Nun ist es wieder soweit. Die warme Jahreszeit hat uns endgültig verlassen, die Tage werden kürzer und die Freiluftaktivitäten spärlicher. Doch das wetterbedingte Stubenhocken hat auch so seine Vorteile: Endlich läßt es sich, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, in die eigenen vier Wände zurückziehen und man kann sich dem widmen, was man in den Sommermonaten viel zu sehr vernachlässigt hat: Das häusliche Faulenzen bei einem guten Stück Musik.

Amos Lee – Supply and Demand

Der Singer/Songwriter aus Philadelphia hat sich bei seinem zweiten Werk definitiv weiterentwickelt: Die Songs klingen selbstbewußter und direkter, allerdings ist dafür die Feinfühligkeit und der jazzige Sound der ersten Platte verloren gegangen. Einige Stücke, wie das Eröffnungsstück „Shout out loud“ oder das Titelstück „Supply and Demand“ nehmen sogar schon country-ähnliche Konturen an und erinnern an das Songwriting eines Wille Nelsons.
Bluesige Down-Tempo Titel („Careless“, „Skipping Stone”) sind auch hier wieder vorhanden und erzählen mit melancholischer Schönheit, wie kann es anders sein, von den Höhen und Tiefen des Lebens.
Obwohl Amos Lee bei seinem zweiten Album es nicht schafft, die Tiefe und Authenzität des ersten Albums zu bewahren, sorgen seine warm klingende Stimme und sein lockeres Songwriting für ein entspannendes Musikerlebnis.
Bestes Stück: „Long Line of Pain“

John Legend – Once Again

Der Opener und erste Singleauskopplung “Save Room” erinnert mit Akzent auf Hammond-Orgeln an den frühen Motown Soul der siebziger Jahre. Bei Vorbildern wie Marvin Gaye und Al Green scheint dies wie eine logische Konsequenz im musikalischen Werdegang des mehrfachen Grammygewinners zu sein, denn Legend verfolgt bei seinem zweiten Album den Retrosound wie ein Leitthema, das in fast jedem Stück wiederzufinden ist. So klingen in „Show Me“ Gitarren-Sounds a la Jimmy Hendrix und “Each Days gets better” könnte aus der Feder von Mr. Gaye persönlich stammen. Leider wird das Retrothema so sehr verfolgt, dass Legend die Grenze zum Klischeehaften und Plakativen etwas überschreitet: Es fehlen Kanten die im Ohr des Höhrers hängen bleiben, dies hat zur Folge, dass bei fast keinem Song Ohrwurm potential vorhanden ist. Dennoch ist „Once Again“, vielleicht gerade weil es an Kanten fehlt, ein Album das einfach schön klingt und unmittelbar gute Laune beim Hörer verursacht.
Bestes Stück: „Heaven“

Ben Harper –Both Sides Of The Gun

Auch wenn der Käufer zwei CDs in der Hülle finden wird, will der Kalifornier nichts von einer Doppel-CD wissen. Er sieht sein neustes Werk als „eine Platte, die zwei grundverschiedene Bewegungen beinhaltet“. Diese klare Trennung ist auch musikalisch deutlich zu erkennen: Die erste CD klingt gefühlvoll, melancholisch und ruhig. Die fast gehauchte Stimme Harpers wird von dezenten Akkusitkgitarren, Streichersätzen und verträumten Pianoarrangements begleitet, während thematisch Liebe, Seelenverwandschat und Einsamkeit besungen werden.
So sensibel und dezent die erste Platte klingt, werden dem Hörer auf der zweiten funkige bis rockige Songs mit sarkastischen und sozialkritischen Texten geboten. Allem voran der Titeltrack „Both Sides of the Gun“, der sich mit Zeilen wie , “One dimensional fool in a three dimensional world“, direkt gegen die US-amerikanische Politik richtet oder das, ein Tag nach der Verwüstung New Orleans enstande, Black-Rain („This government business is straight sadistic“).
So unterschiedlich die zwei CDs auch sind, überzeugen beide sowohl musikalisch, als auch textlich. Die erste mit melacholischen Klängen und einfühlsamen Texten, die frei von jedem Kitsch, dem Hörer unter die Haut gehen werden. Die zweite mit tanzbarer Instrumentalisierung und Zeilen, die zum Nachdenken auffordern.
Betses Stück: „Crying won´t help you now“

Jonas Keck

Okt. 2006 | Junge Rundschau | Kommentieren