Philanthropie-Zwang? Begriff „Gemeinnützigkeit“ von den Steuerbehörden normativ chaotisch verwendet.
Woher diese leeren Theater? Schuld ist nur der Staat! So setzte Karl Valentin ein, um beim Theaterzwang zu landen. Schüler würden ja auch nicht gefragt, Schülern graust es ja auch vorm Hingehen. Und? Die Schulen sind voll! Mit Freiwilligkeit macht man eben doch auf den meisten Gebieten schlechte Erfahrungen.
Seit gut einem Jahr untersucht eine Enquetekommission des Bundestages die Lage der Kultur in Deutschland. Ihr Problem stellt sich nur ein wenig anders als das Valentins. Es besteht nicht vorrangig in leeren Kulturstätten, sondern darin, daß die staatlichen Kassen kein Wachstum des Kulturetats mehr hergeben.

Wer kann das bezahlen?

Mit 8,2 Milliarden Euro wird dieser Etat hierzulande ausgestattet. Das ist im Vergleich zu anderen Haushaltstiteln wenig. Das ist aber als „kulturelle Grundversorgung“, wie es die Kommission nennt, ein im Universum einmaliges Niveau an selbstredend völlig autonomer Subventionskultur. Daran hat man sich gewöhnt, das möchte man nicht missen. Und wenn man dazu gezwungen ist – Kulturausgaben sind „freiwillige Leistungen“, kommen also bei Sparzwang leicht in Wegfall -, dann sieht man selbstverständlich die Orientierung, Pisa-Ränge, soziale Integration und „Identität“ in Gefahr. Wobei diese Sorgen noch mehr überzeugen würden, wenn Abendland, Identität usw. nicht bloß hieße „So weitermachen wie bisher“ und wenn das klagende „Man“ auch nicht zu neunzig Prozent aus Einkommensbeziehern der Kulturhaushalte bestünde.
Eine Frage der Enquetekommission lautet daher: Wer kann bezahlen, was zu reduzieren politisch unangenehm ist? Trotz Bekundung der Vorsitzenden, Gitta Conemann (CDU), bürgerschaftliches Engagement solle nicht als Lückenbüßer fiskalischen Rückzugs angerufen werden, wandert der Blick zu privaten Geldgebern. Könnten Spender nicht mehr spendieren, Stiftungen mehr stiften? Könnten sie nicht vor allem solche Kultur finanzieren, deren Selbstfinanzierungsgrad gering ist, wie Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) in origineller Umkehr der hergebrachten Aufgabenverteilung gerade laut nachgedacht hat? Dem Staat also die Renner, dem privaten Sektor die Avantgarde?

Eine Generalisierung des Kirchensteuer-Modells

Die Enquetekommission hat gerade eine Anhörung zu Möglichkeiten durchgeführt, Stiftungen stärker an der Kulturfinanzierung zu beteiligen. Der Geschäftsführer der Zeit-Stiftung, Michael Göring, machte dabei den ungewöhnlichsten Vorschlag. Drei Prozent einer nach der anstehenden Reform deutlich verringerten Steuerlast soll ihm zufolge jeder Bürger, sofern er möchte, mit einer Zweckbindung versehen können. Dieser Betrag ginge dann in den Kapitalstock einer gemeinnützigen Stiftung seiner Wahl. Schätzungsweise kämen so 4,2 Milliarden Euro zusammen. Statt 36 Prozent Maximallast wären also 37,11 zu tragen, statt eines Durchschnittssteuersatzes von 24 Prozent einer von 24,74 – dafür aber würde das knappe zusätzliche Prozent dort Zinsen tragen, wo der Bürger einen Bedarf an zusätzlichem Gemeinwohl sieht. In Italien und Ungarn existieren solche Möglichkeiten schon.
Görings Gedanke läuft auf eine Generalisierung des Kirchensteuer-Modells hinaus. Der Staat könnte auf diesem Wege darum auch diejenigen wieder einfangen, die durch Kirchenaustritt Abgaben sparen, ohne dafür andernorts philanthropisch tätig zu werden. In einem Land, dessen früherem Bürgertum gerne Anhänglichkeit an eine „Bildungsreligion“ attestiert wurde, paßte eine solche überkonfessionelle Kultur- und Mildtätigkeitssteuer zumindest ins historische Bild.

Kein Philanthropie-Zwang!

Doch womöglich nur ins historische. Denn sieht man einmal von den Durchsetzungschancen ab – was werden wohl die Kirchen, der Steuerzahlerbund und das Verfassungsgericht dazu sagen? -, gibt es auch Bedenken, was die Folgen seiner guten Absichten angeht. Göring sprach von einem Wettbewerb der Stiftungen, der ausgelöst würde. In der Anhörung wies der Notar und Stiftungsrechtler Peter Rawert, auf die Nebeneffekte solcher Konkurrenz hin: Zum alljährlichen Stichtag der Lohnsteuererklärung würde vermutlich eine bislang ungekannte Reklameflutwelle über die Bürger hereinbrechen, ein Wettstreit der Edlen um den nachhaltigsten Nachweis, der eigene Stiftungszweck sei der förderwürdigste von allen. Ob die Kultur dabei im Vergleich mit weinenden Kindern, Kranken und Hungernden gewönne? Oder ob überhaupt gute Zwecke den Vergleich mit denen all der volksnahen Stiftungen aushielten, die in der Folge eines solchen Modells erst noch zu gründen wären, der Hoeneß-Stiftung zur Förderung des Torwartnachwuchses im Großraum München etwa?

Schon heute wird der Begriff „Gemeinnützigkeit“ von den Steuerbehörden normativ chaotisch verwendet – Schachclub ja, Skatverein nein, Hundesport ja, Theaterspiel nein. Kaum auszuschließen ist darum, daß angesichts des inflationierten Gemeinwohlbegriffs – Hundedressur! – auf diese Weise auch handfeste Egoismen mit dem Gütezeichen „Steuergeld, bestimmt zu philanthropischer Verwendung“ versehen würden. Steuern sind politische Mittel, die Entscheidung über sie dem demokratischen Verfahren zu entziehen schwächte die Verantwortung der Politik. Und es schwächte den Begriff bürgerlicher Selbsttätigkeit. Man kann zu Philanthropie nicht gezwungen werden. Und man sollte es auch nicht, denn durch eine steuerliche Option für Mild- oder Kulturtätigkeit würde der Wohlfahrtsstaat dem Bürger auch noch den guten Willen und die Verzichtsbereitschaft abnehmen. Die Leute sollen, wenn sie nicht stiften oder spenden wollen, mit ihrem Eigennutz leben. So wie sie, wenn sie nicht ins Theater gehen, sich eben zu Hause langweilen müssen. got

Okt. 2006 | Allgemein, Feuilleton, Politik | Kommentieren