„Tag und Nacht und auch im Sommer“
Nach dem überwältigenden Erfolg von „Die Asche meiner Mutter“ ist der Pulitzer-Preisträger und pensionierte Lehrer McCourt oft gefragt worden, was ihn denn so lange vom Schreiben abgehalten hat. „Ich habe unterrichtet“, antwortete er, „das hat mich so lange abgehalten. Wenn man täglich fünf Klassen unterrichtet, fünf Tage die Woche, ist es unwahrscheinlich, daß man sich am Feierabend mit einem klaren Kopf zu Hause hinsetzt und unsterbliche Prosa schmiedet.“
Dreißig Jahre lang hat er unterrichtet, zunächst Englisch an häufig wechselnden Schulen: Berufsschulen, Abendschulen, Sommerschulen und an den verrufensten öffentlichen High Schools, wo er Teenager aus Einwandererfamilien aller Welt für die englische Sprache begeistern soll. Schnell wird ihm klar, daß es in erster Linie darum geht, die Aufmerksamkeit seiner Schüler zu fesseln und die Herzen von gelangweilten, genervten, launischen, aufsässigen, hungrigen, verliebten, traurigen, mit ganz anderen Dingen als dem Unterricht beschäftigten Jugendlichen zu erobern. Und das gelingt ihm auch am Ende, mit oft unkonventionellen Methoden, die ihm Ärger mit den Vorgesetzten einbringen: Er singt mit seinen Schülern Kochrezepte zu Musikbegleitung, läßt sie eine Entschuldigung von Adam oder Eva an Gott schreiben oder geht mit neunundzwanzig heftig pubertierenden Mädchen ins Kino am Times Square.
Vor allem jedoch erzählt er seinen Schülern Geschichten, Geschichten aus seiner Kindheit, aus Irland, aus seinem Leben – und ist verblüfft, weil die Kinder immer mehr hören wollen. „Mein Leben hat mir das Leben gerettet“, sagt er. Und: „Mea culpa. Anstatt zu unterrichten, habe ich Geschichten erzählt. Nur damit sie ruhig sind und in ihren Bänken sitzen bleiben. Sie dachten, ich unterrichte. Ich dachte, ich unterrichte. Ich lernte.“ Mit entwaffnender Ehrlichkeit und viel Humor schildert er seinen Kampf im Klassenzimmer, offenbart Selbstzweifel und Unsicherheit, peinliche Niederlagen und erhebende Augenblicke. Die abendliche Flucht in die Kneipe, Gespräche mit anderen Schriftstellern. Seinen ewigen unerfüllten Traum, selbst einer zu werden, verschweigt er ebenso wenig wie das Scheitern seiner Ehe oder den mißlungenen Versuch, zwischendurch am Trinity College in Dublin – das ihm einst als Gossenjunge in Limerick so unerreichbar schien – seinen Doktor zu machen.
Und Frank McCourt findet tatsächlich im Klassenzimmer seinen Weg und seine Stimme. Nach vielen Hürden landet er in einer der angesehensten High Schools von New York, wo er lange Jahre Kreatives Schreiben unterrichtet und einer der gesuchtesten Lehrer wird. Seine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, entwickelt er in der Auseinandersetzung mit seinem strengsten Publikum, den Schülern, die er als Menschen ernst nimmt. Sein Geheimnis? Humor und Hartnäckigkeit – und vielleicht auch das, was er anderen rät: „Finden Sie heraus, was Sie lieben, und tun Sie es.“
Frank McCourt
Tag und Nacht und auch im Sommer
Erinnerungen
Luchterhand Literaturverlag
Originaltitel: „Teacher Man“ erschienen bei Scribner, New York
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein
Gebundenes Buch, 336 Seiten, ISBN: 3-630-87239-5
978-3-630-87239-1