Der Verein Netzwerk Recherche will eine Lobby für den in Deutschland vernachlässigten investigativen Journalismus sein.
Er hat nachfolgendes Positionspapier zum Verhältnis von PR und Journalismus veröffentlicht, das unseren Beobachtungen und Berichten über alltägliche Manipulationen der veröffentlichten Meinung bestätigt und dringenden Handlungsbedarf sieht: Positionspapier zum Verhältnis PR und Journalismus:
„PR-Einfluss auf Journalismus muß drastisch zurückgedrängt werden“
Der Einfluß der PR auf journalistische Medien nimmt massiv zu. Die gerade veröffentlichten Zwischenergebnisse der Benchmarking-Studie der Universität Leipzig (Leitung: Prof. Michael Haller) belegen dies für den Bereich der Tageszeitungen auch empirisch. Die zunehmenden Veröffentlichungen von PR-Texten als redaktionelle Beiträge vor allem in Tageszeitungen sind für die Leser meist nicht erkennbar. Hinzu kommt die Gefahr der zunehmenden Schleichwerbung, die mittlerweile sogar die Verleger offiziell beklagt haben.
Für die Marketing- und Werbeabteilungen der Industrie bedeutet PR, als seriöser Journalismus verpackt, die effizienteste Form der Image- und Produktwerbung. Diese Tendenz wird verstärkt durch Austauschbeziehungen nach dem Muster „Anzeige gegen Text“. Dadurch wird die Pressefreiheit zusätzlich aushöhlt, weil die Mediennutzer diese Kopplungsgeschäfte nicht durchschauen können.
Neben der direkten Einflußnahme auf die Berichterstattung treten zwei weitere Phänomene im Zusammenhang mit PR immer häufiger auf:
Zum einen berichtet Haller in seiner Studie von einer verstärkten Ausrichtung der Zeitungsbericht- erstattung auf den „Mainstream politischer Mehrheitsmeinungen im Publikum“. Deren Beeinflussung steht zunehmend im Fokus politischer und wirtschaftlicher Interessengruppen. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ mit ihrem Jahresetat von mindestens 10 Millionen Euro zur Vermarktung ihrer „Ideen“ ist hierfür ein prominentes Beispiel. Sie will über Media-Kampagnen allgemein wahrnehmbare und durch „repräsentative“ Umfragen belegte Stimmungen erzeugen. So wird direkt und indirekt auf das Agenda-Setting der Redaktionen Einfluß genommen. Der zweite Trend betrifft die Verschmelzung von journalistischer und PR-Tätigkeit.
Wirtschaftliche Zwänge wie auch monetäre Verlockungen lassen Journalisten immer häufiger zu Dienern zweier Herren werden. Der Lokalredakteur, der auch für die Mitarbeiterzeitung eines Autokonzerns schreibt, fühlt sich dadurch zwar nicht korrumpiert; dennoch geht er bestimmten Konfliktthemen plötzlich aus dem Weg oder zeigt sich beeinflußbar für eine bestimmte Tendenz seiner Geschichten.
Durch die kargen Honorare in den meisten Printmedien und deren weitere Kürzung sind viele freie Journalisten auf zusätzliche Einnahmen aus PR-Tätigkeiten allerdings längst angewiesen. Solche Doppelbindungen führen jedoch oft zu Rücksichtnahmen, die Schreib- und Recherchehemmungen oder Auslassungen und Zuspitzungen im Dienste des zweiten, heimlichen Auftraggebers, zur Folge haben.
All das gefährdet die journalistische Unabhängigkeit und gibt die öffentliche Meinung zunehmend der Einflußnahme meist kommerzieller Interessengruppen preis.
Das Netzwerk Recherche hat sich die Förderung des Recherche-Journalismus und der Sicherung freier und unabhängiger Berichterstattung zum Ziel gesetzt. Dazu gehört, die Unterwanderung des Journalismus durch versteckte PR zurückzudrängen und ein striktes Transparenzgebot in Bezug auf die Verwertung von PR, im Übrigen ein Trennungsgebot zwischen versteckter PR und Schleichwerbung als „manipulative Kommunikation“ und Journalismus als „unabhängiger Berichterstattung“ durchzusetzen. Dazu will das Netzwerk Recherche durch Initiativen und Kooperationen mit Verlagen und Sendern auf verschiedenen Ebenen folgende Korrekturen durchsetzen und ein Umdenken anregen:
1. Kennzeichnungspflicht für PR-Tätigkeiten
Eine Kennzeichnung von Urhebern, die für Unternehmen oder PR-Agenturen arbeiten, ist notwendig. Analog zu „Anzeige“ müßte es bei entsprechenden Veröffentlichungen heißen: „Der Autor ist auch für die Unternehmenskommunikation von XYZ tätig.“ Des Weiteren müßten die kommerziellen Quellen bzw. Urheber angegeben werden, beispielsweise „so eine Studie, die vom Pharma-Unternehmen XYZ finanziert wurde.“ Außerdem sollte jede Redaktion die Ausstandsregel in Kraft setzen, derzufolge Mitarbeiter, die nebenbei im PR-Bereich tätig sind, Themen aus dem fraglichen Bereich als Journalist nicht bearbeiten dürfen.
