Nach dem Erscheinen eines monumentalen Sammelwerks, das Schoeps und Tress zu den Bücherverbrennungen 1933 herausgegeben haben, ist es jetzt möglich, sämtliche Bücherverbrennungen in unserer Region zu überschauen und zu vergleichen. (Nur die tatsächlich nachgeholte Aktion in Freiburg fehlt; sie wurde wie alle anderen außer Heidelberg und Mannheim unter der Regie des ehrgeizigen HJ-Führers Kemper durchgeführt. Die Professorenschaft war überhaupt nicht beteiligt; nach einer nichtbelegten Mitteilung in wikipedia soll der neuernannte Rektor Heidegger eine Beteiligung der Universität strikt verboten haben. Kann schon sein, dass es ihm peinlich gewesen wäre, die Werke seines (noch lebenden) jüdischen Lehrers Husserl auf dem Scheiterhaufen zu sehen)

Heidelberg

Heidelberg bildete den Auftakt. Und auch hier war es eindeutig die Studentenschaft, nicht die Hochschule als solche, die die Aktion durchführte.

Zur Vorgeschichte nur folgendes: In der Weimarer Republik hatte die Deutsche Studentenschaft, zunächst in der Republik eine Organisation öffentlichen Rechts, es per Mehrheitsbeschluss durchgesetzt, dass im ”Reich”, wie man schon vor 33 zu sagen pflegte, wie in Österreich, Juden kein Mitgliedschaftsrecht bekommen sollten, und zwar gemessen an familiärer Herkunft, nicht an Religionszugehörigkeit. Das führte dazu, dass das Kultusministerium der Republik dem Organ seine Anerkennung entzog und auch keine Gelder mehr fließen ließ. Umgekehrt war diese Ausschluss-Bestimmung der beste Nährboden für den NS-Studentenbund innerhalb der Studentenschaft. Jetzt konnte er loslegen ohne Hemmungen.

Zunächst konnte damit der Studentenbund sich so wild und radikal gebärden, wie er wollte; verschlechtern konnte sein Status in der Republik sich nicht mehr. Nach den Märzwahlen 1933 drehte sich die Problematik um: Jetzt galt es, so schnell wie möglich ins Machtzentrum einzudringen und seine Unentbehrlichkeit für das Naziregime unter Beweis zu stellen.

Tress zeigt am Beispiel Berlin, das hier nicht weiter behandelt werden kann, wie für diese Studenten der 1.April -Tag des Boykotts- zum Ausgangspunkt ihrer neuen Tätigkeit wurde. 1.April – was oft vergessen wird, bedeutete ja nicht nur Boykott jüdischer Geschäfte, sondern massenhafte Durchsetzung der Verdrängung jüdischer Beamten, vor allem auch Richter und Staatsanwälte, und natürlich Professoren. Und das weniger über das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, sondern durch brutalste Boykottmaßnahmen. Lärm in der Vorlesung, keinen reinlassen in Veranstaltungen missliebiger Profs usw. Vom Kampf gegen die Professoren war der Schritt nicht weit zu dem gegen den angeblich ”undeutschen Geist”, das heißt, gegen die literarischen Produkte dieser Leute. Geschult hatten sich die rechten Studenten in Heidelberg zum Beispiel schon in und an den Attacken gegen Professor Gumbel, der das totale Missverhältnis rechter und linker Verurteilter in den Gerichten der Weimarer Zeit aufgedeckt hatte.

In Heidelberg wird der Zusammenhang besonders deutlich: Ein jüdisches Verbindungshaus BAVARIA wurde gestürmt; ebenso das Gewerkschaftshaus. Akteure dieses Mal: SA- und SS, was aber die Mitwirkung von Studenten keineswegs ausschließt. Es gab viele Doppelmitgliedschaften. Das Plündergut aus dem Haus, darunter bei der Gewerkschaft viele Akten, wurde aus den Fenstern auf die Straße gestürzt und angezündet.

Die Verknüpfung mit dem Vernichtungswillen gegen diejenigen, die vor dem März 1933 angeblich oder wirklich das Sagen gehabt hatten, liegt auf der Hand.

Nach Berliner Muster wurden zur Vorbereitung der eigentlichen Verbrennung von Studenten und HJ die Leihbüchereien und die Stadtbücherei nach Werken durchforstet, die undeutsch waren. Woran man das schnell erkannte? Berliner Bibliotheksangestellte hatten ”Schwarze Listen” zusammengestellt, die aber beliebig ergänzt werden konnten. Es ging da am Anfang etwas kunterbunt zu. So war von Erich Kästner ”alles” zu verbrennen, mit Ausnahme von ”Emil und die Detektive” – ausgerechnet dieses Buch wurde an einem anderen Ort zur Verbrennung abgeliefert.

