Deutschlandweit haben Tausende Menschen trotz hoher Temperaturen und Schwimmbadwetter gegen den Überwachungswahn demonstriert. Auch auf dem Heidelberger Bismarckplatz hat ein breites Bündnis von (alphabetisch) Grünen, Linkspartei,  der Piratenpartei sowie der SPD (Stadträtin Irmtraud Spinnler mit einer sehr persönlichen, kritschen Rede)  und Sören Michelsburg von den Heidelberger Jusos mit knapp 300 Menschen politische, juristische und technische Konsequenzen des aktuellen Skandals angesprochen.

Rede von Stevan Cirkowic (Piratenpartei)

Stevan Cirkowic

Stevan Cirkowic

Lasst mich zuerst einmal ein großes Dankeschön aussprechen, an alle, die heute bei dieser Hitze gekommen sind. Bürgerrechte kennen keinen Schweiß und der Einsatz für sie auch keinen Siedepunkt. Danke, dass ihr hier seid!

Was sich in den letzten Wochen abgespielt hat, ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend gewesen. Noch vor einem Monat wäre jeder müde als Verschwörungstheoretiker, Spinner, Paranoiker belächelt worden, der auch nur einen Abklatsch der Realität hinter vorgehaltener Hand getuschelt hätte. Heute frage ich mich nur noch: Was kommt morgen ans Licht? Wer wurde noch bespitzelt? Welche Grundrechte wurden noch mit Füßen getreten?

Der Kampf gegen den Terrorismus im In- und  Ausland ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen: Der weltweite Internetverkehr wird durch Programme wie Prism und Tempora ohne Anlass und ohne Hemmungen überwacht. In einem unverständlichen Akt der Paranoia hören die US-Geheimdienste nicht nur die Bürger ihrer befreundeten Nationen in Europa ab, sondern auch gleich deren Regierungen. Alles Terroristen halt.

Es sind gerade diejenigen Kräfte, die immer wieder betonen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfe, die uns fundamentale Grundrechte im digitalen Raum verwehren. Es gibt kein Briefgeheimnis im Internet und die Unschuldsvermutung wird im Namen der Terrorangst in Generalverdacht verdreht. Wer gegen Überwachung ist, sei für den Terror oder habe gar selbst etwas zu verbergen.  Ja, wir haben etwas zu verbergen, wir alle. Na und? Etwas zu verbergen zu haben, ist kein Verbrechen. Im Gegenteil: Es steht jedem Menschen frei, so viel von und über sich preiszugeben, wie sie oder er möchte. Aber der Staat darf nicht anlasslos jeden Menschen dazu zwingen, seine Privatsphäre aufzugeben. Das ist das eigentliche Verbrechen. Nur in der Privatsphäre kann der Mensch sich zum Menschen entwickeln und seine Persönlichkeit formen. Die Privatsphäre ist verdammt nochmal keine Terrorkeimzelle!

Die Bundesregierung stellt sich derweil ahnungslos, Verantwortliche wie Kanzleramtsminister Pofalla spielen Versteck. Konsequenzen ziehen heißt für die Union die negativ behaftete Vorratsdatenspeicherung lediglich in *Mindestspeicherfrist* umzubenennen. Für wie blöd werden wir eigentlich gehalten, frage ich!

Doch wie konnte es so weit kommen? Als Bundeskanzler Schröder den Amerikanern bedingungslose Solidarität zusicherte, wurden alle Datenluken gen Westen geöffnet. Die Antiterror-Gesetze von 2001 und 2002, die Anti-Terror-Datei und Rasterfahndung gehen allesamt auf das rot-grüne Konto!

Gratulation auch den Großeltern: CDU/CSU, SPD und FDP

Wer denkt, dass die Opposition ihre Fehler eingesehen hat, irrt. Die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs ist immer noch eine der eifrigsten Befürworter der Vorratsdatenspeicherung. Und am 1. Juli trat die Bestandsdatenauskunft in Kraft, verabschiedet auch mit den Stimmen der SPD. Problem nicht verstanden!