2. Verschärfung des Pressekodexes/Aufbau einer Watchdog-Einrichtung
Der Deutsche Presserat muß seine Rücksichtnahme im Themenfeld „Vermischung von PR und Journalismus“ aufgeben. Das in Ziffer 7 des Pressekodexes formulierte Trennungsgebot zwischen redaktionellem Text und Anzeigen muß sinngemäß auch für PR gelten. Verschärft werden muß auch die weiche Richtlinie 7.2 in Bezug auf Schleichwerbung.
Ein reformierter Presserat muß über die Einhaltung des überarbeiteten Pressekodex wachen und öffentlich tagen. Zudem sollte eine unabhängige Watchdog-Einrichtung vor allem die in den Landespressegesetzen verfügte Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten überwachen und Verstöße gegebenenfalls zur Anzeige bringen.
3. Aufklärung über den Unterschied zwischen PR und Journalismus
Die Immunisierung gegen Manipulationsversuche durch PR und Marketing muß von den Journalisten in den Redaktionen ausgehen. In der täglichen Praxis muß das Transparenzgebot in Bezug auf PR von den Redaktionsleitungen verbindlich eingefordert und gelebt werden. Die dazu nötige Sensibilität muß gepflegt, gefördert und in Konfliktfällen gestützt werden.
Vor zehn Jahren gab es eine viel versprechende Initiative hierzu. Der „Arbeitskreis Chefredakteure“ hatte kritische Aufmerksamkeit im Umgang mit PR, Beeinflussung und Schleichwerbung eingefordert. In der so genannten „Reise-Initiative“ hatten sich die Chefredakteure an die PR-Abteilungen gewandt und Korrekturen bei den aufwändigen Einladungen zu Auto-Präsentationen und Reiseterminen gefordert. Diese Initiative ist heute brandaktuell und sollte neu belebt werden.
Die Grundlage für die redaktionelle Arbeit wird in der Ausbildung gelegt. Daher muß den Auszubildenden das Transparenzgebot gegenüber PR und die Trennung zwischen schleichwerbender PR und Journalismus mit Nachdruck vermittelt werden. Studiengänge, in denen der Nachwuchs unterschiedslos zum PR-Agenten und zum Journalisten ausgebildet wird, befördern den Gefälligkeitsjournalismus. Sie etablieren PR-Journalisten („bestellte Wahrheiten“) und unterhöhlen auf diese Weise journalistische Grundsätze.
Recherche als Gegenpol zur PR muß zudem tragender Bestandteil jeder journalistischen Ausbildung sein. Noch immer gibt es Ausbildungspläne für Volontäre, Journalistenschüler und Journalistik-Studenten, die zwar das Wort Recherche kennen, es aber nicht mit Bedeutung füllen.
4. Verzicht der Unternehmen auf nicht legitime, kommerzielle Beeinflussung
Auch auf Unternehmensseite sollte ein Umdenken erreicht werden. Im Sinne der laufenden Diskussion über den Werte- und Verhaltenskodex zur Unternehmensführung (Corporate Governance Kodex) muß der Verzicht der Unternehmen auf nicht legitime Beeinflussung von Journalisten (wie: Bestechung, Begünstigungen, Nötigung) festgeschrieben werden. Dies wäre ein wichtiger Schritt zu wirksamer Transparenz und Abgrenzung von PR und Journalismus.
5. Angemessene Vergütung und Infrastrukturen
Wirtschaftliche Zwänge sollten nicht als Rechtfertigung für die Verknüpfung oder gar Verschmelzung von journalistischer und PR-Tätigkeit herhalten dürfen. Daher ist es unabdingbar, die aktuellen Honorarsätze vor allem bei Tageszeitungen zu erhöhen und auch – was einmal selbstverständlich war – die Recherche in die Vergütung mit einzubeziehen.
Personalabbau in den Redaktionen bewirkt in der Regel den Rückgang der Recherche und Vormarsch unkritischer Berichterstattung. Um die redaktionelle Unabhängigkeit zu stärken, bedarf es besserer journalistischer Infrastrukturen.
Das Netzwerk Recherche hat in seinen Aufnahmerichtlinien unmißverständlich festgelegt:
„Nicht aufgenommen werden können Personen, die ganz oder teilweise in der Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit tätig sind.“ Der rasant steigende Einfluß von PR auf Journalismus muß lösungsorientiert – auch von anderen Journalisten-Organisationen – diskutiert werden. Sonst verliert der seriöse Journalismus seine Substanz und seine Glaubwürdigkeit. got