Die Universitätsbibliotheken blieben von jeder Brandschatzung verschont: Schließlich musste Feindliteratur auch vom siegreichen National-Sozialismus noch durchforscht werden können.

Wie in allen betroffenen Städten zeigte sich auch in Heidelberg eine feurige Entschlossenheit, sämtliche Bücher der Listen unbedingt zu verbrennen; nur die eigenen schöngebundenen aus Privatbesitz rückte kaum einer heraus. So mussten die Leihbüchereien herhalten; zusätzlich eben Heftchen und Bilder, die eher unter ”Schund und Schmutz” liefen als unter undeutsch.

Zum Auffüllen der Brandpyramide mussten Fahnen, Schilder usw. hauptsächlich kommunistischer Organisationen herhalten, wobei die Gewerkschaft großzügig den Kommunisten zugerechnet wurde. Noch einmal wird an dieser Zugabe deutlich, dass de Reinigung der deutschen Literatur vom Undeutschen in den Hintergrund trat gegenüber der brutalen Selbstfeier der Sieger: Die Verlierer sollten nicht nur als Besiegte dastehen, sondern als spurlos Vertilgte.

Die Zeremonie scheint sich nach Zeitungsberichten als rechtes Pfälzer Volksfest abgespielt zu haben; vom Lehrkörper war niemand zugegen, zumindest nicht als Redner. Dafür war es aber der NS-Studentenschaft gelungen, die Verbindungen – schlagende, nichtschlagende, farbentragende auf ihren Kurs zu verpflichten: Nach der NS-Studentengruppe marschierten SA, SS und schließlich die gerade in Heidelberg noch die Mehrheit stellenden Verbindungsleute. Die Hauptrede hielt Studentenführer Gustav Adolf Scheel, die dem Berliner Schema weitgehend folgte.

Scheel erlag kurz darauf dem Größenwahn, er sei von wem auch immer zum Beauftragten für alle Universitäten des damaligen Baden und auch Württemberg ernannt worden. Sofort versuchte er Tübingen und Stuttgart Anweisungen zu geben. Ohne Erfolg. Es ist zu vermuten, dass, so reichstreu und nazi-revolutionär man in beiden Unis auch sein mochte, die alte Rivalität gegenüber Heidelberg überwog. Im Beitrag zu Laupheim in dem Sammelband wird die Frage gestellt, warum es an den Württemberger Unis keine Verbrennungen gegeben habe: Vielleicht liegt die Ursache an den regionalen Verwerfungen im angeblich großdeutschen Aufbruch. Manchmal hat selbst regionale Verhocktheit ihre -relativen- Vorteile.

Faschismus = Massenbewegung + bürokratischer Zugriff

Wichtig an dem ganzen Vorgang ist konkrete Einsicht in die Natur einer oft dahingesagten allgemeinen Aussage über den Unterschied faschistischer Systeme und solcher, die ”nur” eine Militär-Diktatur oder eine bürokratischer Art war – wie etwa die Dollfus-Diktatur in Österreich.

Faschismus, sagt der Lehrsatz, ist stark und in der Aufstiegsphase schwer zu bezwingen, weil die bürokratische Herrschaft sich auf eine Massenbasis stützt.

Dafür liefert das Sammelwerk zur Bücherverbrennung Stadt für Stadt Beispiele. Studentenschaft zum Beispiel -oder HJ- waren nach ihrer rechtlichen Verfasstheit auch nicht mehr als heute ein Verein. Gestützt auf den -vermuteten oder explizit geäußerten- Führerwillen konnten sie -in bestimmten Situationen- mit andern, auch staatlichen Organen, Bündnisse eingehen – oder widerspenstige Ämter und Organisationen vor sich hertreiben. Einmal durch schlichten Terror: Wer ohne Polizeieinspruch fürchten zu müssen, Gewerkschaftshäuser stürmen und plündern kann, hat selbstverständlich nicht nur Macht über die, die sich in dem Haus im Augenblick befinden, sondern auch über die führerlosen und atomisierten einzelnen Gewerkschaftsmitglieder. Das offizielle Verbot am 2.Mai aller Gewerkschaften folgte dann als fast gleichgültige Besiegelung des massenhaft Vollzogenen rechtlicher Art.

Terror ist nur die eine Machtform, die sich von den Massenorganisationen her entwickelt. Die andere ist die der ideologischen Überwältigung: nicht über Beweis, sondern über Verweis. Der Studentenführer verweist -wortlos oder in formelhaften Wendungen- auf die, die hinter ihm stehen, das ”braune Heer”, das jetzt den Siegeszug angetreten hat und bereitsteht, mit anderen so zu verfahren wie mit dem Gewerkschaftshaus.