Im Schatten lassen sich die Reden auch verfolgen ohne an einem der heißesten Tage des Jahres  zu schmoren

Im Schatten lassen sich die Reden auch verfolgen ohne an einem der heißesten Tage des Jahres zu schmoren

Während sich Union und SPD darüber streiten, wer wann vor einem Untersuchungsausschuss aussagen soll, handeln die Piraten. Mit bereits drei Kryptopartys in der Metropolregion konnten wir Menschen zeigen, wie sie sich und ihre Privatsphäre im Netz schützen können. Und heute abend folgt gleich die nächste in Wiesloch. Wer vorbeischauen will: Kulturzentrum in der Stadtbibliothek, 19 Uhr.

Digitale Selbstverteidigung ist eine Sofortmaßnahme, ein Provisorium. Deren Notwendigkeit ist aber vor allem ein politisches Problem. Wenn die Regierung sagt, “die Bürger sollen selber sicherstellen, dass sie Privates verschlüsseln”, dann sagen wir: “wir brauchen ja auch keine kugelsichere Weste, um uns in der Öffentlichkeit vor Gewalt zu schützen”. Das ist in beiden Fällen Aufgabe des Staates.

Deshalb hier die konkreten Forderungen der Piraten:
  • Wir  brauchen erstens einen aktiven Whistleblowerschutz, damit Menschen, die Unrecht und Verbrechen aufdecken, nicht in sozusagen lupenreinen Demokratien Unterschlupf suchen müssen. Whistleblower verdienen unsere Anerkennung, nicht strafrechtliche Verfolgung.
  • Zweitens: Die Enthüllungen müssen nicht nur innen- sondern auch außenpolitische Konsequenzen haben. Alle Datenaustauschabkommen mit den USA müssen überprüft und solange auf Eis gelegt werden. Grundrechte sind _nicht_ verhandelbar!
  • Drittens: Freiheit, nicht Angst, muss wieder die Leitlinie werden, an der wir uns bei der Gesetzgebung orientieren. Überwachung ist falsch, weil sie das aufgibt, was sie vermeintlich schützen soll: Die Freiheit. Deshalb müssen jetzt alle Überwachungsgesetze seit 2001 auf den Prüftisch.
  • Viertens: Angesichts der bisher ineffektiven Kontrolle fordern wir die Einrichtung eines Geheimdienstbeauftragten des Bundestages. Und auch jeder einzelne Geheimdienst selbst muss hinterfragt werden und wenn er dieser kritischen Prüfung nicht standhält, so muss er abgeschafft werden. Ein Weiter-So kann auch hier nicht die Antwort sein.

 

Wir stellen das in Frage, weil ein überwachter Mensch kein freier Mensch ist. Wer immer fürchten muss, dass alles, was er tut, kontrolliert, belauscht und ausgewertet wird, der ist nicht frei. Wer keine Privatsphäre mehr hat, der hat auch keine Würde mehr. Deshalb, Frau Merkel, hier ein kleiner Lesetipp für Sie und ihre Chaostruppe: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1 bis 20. Der kleine Hans-Peter jedenfalls wird sein „Supergrundrecht auf Sicherheit“ zumindest in meiner Ausgabe nicht finden. Verfassungskunde: Ungenügend.

Abschließen möchte ich sagen, dass es traurig zu sehen ist, dass die Regierung absolut nichts von dem begreift, was um sie herum passiert. Es ist auch traurig zu sehen, dass der deutsche Politikbetrieb zu sehr in seinen eigenen Denkstrukturen gefangen ist. Das einzige, worin sich die parlamentarische Opposition einig ist, ist in ihrer Forderung nach Aufklärung des NSA-Skandals. Wir wollen aber nicht nur Aufklärung. Was nützt uns das schon? Wir wollen nicht bloß wissen, wer was wann warum mit wem getan hat. Wir wollen unsere Würde zurück! Wir wollen in Zukunft wieder frei und ohne Generalverdacht leben können!

