„Mei Musik passt zu allem!“
„Der Opa hat den Film gar nicht gemocht.“ Damit taten die Strauss-Erben, deren ergiebige Geldquelle Großvater noch bis 2019 sprudelt, ab, was den bisweilen als reaktionär verschrienen Alten schon viele Jahre früher wieder einmal als unverhofft Modernen entlarvt hätte; ja, sie gestatteten nicht einmal die Verfremdung als Ballettpartitur.Auch dem Schott Verlag schien es bei so vielen anderen geldwerten Partituren vom gleichen Autor der Mühe nicht wert: die Rekonstruktion des österreichischen Stummfilms „Der Rosenkavalier“ (1925) mit der von Strauss selbst adaptierten Musik.
Dies wurde jetzt – zum achtzigjährigen Uraufführungsjubiläum – am Ort der Weltpremiere in der Dresdner Semperoper mit der live spielenden Staatskapelle nach diversen mediokren oder halbherzigen Wiederbelebungsversuchen endlich erledigt. Und mehr als das: Die von Frank Strobel glanzvoll und könnerisch dirigierte zweite Premiere dieses oft nur wegen mangelnder Kenntnis verächtich als Fußnote abgetanen Werkes erwies sich als unverhoffte Strauss-Sensation: für die vielleicht erst jetzt die Zeit wirklich reif ist.
Denn dieser „Rosenkavalier“-Casus ist in der Film- wie Operngeschichte ein einzigartiger Fall. Zwar hatten bereits Eric Satie und Camille Saint-Saens Filmmusiken komponiert, aber noch vor Honnegger, Auric, Schostakowitsch und Prokofiew war Richard Strauss der erste Komponist von Weltrang, der sich dem niederen Massenmedium annahmen. Wie so oft bei ihm, war der Grund sein gesundes Erwerbsstreben. Schon nach der Dresdner Uraufführung des „Rosenkavalier“ 1911 war ein Film als weiteres Glied in der Verwertungskette erwogen, aber wieder verworfen worden. Lieber verfertigte der Maestro „Rosenkavalier“-Walzerfolgen und wachte darüber, dass der größte Opernhit seiner Zeit immer in der Ausstattung von Alfred Roller gespielt wurde – globales production design lange vor den Megamusicals.
Nachdem Krieg und Inflation die Vermögen von Strauss und Hofmannsthal ziemlich aufgefressen hatten, besannen sie sich in den zwanziger Jahren auf die alte Filmidee. Dem stets etwas weltfremden Dichter schwebte dabei die cinematographische Aufarbeitung der Vorgeschichte von Marschallin, Ochs & Co. vor, also eine Art gigantischer Werbeclip für die Oper mit „mehr Propagandawert als Konkurrenzgefahr“. Und Strauss glaubte, nach dem Filmgenuss würden die Massen in die Oper strömen. Schließlich wurde zur gleichen Zeit die (erste) Verfilmung der „Lustigen Witwe“ der wegen seines materiellen Erfolges verhassten Lehár durch Erich von Stroheim in Hollywood vorbereitet.
1925 begannen in und um Wien mit mehr als 1000 Statisten die Dreharbeiten zum „Rosenkavalier“; Regie führte Robert Wiene, der zuvor „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) inszeniert hatte. Der freilich hatte mit Strauss seine liebe Not. Nachdem der Tonsetzer – es war noch Stummfilmzeit – die Ärmel hochgekrempelt hatte und mit zwei Mitarbeitern die dreieinhalbstündige Partitur um eine Stunde eingedampft und auch in sich verändert, umgestellt und für den im Film, aber nicht in der Oper auftretenden Feldmarschall einige neue Märsche komponiert oder adaptiert hatte, sollte der Film als eine Art Pantomime der Partitur sklavisch folgen. Woran sich Wiene nicht hielt. So gab es bereits bei der von Strauss dirigierten Uraufführung Probleme: nichts passte, der Komponist konnte sich den bewegten Bildern nicht anpassen, teilweise übertünchte Schwarzfilm fehlendes Zelluloid; mehr als 20 solcher Unterbrechungen soll es gegeben haben. Der Film wurde ein Flop, Strauss wollte mit dem Kino nichts mehr zu tun haben. Die Produktionsgesellschaft ging Pleite, das Negativ verschwand. Erst durch die gemeinsame, finanziell aufwändige Anstrengung von Arte und ZDF, Filmarchiv Austria und Sächsische Staatsoper konnten jetzt der Wiene-Film und das wahlweise für eine Salonbesetzung und die Opernoriginalorchestrierung vorhandene Material befriedigend synchronisiert werden
Die Schwierigkeiten waren immens. Der Film existiert nur noch in zwei 100 Minuten langen Exportkopien in London und Prag, wobei jeweils die achte und letzte Rolle mit dem 15-minütigen Finale fehlt. Das Material wurde vorbildlich rekonstruiert. Die 150-minütige Partitur (für die teilweise nie Filmszenen existierten) mußte auf 108 Minuten gekürzt werden. Das trotz weltweiter Suche nicht auffindbare Finale ist jetzt mit Standfotos, Inserts und einem übrig gebliebenen Trailer rekonstruiert – so ist der fragmentarische Film paradoxerweise erstmals vollendet.
Was man jetzt in der Semperoper zu sehen und zu hören bekam, ist das reinste Vergnügen: eine strikt Kino-Gesetzen gehorchende, bewegt erzählte sinfonische Opernfilm-Dichtung sui generis. Der „Rosenkavalier“, weit ab von jeder Sacharin-Einsargung als handfeste Charakterkomödie, als wunderbar komische, auch sentimentale „Wienerische Maskerad'“. Mit herrlichen Wiene-Zusätzen wie der grotesken Sittenkommission. In einem dominanten, aber genial adaptierten Tongewand, das die Singstimmen ausspart und mit seiner gestisch szenischen Meisterschaft eher die Avanciertheit von Strauss betont.
„Mei Musik“ paßt immer!“, hat der über dieses „saubere Bastardel“ gesagt. Man kann ihm nur Recht geben. Und sich köstlich amüsieren, wie hier vertraute Musik in ganz neuer szenischer Umgebung aufgeht. Man lacht über das somnambule Stummfilm-Schmachten der oft die nackte Schulter zeigenden Huguette Duflos als Marschallin, über die erotische Direktheit des wissend grinsenden Jacque Catelain (Oktavian), vor allem aber über den faunisch derben Charme des grandiosen Bassbaritons Michael Bohnen als Ochs auf seinem niederösterreichischen Lotterschloss. Nicht einmal das Finale vermißt man, wenn sich nach einem turbulenten Maskenfest im Schönbrunner Schloßpark gleich drei Paare in den Armen liegen. Die Semperoper überlegt, die Filmaufführung zum Bestandteil ihrer jährlichen Strauss-Tage zu machen. a/got
Arte sendet den „Rosenkavalier“-Film am 29. Dezember. Zeitgleich erscheint er auf DVD.