In der Gemeinderatssitzung am Mittwoch, 20. September beschäftigte sich der Gemeinderat der Stadt Heidelberg unter anderem mit dem Bebauungsplan Bergheim Bismarckplatz“.
Mehr als gar nicht scheinheilig wird hier in der Begründung geschrieben: das Plangebiet liege in zentraler Lage der Stadt Heidelberg. worum es aber eigentlich ging, war, zu verhindern, eine Genehmigung für eine Spielhalle geben zu müssen …
Anlaß und Ziel der Planung soll laut städtischer Vorlage sein, „die Attraktivität der Innenstadt auch durch geeignete bauplanrechtliche Nutzungsregelungen zu erhöhen sowie einem in Teilen bereits fortgeschrittenen Attraktivitätsverlust des Bereichs um den Bismarckplatz entgegenzuwirken …
Wesentlich aber ging es in dieser so gut wie ausschließlich deshalb einberufenen „Sondersitzung“ darum, eine Spielhalle in der Kleinen Plöck im Telekom-Gebaäude zu verhindern:
„Die Ansiedlung von Nutzungen“ so liest sich das in der Verwaltungsvorlage, „die nicht den städtebaulichen Zielen entsprechen, soll verhindert werden. Hierzu gehören auch Vergnügungsstätten“.

Aber, vorgeblich jedenfalls, geht es in diesem Antrag nicht nur um die Verhinderung jener inkriminierten Spielhallen, sondern es prüfe „die Verwaltung derzeit verschiedene Maßnahmen zur Aufwertung der Innenstadt. Bereiche, die im besonderen Maß im Fokus stehen, sind der Bismarckplatz und die angrenzenden Quartiere …

Ach so. Und, damit das Heidelberger Baurechts- und Denkmalschutzamt mal wieder seinem Ruf als Bauverhinderungsamt mit oft genug abenteuerlichsten Begründungen für odere gegen etwas gerecht zu werden in der Lage ist, tut man so, als ob auch jene (ungewöhnlich attraktive) Lage in der Stadt Hinterhof „Bestandteil der erweiterten Pufferzonefür den Unesco-Weltkulturerbeantrag“ sein würde.
Wer erwartet hatte, es werde entweder in der Beschlußvorlage oder in einem Redebeitrag eine Begründung dafür geliefert, weshalb man gegen Spielhallen wäre, wurde enttäuscht.
„Möglicherweise“, so rätselratet Baubürgermeister Raban von der Malsburg, „folge der Bauherr den Wünschen der Stadt und ziehe seinen Antrag, an dieser Stelle eine Spielhalle einrichten zu wollen, zurück“. Wie ja gerade Dietmar Hopp sich des Baubürgermeisters Wünschen bezüglich des Stadions auch gebeugt hat …

Ach ja, und zu Schlechter Letzt: „Der Bezirksbeirat Bergheim konnte auf Grund der Dringlichkeit der Vorlage nicht betreiligt werden“, heißt es lapidar in der Vorlage. Aber Bezirksbeiräte haben ja eh kaum mehr, denn Feigenblattcharakter. Seis drum.

Wir aber, nicht nur um der Widerrede willen, sondern auch, weil doch immer geschrieben und gesagt wird, man möge beide Seiten hören, haben uns mit einer Studie beschäftigt, welche die Ehre der Spielgeräte rettet:

„Teufelsgeräte“ und seelisches Gleichgewicht
Sie verdummen, machen einsam und gar süchtig, das sind die gängigen Vorurteile über die blinkenden und ratternden „Teufelsgeräte“ in den Spielhallen. Daß aber Spielautomaten durchaus auch dem seelischen Gleichgewicht auf die Sprünge helfen, zeigen psychologische Forschungsarbeiten an der Universität Mainz. Die Unterhaltung an Spielautomaten läßt sich danach therapeutisch nutzen und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Spielen in der Freizeit hält Professor Helmut Benesch für ein Stück Selbstverwirklichung und wohltuenden Ausgleich zur streng verplanten Arbeitswelt. Benesch und seine Mitarbeiter stellten probeweise Vergnügungsgeräte – und um solche geht es in der Studie – in Altenheimen, Jugendzentren und Kliniken auf – mit bemerkenswerten Resultaten. Vormals isolierte Patienten trafen sich zu lockeren Spielgruppen am Billardtisch, wetteiferten beim Tischfußball oder erprobten ihr Glück am Flipperautomaten. Das Gemeinschaftsgefühl stieg deutlich gegenüber Vergleichsgruppen, die nicht spielen konnten. Wer sich mit den vielgeschmähten Spielmaschinen amüsiert, kann sein Wohlbefinden steigern, zeigen die Forschungsergebnisse weiter.
Mit den Erfahrungen aus verschiedenen Forschungsprojekten über insgesamt 17 Jahre seien kulturpessimistische Urteile bezüglich dieser neuen Spielmöglichkeiten“ in der Tendenz widerlegt, schreibt Benesch. Automatenspiele seien längst nicht so schädlich wie oft behauptet. Als Freizeitunterhaltung oder zur Therapie bei Kranken und Behinderten wirken sie förderlich für die seelische Gesundheit.

