In Deutschland gibt es schätzungsweise 80.000 gehörlose Menschen, die besondere Schulen besuchen müssen, um – zum Beispiel – sprechen zu lernen. Auch sonst sind sie im Alltag vielen Problemen ausgesetzt, die wir „Normalhörer“ kaum nachvollziehen können …

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Als Gehörlose gelten Menschen dann, wenn sie eine so gravierende Hörschädigung aufweisen, dass sie nicht in der Lage sind, Sprache ausschließlich über das Gehör aufzunehmen und zu interpretieren. Die auditive Wahrnehmung von Sprache ist bei ihnen, selbst bei verfügbaren, geringen Hörresten, auch mit technischen Hörhilfen nicht möglich. Wichtigstes Merkmal der Gehörlosigkeit ist eine allgemeine Beeinträchtigung der Sprache. Für Gehörlose ist das Erlernen von Lautsprache auf normale Art und Weise nicht möglich.
Was Wunder, daß vieles von dem, was für andere selbstverständlich ist, auch – und gerade von Schülern, die ohnehin das „ganze Leben“ noch erlernen müssen, erst einmal „erhört“ werden muß. So haben Lehrerinnen des Hör- und Sprachzentrums Neckargemünd zu Beginn des Schuljahres eine Altstadtrally in der Heidelberger Altstadt unternommen. Ziel des Unternehmens war, sich besser in fremder und ungewohnter Umgebung zurechtfinden zu können, es sollten – und was das bedeutet, läßt sich allenfalls nachempfinden, wenn man irgendwo in einer fremden Stadt irgendetwas sucht, ohne die Antwort von jemanden hören können, den man angesprochen hat. So standen also hier – die Schülerinnen und Schüler waren in kleine Gruppen aufgeteilt – der Bahnhof, die Post, der Gehörlosenverein, Akkustiker, kulturelle und andere Einrichtungen auf dem Plan. Das waren das Theater, die Stadtbücherei oder das Kurpfälzische Museum.
Bedenkt man, daß auch Gehörlose das Sprechen erheblich weniger leicht lernen, als Hörende, verwundert es nicht, das – statistisch gesehen bis heute ca. 80% der Gehörlosen mit einer enormen sprachlichen Rückständigkeit trotz größter Mühe ihre Gehörlosenschule verlassen, praktisch als Analphabeten mit einem Schreibpotential von hörenden Dritt– oder Viertklässlern. Auch ist es eher die Ausnahme, daß von Geburt an Gehörlose einigermaßen verständlich sprechen oder sich in der Schriftsprache frei bewegen. Neben den schulischen bzw. leistungsbezogenen Problemen treten enorme emotionale, und soziale Störungen bzw. Entwicklungsverzögerungen bei ihnen durch Kommunikationsmängel schon in frühester Kindheit auf.
Bedingt durch den gesamt defizitären Entwicklungsstand Gehörloser ist die Kommunikationsfähigkeit selbst innerhalb der Gebärdensprache oft sehr eingeschränkt bzw. reduziert sich auf das Notwendigste. Um so wichtiger ist das Erlernen von Selbstständigkeit, das sich aufeinander verlassen können, Teamgeist und soziales Miteinander zur Stärkung des Selbstbewußtseins. Erfreulich, daß es Menschen gibt, die nicht nur ein mitfühlendes Herz haben, sondern auch in der Tat Freude spenden – nicht nur mit Sachspenden. Hans-Dieter und Jutta Stendel und Christine Hartmann haben mit ihrer Einladung in die Destille (oben im Bild sind alle zu sehen) dafür ein Zeichen gesetzt. tno

Nov 2006 | Heidelberg, Allgemein, Junge Rundschau | Kommentieren