Wir wollen nicht länger überwacht werden, denn wir sind Bürgerinnen, keine Unternanen! Stop watching Us! Free Bradley Manning and Edward Snowden!

Rede von Sören Michelsburg, Jusos Heidelberg für den SPD-Kreisvorstand HD Heidelberg

Werte Freunde von Rechtsstaat und Freiheit,

 es freut mich, dass so viele gekommen sind, denn daran sehe ich, dass das Thema die Menschen berührt und wütend macht. Mich macht es auch wütend, nicht zu wissen, ob  meine Mail, oder eine sonstige Nachricht im Internet nur von mir und dem Empfänger gelesen wird, oder ob da andere mitlesen. Das darf nicht passieren, das hebelt unsere Privatsphäre aus und ist verfassungswidrig. Dagegen demonstrieren wir und hier fordern wir auch Veränderungen.

Ich möchte auf 3 Punkte eingehen, erstens auf die Behandlung von Edward Snowden, zweitens auf die Rolle der Amerikaner in diesem Skandal und drittens auf die Rolle der deutschen Politik.
Der Umgang mit Snowden und allem was damit zusammen hängt ist einfach nur fatal. Dass ein Staatspräsident keine Überflugerlaubnis bekommt ist nicht hinnehmbar. Dass ein Mensch, der sich für die Rechte aller Menschen einsetzt wie ein Verbrecher behandelt wird darf nicht zugelassen werden. Dass ihm, obwohl er politischer Flüchtling ist nachdem er die deutsche Bevölkerung über die Verletzung ihrer Grundrechte informiert hat, kein Asyl angeboten wird, oder es zumindest offen in der Politik diskutiert wird, muss geändert werden.
Deshalb fordere ich im Namen des SPD-Kreisvorstands alle Heidelbergerinnen und Heidelberger auf, die Onlinepetition zu unterzeichnen, die den Bundestag dazu auffordert, Edward Snowden politisches Asyl zu gewähren.

rmtraud Spinnler, SPD während ihrer Rede, vor ihr der Organisator der Kundgebung Alexander Schestag, ganz rechts Sören Michels (Juso)

Irmtraud Spinnler, SPD während ihrer Rede, vor ihr der Organisator der Kundgebung Alexander Schestag, ganz rechts Sören Michelsburg (Juso)

Statt sich mit parteipolitischen Spielchen auszutoben muss umgehend gehandelt werden. Die  Bundesstaatsanwaltschaft muss aktiv werden und Ermittlungen gegen die  NSA aufnehmen, Edward Snowden befragen und in Deutschland lebende  Verantwortliche von BND und NSA verhören und als Zeugen vernehmen (Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel).
Wir müssen die Chance nutzen seine Informationen zu hören, einzusehen und zu prüfen; wir müssen uns für die Grundrechte, für ein freies nicht überwachtes Leben einsetzen, wir müssen uns heute, mit der Petition und mit der Forderung nach Aufklärung der Geschehnisse und Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit, gegen die Machenschaften der NSA, gegen Prism und gegen die anderen Skandalprogramme wie Tempora aussprechen und wehren!

Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt, der Rolle der amerikanischen Politik und Geheimdienste. Es ist unerhört, dass die NSA anhaltslose Massenüberwachung unter dem Deckmantel der  Terrorbekämpfung durchführt. Es ist ungeheuerlich, wie viele Daten dort gesammelt werden. Und es ist haltlos, dass sie womöglich hier in Deutschland gearbeitet, das Netz angezapft und uns alle ausgespäht haben, als stünden wir alle unter Generalverdacht.

