„Die Literatur hat sei jeher so eine würdevolle Aura, die ich ganz ekelhaft finde. Ich bin froh, daß wir den Teppich ein bißchen eingedreckt und vollgeblutet haben.“ Charles Bukowski

Haben auch Sie sich schon geärgert, daß Sie bisher die Geschichten über Literatur nirgends nachschlagen konnten, die einen Gutteil jeder Konversation über Bücher bilden: welche Bücher besonders langsam oder besonders schnell geschrieben wurden, welche im Gefängnis oder welche im Bett, welcher große Autor ein hundschlechter Schüler war, wer die besten Verträge rausschlug, wer die jämmerlichsten Auflagen hatte oder mit welch hahnebüchenen Absagen die Verlage (auch verkäufliche) Weltliteratur wieder an den Autor zurückschickten?
Damit ist es jetzt vorbei, denn es gibt ‚Den Schmitz’.
Anderthalb Kilo schwer ist Rainer Schmitz opus magnum Was geschah mit Schillers Schädel? Alles, was Sie über Literatur nicht wissen. Fast 25 Jahre Sammeltätigkeit stecken darin, 1200 Einträge zu fast 4000 Dichterinnen und Denker in 1722 Spalten. Mit rund 3,5 Millionen Buchstaben hat ‚Der Schmitz‘ ungefähr so viele wie die Bibel. Hunderte Verweise schicken den Leser auf immer neue Reisen durch diesen Kosmos – ein Buch, das man nicht auslesen kann.

In Stichworten von A bis Zylinder können Sie fast alles über Ihre literarische Heroen finden, ihre Plagiate, Zinnfiguren und Schmetterlingsjagden, ihre Liebschaften und ihre Gebrechen. Goethes Ginkgo und Heines Syphilis finden sich darin ebenso wie Schopenhauers Pudel oder Geschichten über Rosamunde Pilcher und den Marquis de Sade.
Dabei kratzt Schmitz an so mancher  alten Legende:
Edgar Allen Poe, ein schwerer Alkoholiker, der ohne Skrupel bei Abstinenzlervereinen predigte, starb womöglich gar nicht an seiner Trunksucht. Vielleicht war er ein Opfer der sich entwickelnden amerikanischen Demokratie. Am 3. Oktober 1849 war der letzte Tag der Kongreßwahlen von Maryland – und das gefürchtete ‚Cooping’, das ‚Wählerschnappen‘, an der Tagesordnung: „In einem Bericht behauptet ein Dr. John Evans Snodgrass, Poe am Abend des 2. Oktober in Witwe Meagles Kneipe begegnet zu sein. Wenig später seien sie auf der Straße von zwei Männern überwältigt, verschleppt und mit mehreren anderen Opfern die Nacht und den folgenden Tag über gefangengehalten worden. Am Abend habe man sie unter Drogen gesetzt und mehrfach zur Stimmabgabe gezwungen. Poe sei zusammengebrochen.“ Wenige Tage später starb er im Krankenhaus.
Schmitz stellt die Abgründe der Großen unbekümmert neben die Größe der Kleinen: Alexander Pope maß 1,37 Meter, Gottfried Keller 1,40 Meter, Georg Christoph Lichtenberg unter 1,46 Meter (manche sagen auch: 1,30 Meter), Immanuel Kant maß 1,54 Meter und Balzac 1,60 Meter.
Ein myzelartiges Verweissystem macht auf eigenartige Parallelen und Zufälle aufmerksam. Wer die todtraurige Geschichte von Friedo Lampes verhängnisvollem Paßbild liest, wird auf das Verschwinden Felix Hartlaubs im Mai 1945 verwiesen. Und man fragt sich: Ist Hartlaub im Berliner Vorort Kleinmachnow vielleicht derselben sowjetischen Militärpatrouille in die Hände gefallen, die auch Lampe exekutiert hat? Es bleibt Raum für die eigene Phantasie in diesem Lexikon, das einen immer weitertreibt und -trägt. So kommt man schnell von Kopf, Todesartenprojekte oder Weltverschwörung, jüdisch-freimaurerische zu Schillers köstliche Reste und der Antwort auf die Frage: Was geschah mit Schillers Schädel? Das ist Seite für Seite spannend: Zuerst wußte man nichts mit den sterblichen Resten des Dichters anzufangen: Ohne geistlichen Beistand wanderte Schiller als fünfundzwanzigste Leiche in ein Massengrab. Zwanzig Jahre später empfand man die Schmach und öffnete die Gruft. Dort herrschte „ein Chaos von Moder und Fäulnis und einzelner Stücke Bretter“. Schillers Gebeine fand man nicht. In einer Nacht- und Nebelaktion nahm Weimars Bürgermeister Schwabe die Sache selbst in die Hand und brach in die Gruft ein. Am Ende steckte er dreiundzwanzig Schädel in einen Sack und nahm sie mit nach Hause. Anhand der Zähne identifizierte er den Schädel Schillers. Man deponierte ihn in einem Reliquienkästchen zu dem nur Goethe den Schlüssel besaß. Manchmal stand der Schädel aber auch bei Goethe zu Haus. Zweifel an der Echtheit sind immer wieder aufgekommen und zeitweise gab es gar zwei Schiller-Schädel. Vielleicht ist keiner echt. Eine Gen-Analyse wird bis heute von der Stiftung Weimarer Klassik verweigert.
Aber nicht nur Kurioses steht in diesem Buch: Was hat Ernest Hemingway sich dabei gedacht, als er deutsche Kriegsgefangene erschoß? Schmitz gibt uns eine Ahnung davon: „Einmal habe ich einen besonders frechen SS-Kraut umgelegt. Als ich ihm sagte, daß ich ihn töten würde, wenn er nicht seine Fluchtwegsignale rausrückte, sagte der Kerl doch: Du wirst mich nicht töten. Weil du Angst davor hast und weil du einer degenerierten Bastardrasse angehörst. Außerdem verstößt es gegen die Genfer Konvention. Du irrst dich, Bruder, sagte ich zu ihm und schoß ihm dreimal schnell in den Bauch, und dann, als er in die Knie ging, schoß ich ihm in den Schädel, so daß ihm das Gehirn aus dem Mund kam, oder aus der Nase, glaube ich.“ Dieses Schreiben fehlt übrigens in der deutschen Ausgabe der Briefe Hemingways.

Im ‚Schmitz’ finden Sie, was in herkömmlichen Lexika nicht steht. Wer außer Cervantes und Marco Polo seine Werke auch im Gefängnis geschrieben hat, wer die produktivsten und wer die faulsten Dichter waren, wer von der Syphilis heimgesucht wurde, welche Dichter sich womit stimulierten und wer an Zyankali starb. Eine unerschöpfliche Fundgrube von Homer bis zum Dan Brown-Plagiatsprozeß. got

Rainer Schmitz
Was geschah mit Schillers Schädel?
Alles, was Sie über Literatur nicht wissen
Eichborn Berlin
Lexikonformat (16,3 cm x 24,3 cm), zweispaltig
Gebunden mit Schutzumschlag
€  39,90

Okt. 2006 | Allgemein | Kommentieren