„Tetris“ gegen Vergessen

Allerdings haben sich die Forscher in ihren Untersuchungen auf Unterhaltungsspiele ohne Gewinnmöglichkeit konzentriert, die etwa 55 Prozent der Geräte in Spielhallen ausmachen. Die „Groschengräber“ unter den Automaten und deren sozialen Folgen waren nicht Gegenstand der Forschungen. Gute Erfahrungen machten die Wissenschaftler auch mit dem Einsatz eines Automatenspiels bei Alterspatienten, die unter dem Alzheimer-Syndrom litten. Ihnen half systematisches Üben am Tetris-Automaten gegen das schleichende Vergessen. Beim Tetris geht es darum, fünf Sorten elektronisch herabfallender Steine möglichst lückenlos zu stapeln. Die Wissenschaftler ließen 22 Kranke regelmäßig an dem Automaten üben, den sie für die reduzierten Fähigkeiten der Patienten künstlich verlangsamt hatten.
Ein regelmäßiger Test der Merkfähigkeit zeigte bald Wirkung: Die Forscher registrierten eine deutliche Leistungssteigerung gegenüber einer Vergleichsgruppe, die nicht spielte. Wachsendes Selbstvertrauen mit zunehmendem Spielerfolg stärkte gleichzeitig die Widerstandskräfte gegen den geistigen Abbau, vermerkte Benesch. Außerdem blieben die Senioren mit Eifer bei diesem spielerischen Konzentrationstraining am Automaten. Bei anderen Übungen wie etwa Gedichte-Lernen erlahmte das Interesse der Patienten gewöhnlich recht schnell.
Spielen galt lange Zeit lediglich für Kinder als angemessene Beschäftigung. Erwachsenen hatten sich ernsthaft und vernünftig zu betragen, abgesehen vielleicht vom wöchentlichen Skatabend. In den fünfziger und sechziger Jahren begann sich die deutsche Spielfeindlichkeit ganz allmählich zu lockern, so Benesch. Für ihn ist Spiel „nicht nur ein erfreulicher Zeitvertreib, sondern für viele ein Instrument der psychischen Gesunderhaltung“. In der „verplanten Welt“, die den modernen Menschen zunehmend seelisch überfordere, verhelfe das Spiel zu einer Selbstverwirklichung, die anderswo nur schwer zu erlangen sei. Da sich die alltäglichen Belastungen des Menschen verändert haben, müsse er sich heute auch anders erholen als früher, da man körperlich müde von schwerer Muskelarbeit nach Hause schlich. „Seine Lasten heißen heute psychische Ermüdung, Langeweile, Leere und unbestimmte Furcht. Den meisten Menschen fehlt nach einem Arbeitstag die Kraft zur Buchlektüre, dem tiefen Gespräch und der Selbstbildung.“

Freude am Tüfteln, Spiel mit der Lust

Eine fertige Spieltheorie der Automatenspiele bietet Benesch nicht. Die Vielfalt moderner Spiele, die ganz unterschiedliche Reize bieten und verschiedene Bedürfnisse befriedigen, lasse sich nicht über einen Leisten schlagen. Da gibt es etwa Geschicklichkeitsspiele mit der Freude
am Tüfteln, Gewinnspiele, die Lust am Risiko bedienen, und auch die sogenannten Disturbationsspiele, jene problematische Gruppe, die auf den Spaß am Zerstören setzt. Doch in 17 „theoretischen Grundsteinen“ trägt Benesch zusammen, welche Funktionen Spielen heute haben kann. So könne es als Spannungsausgleich zwischen lähmender Langeweile und überspannter Hektik dienen. Es wirkt aktivierend, tut dem Selbstbewußtsein mit seinen kleinen Erfolgserlebnissen wohl oder befriedigt auch menschliche Neugier. Spielen dient als Lustgewinn, kann“ den grauen Alltag bunt einfärben“ und Kontakte zu anderen knüpfen. Dabei läßt sich „Dampf ablassen“, ein Stück Freiheit zwischen den drückenden Abhängigkeiten des Alltags finden, können unentdeckte Fähigkeiten ausprobiert werden.

Jürgen Gottschling

Okt. 2006 | Heidelberg, Allgemein | Kommentieren