Dass es sogar in den USA mittlerweile einen Widerstand gibt, es durch die Parteien hinweg Gegner dieser Überwachung gibt, wenn auch nur was die Überwachung der eigenen Bevölkerung angeht, zeigt, dass das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit nicht nur in Schieflage ist, sondern die Gefahr besteht, dass die Freiheit bald der Sicherheit geopfert wird.
Die brennenden Fragen sind noch immer, wie wir ausgespäht wurden, was ausgespäht wurde und womit wir ausgespäht wurden?! Von wem werden wir durchleuchtet, von der NSA oder dem BND, oder sogar beiden? Was weiß die NSA mittlerweile über mich, über euch, nur mit wem wir Kontakt haben, oder auch welche Art von Kontakt? Und wie funktioniert das? Kann man sich als Privatperson überhaupt vor Datenausspähung schützen, so, wie es Hans-Peter Friedrich von uns erwartet?

Auf all die Fragen fehlen uns noch immer die Antworten. Wer kümmert sich denn um unsere Freiheit  und um den Datenschutz?
Wir brauchen Politikerinnen und Politiker, denen unser Wohl wichtig ist, denen das Internet und dessen Weite kein Neuland ist,  sondern denen bewusst ist, dass das Internet ein allgegenwärtiges Produkt ist, das genauso Standards im Datenschutz braucht, wie es sie sonst auch gibt.

Diese bundesweiten Demos sind das richtige Zeichen, dass wir an die Politik senden und hoffentlich auch bis nach Amerika, wobei ich mir hier keine Sorgen mache. Die kannten meine Rede wahrscheinlich schon vor euch.

Edward Snowden

Edward Snowden

Es soll aber nicht nur die NSA zur Kenntnis nehmen, sondern die Bürger sollen Aufwind bekommen, weiter dagegen zu demonstrieren und die Politik soll spüren, dass die Freundschaft auf wackligen Beinen steht, denn echte Freunde achten die Privatsphäre!
Da möchte ich jetzt aber noch kurz über die deutsche Politik und ihr Verhalten in der jetzigen Situation reden. 
Nach dem 11. September wurde die Kooperation zwischen den Geheimdiensten verstärkt. Es war fast niemandem bekannt, welches Ausmaß diese Kooperation beinhaltete. Das muss offengelegt werden. Warum gibt es keine öffentliche Klarstellung, Erklärung und Veranschaulichung von dem, was getan wurde? Warum gibt es Anlass zu schweigen? Was denken die, wer wir sind?
Wenn es „X Keystore“ gibt und damit das Auslesen der Inhalte von Nachrichten,  dann kann Herr Pofalla nicht behaupten, dass die Geheimdienste alles richtig gemacht hätten und der Datenschutz immer eingehalten wurde. Wir brauchen Antworten, wir brauchen die Wahrheit und wir brauchen die Sicherheit und den Schutz vor einem Überwachungswahn, der sich in diesem Skandal eindeutig gezeigt hat.
Wenn ich dann von einigen Menschen höre: „Ist mir doch egal, ich habe nichts zu verbergen, die  können machen was sie wollen!“ dann zweifle ich schon fast daran, dass es möglich ist, den Menschen klar zu machen, dass es eben nicht egal ist, wie ein Verbrecher behandelt zu werden, obwohl man keiner ist. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich Teil einer Generation bin, die ohne Krieg oder militärische Konflikte in der Heimat aufgewachsen ist. Doch wie nennt man die systematische Überwachung durch die Geheimdienste? Ein friedliches Projekt ist das keinesfalls!
Deshalb fordere ich euch noch einmal auf, schreit laut auf gegen Prism, gegen Tempora, gegen eine Totalüberwachung und fordert Gerechtigkeit für Snowden und alle, die etwas für die Freiheit aller Menschen tun, und die sich dafür einsetzen, dass wir die Wahrheit erfahren können!
Vielen Dank

Politisches Asyl für Edward Snowdon. Petition an den Bundestag bitte sofort unterschreiben und an Freunde weiterleiten!

 

Aug 2013 | Allgemein, InfoTicker aktuell, Junge Rundschau, Sapere aude, Zeitgeschehen | 1 Kommentar