So gesehen, reihen die Bücherverbrennungen sich ein in die Serien lokaler Machtergreifung in den einzelnen Städten und Gemeinden. Was mit der zwangsweisen Aufpflanzung der NS-Fahne auf dem Rathaus begann, wird mit der Bücherverbrennung fortgesetzt

Mannheim

Nur in Mannheim, wie gesagt, gab es Verbrennung von der Universität als Gesamt-Institution aus. Zum feierlichen Akt waren alle möglichen Verbände mit herangezogen worden. Zusätzlich wurde hier immer wieder gehässig auf die Politik der Mannheimer Kunsthalle verwiesen, deren bis dahin amtierender Chef, Hartlaub, sich besonderen Zorn zugezogen hatte, weil er früh und entsprechend günstig expressionistische Werke angekauft hatte. Er musste dann in den Reden als Muster des alten Geistes herhalten, der jetzt abgewirtschaftet habe.

Das flache Land in der Regie der HJ

Sämtliche übrigen Aktionen im Land sind dem ehrgeizigen und rührigen Hitler-Jugend-Führer Kemper anzurechnen.

Auch aus dem vorliegenden Sammelwerk geht nicht eindeutig hervor, warum gerade in Baden die HJ so aktiv war. Es gab sie schließlich -recht gut organisiert- im ganzen damaligen Reichsgebiet, ohne dass dort universitätsferne Ortschaften von der Größe zum Beispiel Laupheims bedacht worden wären.

Am 14.5.1933 -also sehr kurz nach dem mehr oder weniger allgemeinen Termin 10.5.- riss er die Initiative an sich und gab folgende Direktive im strengen Befehlsstil aus, wie er damals sich durchsetzte:

”Im Monat Juli steigen zwei kulturelle Kampfwochen. Sie sollen den Nachweis erbringen, dass die Hitlerjugend im Kampf um die deutsche Kultur an der Spitze marschiert. Ich ordne daher an: Die gesamte Hitlerjugend macht sich für die Durchführung dieser Kampfwochen bereit. Die erste Woche soll aufräumen mit der Schmutz- und Schundliteratur, die unser Volk vergiftet. Im ganzen Lande sammeln die Führer der Hitlerjugend eine Woche lang sämtliche Schmutz- und Schundliteratur, die wir ihnen durch ein beonderes Verzeichnis bekannt geben werden. Die gesamte Bevölkerung, alle Bibliotheken, werden aufgefordert werden, die jüdischen Schund- und Schmutz-Schriften abzuliefern. Am Ende dieser ersten Woche wird die Hitlerjugend in jeder badischen Stadt einen großen Demonstrationszug veranstalten, um bei einer Kampfrede gegen die Schund-und-Schmutzliteratur den gesammelten Bücherdreck feierlich zu verbrennen. Wir wollen den Geist der Remarque, Emil-Ludwig-Kohn usw. auf dem Scheiterhaufen der jungen deutschen Revolution verbrennen” (zit. n. Badische Presse 14.5.33)

1. Zunächst fällt hier die Vermeidung der Rede vom ”Undeutschen Geist” auf. Aktionen gegen diesen waren – nach Rust, Staatssekretär im preußischen Kultusministerium – nur den Universitäten vorbehalten.

2. Damit fällt leicht die Anknüpfung an die schon früher von Pfarrern und Lehrern geförderte Bekämpfung von ”Schmutz und Schund”- mit seiner sexuellen Anspielung – und einer Unbestimmtheit, die ohne weiteres auch Remarque und Ludwig -aus den anderen Listen- unter diese Rubrik fallen lässt.

3. Ein junger Mann von wahrscheinlich wenig mehr als zwanzig Jahren gibt ohne weiteres Befehle an Bibliotheken und Behörden. In der alten Republik wäre er vermutlich zum Maulhalten aufgefordert worden, hätte er als erster proklamiert, bevor die Zuständigen das Wort ergriffen hätten.

In dieser ausdrücklichen Bevorzugung der Jugend gegenüber den naturgemäß älteren Pöstcheninhabern lag sicher ein Teil der Verführungskraft dieser Bewegung. (Was aber nicht heißen soll, dass es sich bei der Bewegung 1933, wie Götz ALY will, um etwas gehandelt hätte, das auch nur entfernt an 1968ff erinnert)

4. Nach leidvoller Erfahrung mit so manchem behördlichen Schneckengang muss gesagt werden: was der HJ-Führer befahl, wurde von den Unterorganisationen aufs Pünktlichste ausgeführt.

