Gefährliche Entwicklungen in Russland und ihre Folgen für Deutschland

Einige Jahrzehnte haben politische Männerfreundschaften das deutsche Verhältnis zu Russland bestimmt. Erst die „Sauna“- Freundschaft zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Präsident Boris Jelzin, dann die enge Beziehung zwischen dessen Nachfolger Wladimir Putin und Gerhard Schröder (SPD). Trotz aller Versuche von Angela Merkel, als Bundeskanzlerin dem Verhältnis zu Russland eine etwas kritischere Note zu verleihen, bleibt der Blick von Deutschland gen Osten geprägt von Naivität und Schönfärberei. Während hiesige Politiker in der Auseinandersetzung mit dem Islam gern vollmundig mehr Demokratie und Meinungsfreiheit verlangen, sind sie diesbezüglich mit Blick auf Russland und das wirtschaftliche Potential des Riesenreichs auffallend stumm.
Umso lesenswerter ist Putins Demokratur, das neue Buch von Boris Reitschuster, der seit sieben Jahren für eine deutsche Nachrichtenillustrierte aus Moskau berichtet und mit einer Russin verheiratet ist. Reitschuster warnt eindringlich davor, sich von der westlichen Glitzerfassade der Moskauer Konsumgesellschaft und den politischen Sonntagsreden täuschen zu lassen. Die Demokratisierung Russlands sei gescheitert, konstatiert der Journalist und beschreibt das System Wladimir Putins mit dem passenden Begriff „Demokratur“.
1aaaaputin.jpg„Es war ein gewaltiger Irrtum des Westens, lange so zu tun, als könne sich Russland nach siebzig Jahren Kommunismus von heute auf morgen zu einer echten Demokratie wandeln“, schreibt der Autor nüchtern. „Doch statt sich mit winzigen Schritten in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Bürgergesellschaft zu bewegen, marschiert Russland mit festem Schritt in Richtung autoritärer Vergangenheit, hin zu einer Mischung aus Kommunismus und Zarismus.“

Bereits kurz nach der Wahl Putins zum Präsidenten im Jahr 2000 setzte eine zunehmende Unterdrückung kritischer Medien und freier Berichterstattung ein, ein Kampf gegen unbequeme Nichtregierungsorganisationen und politische Gegner begann. Foto: Corriere

Der Russland-Kenner Reitschuster, der mit Unterbrechung seit 1990 in der russischen Hauptstadt lebt, glänzt vor allem zu Beginn seines Buchs mit der treffsicheren Beschreibung des überraschenden Aufstiegs Wladimir Putins zur Macht und der Restauration alter Sowjetstrukturen, vor allem des früheren Geheimdienstes KGB. Den Pakt von Putins Vorgänger Boris Jelzin mit dem Sicherheitsapparat begreift der Autor als einen der „Schlüsselmomente für das Verständnis der Umwälzungen im heutigen Russland.“

Eine große Stärke des Buches liegt darin, daß es Reitschuster gut gelingt, dem hiesigen Leser die Auswirkungen der politischen Entwicklungen im fernen Russland auf das eigene Land vor Auge zu führen. Der reißerische Untertitel Wie der Kreml den Westen das Fürchten lehrt wirkt zwar überspitzt, aber der Autor vermag es überzeugend darzulegen, welche Gefahren und Risiken für Deutschland die zunehmende Abhängigkeit von russischem Gas und zu enge wirtschaftliche Verflechtung mit sich bringen.

Mit der unglaublichen Geschichte des in Russland engagierten US-Geschäftsmanns William F. Browder macht Reitschuster deutlich, was passieren kann und wie leicht es ist, im Kreml plötzlich in Ungnade zu fallen. „Recht und Gesetz sind nicht nur ein Steckenpferd von Menschenrechtlern“, schlußfolgert der Autor. „Sie sind eine elementarer Voraussetzung für eine normale wirtschaftliche Entwicklung.“ gp
Das Buch ist zwar spannend geschrieben und gestattet tiefe, kenntnisreiche Einblicke in die russische Wirklichkeit, aber es fehlt an einer klaren Dramaturgie des Werkes. Auch wenn einzelne Passagen beeindruckend und dicht geschrieben sind, wirken andere Kapitel eher wie unfertige Reportagefetzen, die mit griffigen Zwischentiteln schnell aneinandergereiht wurden. Auch fehlt es immer wieder an analytischer Tiefe, beispielsweise muß Putins raue Kindheit im Petersburger Hinterhof dafür hinhalten, daß sich das Streben nach Stärke wie ein roter Faden durch den Lebenslauf des kleinen Wolodja zieht. Statt sich detailverliebt so vielen verschiedenen Teilaspekten zu widmen, wäre die Konzentration auf thematische Schwerpunkte dem Gesamteindruck dieses neuen Russlandbuches besser bekommen.

So liest sich Putins Demokratur streckenweise sehr langatmig, erst gegen Ende wirken die detaillierte Darstellung des russischen Megakonzerns Gasprom und der umstrittenen Mitwirkung Gerhard Schröders im Aufsichtsrat des Gasprom-Konsortiums zum Bau der Ostsee-Pipeline diesem Eindruck entgegen.

Der Autor schreibt, er habe bereits im August 2005, also vor der Bundestagswahl, einen ersten Hinweis auf die spätere Beratertätigkeit Schröders erhalten. Reitschuster setzt sich nicht nur kritisch mit den Ähnlichkeiten der beiden befreundeten Machtpolitiker auseinander, sondern macht auch deutlich, wie fragwürdig Schröders kritiklose Unterstützung des Putin-Kurses ist. „Er bescheinigte ihm, ein lupenreiner Demokrat zu sein, lobte sein Vorgehen in Tschetschenien und sah in der Yukos-Affäre keine Anhaltspunkte, daß das nicht mit rechtstaatlichen Mitteln vor sich geht.“

Gerade weil es in Russland keine freie Berichterstattung mehr gibt, sieht sich Reitschuster als ausländischer Korrespondent umso mehr in der journalistischen Pflicht, denjenigen eine Stimme zu geben, die in der eigenen Gesellschaft kein Gehör finden. Warnungen, er solle den Mund nicht zu weit aufmachen und Tabuthemen besser ausklammern, schlug der Journalist bislang in den Wind. Daß er bei der juristischen Prüfung der Passagen über Gerhard Schröder sich auf eine Gradwanderung zwischen dem Anspruch auf Meinungsfreiheit und dem Risiko möglicher Klagen begeben mußte, sagt auch viel über den Grad der Freiheit der Presse in unserem Lande aus.

Boris Reitschuster: Putins Demokratur. Wie der Kreml dem Westen das Fürchten lehrt. Econ Verlag, Berlin 2006, 336 Seiten, 19,95 Euro.

Nov. 2006 | Allgemein, Feuilleton, Politik | Kommentieren