder zweite stellt fest, sie hätten zu wenig Redakteure, jeder fünfte beklagt zu wenig freie Mitarbeiter. Der wirtschaftlich notwendige, journalistisch aber fragwürdige Versuch, mit Hilfe der Redaktionen die Einnahmenausfälle der Anzeigenabteilungen zu kompensieren, untergräbt die publizistische Grundlage des ökonomischen Erfolgs der Zeitungen.
Kein Glaube an Fusionen
Diesen Teufelskreis können auch rechtlich gebändigte Fusionen nicht durchbrechen, meinen die meisten Redakteure. Mehr als zwei Drittel glauben nicht, daß Zeitungsfusionen die redaktionelle Selbständigkeit der Blätter sichern. Die Kooperation der Verlage, die das neue Gesetz jetzt ermöglichen soll, spart die Redaktionen aus.
Birgt das Gesetz dennoch Gefahren für die Selbständigkeit der Redaktionen, für die innere Pressefreiheit? Hier könnten sich die Befürchtungen der befragten Redakteure als unbegründet erweisen. Dennoch ist angesichts des Einflusses der Inserenten auf den redaktionellen Teil nicht auszuschließen, daß sich bei einer Kooperation der Verlage im Anzeigengeschäft die Rücksichtnahme der einzelnen Verlage auf Inserenten addiert und auf alle beteiligten Redaktionen auswirkt.
Die Befragung der Redakteure hat gezeigt, daß die Verunsicherung in den Redaktionen wächst und die Qualität der Zeitungen unter der Medienkrise leidet. Journalisten werden zu Grenzgängern zwischen Journalismus und Werbung. Die Innere Pressefreiheit, als besonders sensible Seite der Medienfreiheit, ist gefährdet. an/got