Eine Reihe islamkritischer Autoren, darunter Seyran Ateş, Nina Scholz,  Necla Kelek, Ahmad Mansour, Kamel Daoud, Susanne Schröter, wenden sich gegen einen „European Islamophobia Report“, der von der EU in Auftrag gegeben und finanziert wurde und von Autoren einer der türkischen Regierung nahestehenden Stiftung verfasst wurde. Die Autoren des offenen Briefs werden darin als gefährliche „Islamophobe“ dargestellt. Die Autoren adressieren ihren Brief direkt an die neue Vorsitzender der EU-Kommission Ursula von der Leyen:

„Das Ziel des Islamophobia Report ist es, jede kritische öffentliche Beschäftigung mit dem Islam und islamistischen Strömungen hintanzuhalten, zu verhindern oder jedenfalls zu diskreditieren. Damit aber wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und Gedankenfreiheit in Europa ernsthaft infrage gestellt. Selbst die öffentliche Auseinandersetzung mit dem politischen Islam der Muslimbruderschaft und anderer radikaler Strömungen soll, geht es nach den Herausgebern des EIR, unterbunden werden.“

Dreizehn Islam-Experten bitten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die finanzielle Unterstützung für eine regierungsnahe türkische Stiftung und deren Reporte einzustellen, die sie als demokratiegefährdend einschätzen.

Den als islamophob inkriminierte Brief

Sehr geehrte Frau Präsidentin von der Leyen,

die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Offenen Briefes bitten Sie und die neue EU-Kommission, dafür Sorge zu tragen, die Zusammenarbeit mit und die finanzielle Unterstützung von türkischen Organisationen einzustellen, die ihre Aufgabe darin sehen, Bürgerinnen und Bürger Europas, die sich öffentlich und kritisch mit der türkischen Regierungspolitik und politisch-islamischen Strömungen in Europa beschäftigen, in regelmäßigen Denunziationsberichten öffentlich anzuprangern.

Zu diesen oben erwähnten Denunziationsberichten zählt der unlängst erschienene „European Islamophobia Report 2018“. Er wird, wie die zuvor erstellten jährlichen Reporte, unter der Schirmherrschaft der türkischen, regierungsnahen SETA-Stiftung von den Politologen Farid Hafez und Enes Bayrakl herausgegeben. Die EU-Kommission finanzierte diesen Bericht mit 126.951,81 Euro aus dem Fonds zur Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Dialogs zwischen der EU und der Türkei (CSD-V). Dieser Fonds wird mit Steuergeldern der EU-Bürgerinnen und -Bürger bestückt. Die Vergabe der Mittel jedoch obliegt allein dem türkischen Außenministerium.

Die EU hat hier die Kontrolle aus der Hand gegeben. Das hat zur Folge, dass Gelder der EU unter anderem dazu verwendet werden, die türkische, regierungsnahe Stiftung SETA mit Geld zu versorgen. SETA trat in der Vergangenheit immer wieder mit Berichten an die Öffentlichkeit, in denen Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union diffamiert, denunziert und Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an den Pranger gestellt wurden.

Der „European Islamophobia Report 2018“ liefert ein gutes Exempel dafür, warum die Vergabe dieser Mittel dringend überdacht und Förderkriterien entwickelt werden müssen, die eine Zweckentfremdung von EU-Geldern durch die Türkei in Zukunft verhindern. Eine Unterstützung von SETA-Studien durch die Europäische Kommission ist aus mehreren Gründen unangebracht:

  • Die SETA-Stiftung ist ein politisches Instrument
    der türkischen Regierung

Sie dient nicht dem zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen der EU und der Türkei, sondern der Verlautbarung der Regierungslinie (siehe die Kriegspropaganda von SETA auf Social-Media-Kanälen im Rahmen des Einmarschs der türkischen Armee in Nordsyrien) und der Identifizierung und öffentlichen Diffamierung von Gegnern des türkischen Präsidenten Erdogan, der AKP und der türkischen Regierungspolitik. Der Gründungsdirektor der SETA-Stiftung, der Theologe Ibrahim Kaln, ist der heutige Sprecher von Erdogan. Der europäischen Öffentlichkeit fiel er bereits 2012 durch seine Rede auf dem Istanbuler Weltforum auf, in der er die Entmachtung des Westens und eine „postsäkulare Ordnung“ ebendort ankündigte.

Die SETA-Publikationen sprechen eine deutliche Sprache. So erschien 2018 eine „Studie“ mit dem Titel „Die Struktur der PKK in Europa“, in der namentlich europäische Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten, Künstlerinnen und Künstler sowie Wissenschafterinnen und Wissenschafter als Sympathisanten und Unterstützer der PKK aufgezählt wurden. Dafür reichte es mitunter aus, dass sie Kritik an der türkischen Politik in den Kurdengebieten geäußert hatten.

