I.
Vielleicht fangen wir mit dem Wort vielleicht an. Also mit viel leicht. Vielleicht, hören Sie, da tritt etwas in den Satz ein, eine Vorsicht, ein mögliches, ein undeutliches Zögern, eine Unwägbarkeit vor lauter viel leicht. (mehr …)

Aug 2006 | Allgemein, Feuilleton | Kommentieren

Das eigentümliche Gefälle zwischen Mehrheitsdeutschen und sogenannten Eliten, was Gelassenheit im Umgang mit dem deutschen Erbe angeht, läßt uns nicht los. (mehr …)

Aug 2006 | Allgemein, Feuilleton, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren

Des Erfolgsautors Eric-Emmanuel Schmitts „Kleine Eheverbrechen“  läßt das Zimmertheater zu einem Ort  multipler Zeichen werden, an denen man anhält, um zu schauen und eine erfundene oder zu erfindende Realität aufzunehmen. Und, mit dieser Produktion wird das Haus wieder einmal mehr zur Möglichkeit eines Besuchs bei sich selbst …

Ute Richter holt  zwei Dinge auf die Bretter, die nicht auseinander zu reißen sind: Erinnern und Vergessen. Das Gedächtnis ist hier dem Vergessen verpflichtet und das Vergessen dem Gedächtnis: „Seltsam“ – meint Gilles, der nach einem Unfall (war es wirklich einer?) sein Gedächtnis verloren hat (ist das wirklich so?) – „sich auf andere verlassen zu müssen, wenn man wissen will, wer man ist.“ Wo war er in der Zwischenzeit – wo seine Frau Lisa? In welchem Leben haben sich die beiden, ihren – wie sich im weiteren Verlauf herausstellt – Gewohnheiten bis zur Unkenntlichkeit treu, aufgehalten?

Eric-Emmanuel Schmitts Text steht Experimenten offen. – Ute Richter nimmt das wahr, ihr Regiekonzept setzt sich dem aus, sie experimentiert mit komprimierten Dialogen und wagt es – was dem dem Text wohl bekommt – Konventionen zu verwüsten, Sensibilitäten zu zerstoßen, das Unerwartete zu schaffen, ohne zu fürchten, entweder in die Utopie oder in das knirschende Getriebe des Realen einzubiegen. Dies „Kleine Eheverbrechen“ ist eine Reise von sich zu sich, eine Reise, die über den jeweils anderen verläuft, über die ideogrammatischen Figuren und dem vom Autor angenommenen Publikum. Das als Kammerspiel angelegte Stück bringt ein Ehepaar auf die Bühne; des Ehemanns Amnesie versetzt ihn  in die Lage, sich in jedem Augenblick zu entscheiden, wer er ist, das verlorerene Gedächtnis läßt ihn sich immer wieder aufs Neue neu erfinden. Schmitt hat in seinem 2003 in Paris mit großem Erfolg uraufgeführten Stück mit Witz, Ironie und tieferer Bedeutung brillant und anrührend die Probleme langjähriger Partnerschaft in einer mit raffinierter Leichtigkeit einherkommenden Psychologie erfaßt, vertrautes wird hier zur Routine, in der gleichwohl nichts so ist, wie es scheint.

Angelika Fornell und Werner Opitz bringen den sprühenden Schlagabtausch quicklebendig und witzig auf die Bühne, als wäre das Stück für sie geschrieben. Der Zuschauer darf – wie in einem Krimi – die Gemengelage der beiden großbürgerlichen Protagonisten enträtseln, hinter deren Fassade das Jekyll-Hyde-Problem lauert, die beiden unterschiedlichen Herzen in der Brust, für jede Seite eines. Interessant ist, was dazwischen geschieht: Wie mal die Eine mal der Andere eine Mischform aus beiden ist, als quasi dritter, der sich aus der Umarmung der beiden ergibt. Die oft bissigen, hinter- und abgründigen Dialoge der zwei Haßliebenden erinnern an Ronald D. Laing, der in seinen „Knoten“Strukturen menschlicher Abhängigkeiten aufzeigt. Und nicht zuletzt an Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, wobei – wie in fast allen Schmittschen Stücken, eine Prise Trivialität einen angenehmen Hauch von Leichtigkeit entstehen läßt, gewürzt freilich mit kräftiger feinsinnig-psychologisch-existenzialistischer Lyrik. Ute Richter schöpft das große schauspielerische Potential der beiden Routiniers gnadenlos aus: Angelika Fornell (sie gibt die Lisa glaubwürdig nervös und scharfsichtig mit wunderschön gespieltem Hang zur Hysterie) und Werner Opitz (souverän den Gilles, köstlich sexy, intellektueller Dandy) – der beiden Spielweise ist wunderbar angelegt, Ute Richters Regie setzt das Spiel zwischen dem Paar spannend und unterhaltsam um. Theater „machen“, für sie heißt das auch, etwas sehen (und „rüberbringen“) können, was im Text noch gar nicht angelegt scheint; der von ihr geschürzte, gekürzte,  geknotete und dann wieder entwirrte Handlungsstrang läßt uns einen sowohl schwergewichtigen wie aber dennoch auch kurzweiligen Theaterabend erleben, an welchem sich von Szene zu Szene – derweil sich das Paar belauert – in suggestiv und rasant laufendem Spiel mehrerer Rollenwechsel kurzweilig die Ausgangslage ändert. Der allen Beteiligten geltende, langanhaltend-begeisterte Premierenapplaus ist verdient, der Prinzipalin gutes Händchen bei der Besetzung, der Stückauswahl, die von ihr gestaltete Bühne, die hervorragenden Schauspieler – all dies macht das zu einem Theatervergnügen, welches man sich nicht entgehen lassen darf.

Jürgen Gottschling
Aug 2006 | Feuilleton | Kommentieren