So am 17. Juni in Karlsruhe, Offenburg, Pforzheim, Kehl, nachgeholt in Freiburg.

Außerhalb des Herrschaftsgebietes von Kemper im damals noch selbständigen Württemberg ausschließlich in Ulm und Laupheim,und das erst im Juli.

Über die Verbrennungen in Offenburg, Pforzheim, Kehl ist in Stattzeitung bzw. Stattweb berichtet worden. Über die Vorgänge in Freiburg erst vor kurzem nach einem dankenswerten Bericht der Badischen Zeitung.

Ulm, Laupheim

Werfen wir einen abschließenden Blick auf die zwei Nachzügler im Württembergischen. In beiden Städten war die Hitlerjugend federführend. Auffällig nur, dass das Bücherverbrennen gar nicht mehr im Mittelpunkt stand, sondern nur noch als makabres Feuerwerk figurierte, als herzerhebende Zutat. Nicht viel anders als das vertraute Lagerfeuer.

Ganz offenbar ging es in Ulm am 15.7. – in der Hauptsache um eine Eingliederungszeremonie. So wie in Heidelberg die Verbindungen und Corps integriert werden. Angetreten waren nämlich außer HJ, BdM, möglicherweise SA auch zwei Formationen, noch in alter Kluft. Die Scharnhorst-Jugend und der Bibelkreis. Scharnhorst-Jugend – klar, einer der vaterländischen Vereine mit militärischen Übungen. Da fiel der Übergang nicht schwer. Rätselhafter der Übertrittswillen des Bibelkreises: Man denkt da eher an stündlerische, pietistische Gruppen, von denen freilich kaum anzunehmen wäre, dass sie gerade Affinitäten zur HJ entwickeln. War es frühzeitige Tarnung, mit dem Willen, unterzutauchen und weiterzumachen, wie es bei den Geschwistern Scholl möglicherweise der Fall war? Nur: So stark war der Druck zur Gleichschaltung im Juli 1933 immer noch nicht.

Wie dem auch sei: Ganz deutlich wird aus der Schilderung des Hergangs, dass inzwischen das Gemeinschaftserlebnis an sich im Mittelpunkt stand.

Die Rede hielt dieses Mal ein Stadtrat. Man sieht: Die Dominanz der Htilerjugend neigte sich dem Ende zu.

Zu Laupheim schließlich ein letztes Zitat:

”voll Befriedigung sahen alle die gesammelten volksfremden Flaggen, diese Zeichen unglücklicher Zerrissenheit, und die volksverderbenden Bücher und Schriften in der reinigenden Glut des Feuers zu Asche werden. Fort mit diesem Unstern des deutschen Volkes. Die Jugend wünscht das mit heißer Inbrunst.” (Laupheimer Kurier 24.7)

Der Ton macht die Musik: Nicht mehr die Fanfaren des Angriffs werden geblasen, die Schlacht ist geschlagen, wir sind alle wieder eins. Verbrennung ist wirklich nur noch Attraktion, Zutat zum Zusammentreffen der HJ aus nah und fern in der Gemeinde Laupheim, die ohne Zuzug damals 6000 Einwohner zählte.

Damit zeigt sich ein weiteres Detail des Faschismus als Massenbewegung: Die Massen stehen immer bereit, mehr oder weniger auf Abruf. Aber sie können das Heft nicht dauernd in der Hand behalten. In den Zwischenzeiten regiert -ohne Öffentlichkeit, ohne die heute vorhandene minimale Parlamentskontrolle- die Bürokratie. Was das Büchervernichten angeht, war sie vielleicht in ihrer zähen Art ergiebiger als der einmalige Akt der Verbrennung. Zensur, Nicht-Auflage von Unerwünschtem, Reklameverbot erwiesen sich als wirksamer als die einmal zum Reinigen angetretene Flamme.

Wie Brückner und andere aus ihrer NS-Zeit erzählen: Wer wollte und suchte, konnte mitten im Verbotsgewirr des Dritten Reichs doch seine Heines finden, sogar nach einigem Suchen einen Marx oder Lenin. Insofern ging nach den Tagen des Gejohles, wo es hoch herging, der verbissene Kampf um Erkenntnis die ganzen zwölf Jahre weiter.

Bibliographische Angaben: Schoeps/ Tress (Hg.): Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933. Olms-Verlag

[Das umfangreiche Werk von 846 Seiten  Es enthält eine Aufstellung sämtlicher Verbrennungsvorgänge in über neunzig deutschen Städten und Orten.]

Jan 2010 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Zeitgeschehen | Kommentieren