Ähnlich verfährt 2019 eine Studie mit dem Titel „Die Fethullahistische Terrororganisation (FETÖ) in Deutschland“. Im SETA-Bericht „Der verlängerte Arm internationaler Medienorganisationen in der Türkei“ wiederum werden Namen und Lebensläufe von 143 türkischen Journalistinnen und Journalisten gelistet, die für internationale Medienhäuser wie etwa Deutsche Welle, FAZ oder BBC arbeiten. Ihnen wird vorgeworfen, regierungsfeindlich zu berichten. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters protestierte gegen diesen Bericht.

  • Der „European Islamophobia Report“ reiht
    sich in die Denunziationsberichte von SETA ein

Im Report werden undifferenziert viele Persönlichkeiten und Institutionen aus ganz Europa als „islamophob“ sowie als Vertreter und Beförderer von „antimuslimischem Rassismus“ bezeichnet – ein Begriff, der als Synonym für „Islamophobie“ verwendet wird. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Offenen Briefes werden im Report in eine Reihe mit Rechtsradikalen, Rassisten und deren Netzwerken gestellt. Alle im Report gelisteten, unter ihnen auch Musliminnen und Muslime, die andere Wege als die meisten Islamverbände gehen wollen, seien, so die Ansicht der Herausgeber, Teil des weltweiten „islamophoben“ Diskurses. So wundert es auch nicht, dass die Herausgeber des „European Islamophobia Report“ auch ein Buch über Islamophobie in islamischen Gesellschaften publiziert haben. Dieses Vorgehen dient dem Zweck, jegliche Kritik am Islam, an verschiedenen politisch-islamischen Organisationen und deren Proponenten aus dem Diskurs zu drängen und die Deutungshoheit über diese Themen zu erlangen.

Angesichts des Mobilisierungspotenzials türkisch-nationalistischer und islamistischer Kreise stellen die Berichte der SETA-Stiftung eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die darin genannten Personen dar.

  • Der „European Islamophobia Report“ ist
    keine wissenschaftliche Publikation

Wir möchten mit Nachdruck darauf hinweisen, dass dieser „Bericht“ keinerlei wissenschaftlichen Standards entspricht. Der „European Islamophobia Report“ ist weder eine quantitative noch eine qualitative Studie; zu einer Studie fehlen ihm die wesentlichen Kriterien und Voraussetzungen, die eine solche auszeichnen. Die Herausgeber haben sich an keiner Stelle die Mühe gemacht, die von ihnen angewandten Methoden zu erläutern oder die Kriterien zu beschreiben, anhand derer die von ihnen geschilderten „Fälle“ ausgewählt wurden.

Mit dem Begriff „Islamophobie“ wird versucht, zwei unterschiedliche Phänomene in einem Begriff zusammenzufassen: Feindschaft gegenüber und Diskriminierung von Muslimen auf der einen Seite und Religionskritik auf der anderen. Der Terminus differenziert nicht zwischen ressentimentbeladener Hetze einerseits und der Aufklärung verpflichteter Kritik an der Religion andererseits. Er entpuppt sich somit als Kampfbegriff, der dazu genutzt wird, Kritik am Islam, an politisch islamischen Strömungen, an einzelnen Organisationen und Akteuren oder an Problemen und Menschenrechtsverletzungen innerhalb muslimischer Gemeinschaften und Gesellschaften abzuwehren und diese als „anti-muslimischen Rassismus“ zu etikettieren.

Dies führt dazu, dass kritische Geister, auch und gerade innerhalb der muslimischen Welt, als „islamophob“ denunziert und in dieselbe Ecke gestellt werden wie Rechtspopulisten, Rechtsradikale und Rassisten.

  • Der „European Islamophobia Report“
    ist demokratiepolitisch gefährlich

Das Ziel des „European Islamophobia Report“ ist es offenbar, jede kritische öffentliche Beschäftigung mit dem Islam und islamistischen Strömungen hintanzuhalten, zu verhindern oder jedenfalls zu diskreditieren. Damit aber wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und Gedankenfreiheit in Europa ernsthaft in Frage gestellt. Selbst die öffentliche Auseinandersetzung mit dem politischen Islam der Muslimbruderschaft und anderer radikaler Strömungen soll, geht es nach den Herausgebern des „European Islamophobia Report“, unterbunden werden. Ihnen geht es nicht um eine offene demokratische Debatte, sondern um die Verhinderung derselben. Wir vermuten, dass die Herausgeber des „European Islamophobia Report“ langfristig das Ziel verfolgen, die Gesetzgebung der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit Hilfe einer sich als NGO gerierenden türkischen regierungsnahen Stiftung dahingehend zu beeinflussen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Islam verunmöglicht wird. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Offenen Briefes weisen diesen Versuch der Zensur zurück.

Sehr geehrte Kommissionspräsidentin, wir bitten Sie, dafür Sorge zu tragen, dass die EU respektive die Europäische Kommission in Zukunft keine finanzielle Unterstützung für den „European Islamophobia Report“ mehr gewährt und die Instrumentalisierung eines Fonds der eigentlich der Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Dialogs zwischen der EU und der Türkei dienen soll, durch die türkische Regierung und die ihr nahestehende SETA-Stiftung in Zukunft verhindert wird.

Dez 2019 | Allgemein, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren

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